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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

weist trotz aller Verschiedenheit der Gegend und des Volksstammes doch wieder
manches Übereinstimmende auf. Wesselbnren, der dithmarsische Marktflecken,
ist zwar etwas kleiner und ländlicher als die thüringische Stadt, aber er hat
doch, da er in reicher Gegend liegt und der Verkehrsmittelpunkt von etwa zehn
Dörfern ist, ein verhältnismäßig reiches und volkstümliches Leben. Zu Hebbels
Zeit waren auch noch die geschichtlichen Erinnerungen lebendig im dithmar-
sischen Volke, und in gewisser Beziehung bot dem jungen Hebbel der "National¬
stolz" Ersatz für das Standesgefühl, das Ludwig haben konnte. Naturfreuden
gewahrte die Marsch natürlich weniger als das Thüringer Land, doch hat
Hebbel sein Leben lang die Erinnerung an das Gärtchen beim väterlichen
Hause, in dem er während seiner frühesten Kinderjahre spielen durfte, treu be¬
wahrt (seinem Birnbaum und seiner morschen Ziehbrunnenumwandung auch
in der "Maria Magdalene" einen Platz geschenkt), sodaß ein bescheidnes Gegen¬
stück zu der grünen Herrlichkeit des Ludwigschen Gartens in Hebbels Leben
vorhanden ist. Seltene Wanderungen an den Nordseestrand, der etwa eine
Stunde von Wesselburen entfernt ist, und natürlich viel knabenhaftes Herum¬
treiben in der nähern Umgebung des Ortes, die nichts bemerkenswertes bietet --
damit sind die Hebbelschen Naturfreuden erschöpft. Man findet denn auch in
Hebbels Dichtung nicht allzu viel der Natur oder gar einer bestimmten Natur
entnommne Züge, nicht den starken Erdgeruch, der der Mehrzahl von Otto
Ludwigs Erzählungen und seinem bürgerlichen Drama anhaftet, dafür aber
wieder vielfach sehr treu die Luft der Kleinstadt, so in der "Maria Magda-
lene" und im "Schuvck," auch das Spezifisch-Hamburgische in "Mutter und
Kind" nicht übel getroffen -- Hamburg ist eben die natürliche Hauptstadt all
der Länder an der Unterelbe. Immerhin konnte das kleine Wesselburen für
die Entwicklung eines Dichters manches bieten, nur eine bessere Lehranstalt
hätte es uoch haben müssen; es gab dort aber nur eine zweiklassige Volks¬
schule (Elementar- und "Rektor"klaffe), die bei der großen Mehrzahl ihrer
Schüler auf die Erziehung zu leidlich vollständiger Beherrschung des Hoch¬
deutschen verzichten mußte. Der damalige Rektor, ein seminaristisch gebildeter
Lehrer, hat sich um Hebbel, seinen besten Schüler, sehr verdient gemacht, konnte
aber doch nicht mehr geben, als er selbst hatte, und das war nicht allzu viel.
Nun hätten die Pastoren des Ortes einspringen sollen; die Herren haben
auch Hebbels ungewöhnliche Begabung gekannt, sich aber nicht bewogen gefühlt,
etwas für ihn zu thun, obwohl es ihnen nicht schwer gewesen wäre, den
Knaben für eine der höhern Klassen des Ghmnasinms vorzubereiten und später
in Meldors, wo sich Dithmarsers alte Gelehrtenschule befindet, unterzubringen.
So geriet Hebbel in die Schreiberlaufbahn hinein, wie damals die meisten be¬
gabten Jungen aus dem Volke, und mußte das zunächst noch als Glück an¬
sehen. Otto Ludwig war unendlich viel besser daran, hatte zunächst gebildete
Eltern, bis zum elften Jahre einen Privatlehrer, kam dann auf die Eisfelder


Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

weist trotz aller Verschiedenheit der Gegend und des Volksstammes doch wieder
manches Übereinstimmende auf. Wesselbnren, der dithmarsische Marktflecken,
ist zwar etwas kleiner und ländlicher als die thüringische Stadt, aber er hat
doch, da er in reicher Gegend liegt und der Verkehrsmittelpunkt von etwa zehn
Dörfern ist, ein verhältnismäßig reiches und volkstümliches Leben. Zu Hebbels
Zeit waren auch noch die geschichtlichen Erinnerungen lebendig im dithmar-
sischen Volke, und in gewisser Beziehung bot dem jungen Hebbel der „National¬
stolz" Ersatz für das Standesgefühl, das Ludwig haben konnte. Naturfreuden
gewahrte die Marsch natürlich weniger als das Thüringer Land, doch hat
Hebbel sein Leben lang die Erinnerung an das Gärtchen beim väterlichen
Hause, in dem er während seiner frühesten Kinderjahre spielen durfte, treu be¬
wahrt (seinem Birnbaum und seiner morschen Ziehbrunnenumwandung auch
in der „Maria Magdalene" einen Platz geschenkt), sodaß ein bescheidnes Gegen¬
stück zu der grünen Herrlichkeit des Ludwigschen Gartens in Hebbels Leben
vorhanden ist. Seltene Wanderungen an den Nordseestrand, der etwa eine
Stunde von Wesselburen entfernt ist, und natürlich viel knabenhaftes Herum¬
treiben in der nähern Umgebung des Ortes, die nichts bemerkenswertes bietet —
damit sind die Hebbelschen Naturfreuden erschöpft. Man findet denn auch in
Hebbels Dichtung nicht allzu viel der Natur oder gar einer bestimmten Natur
entnommne Züge, nicht den starken Erdgeruch, der der Mehrzahl von Otto
Ludwigs Erzählungen und seinem bürgerlichen Drama anhaftet, dafür aber
wieder vielfach sehr treu die Luft der Kleinstadt, so in der „Maria Magda-
lene" und im „Schuvck," auch das Spezifisch-Hamburgische in „Mutter und
Kind" nicht übel getroffen — Hamburg ist eben die natürliche Hauptstadt all
der Länder an der Unterelbe. Immerhin konnte das kleine Wesselburen für
die Entwicklung eines Dichters manches bieten, nur eine bessere Lehranstalt
hätte es uoch haben müssen; es gab dort aber nur eine zweiklassige Volks¬
schule (Elementar- und „Rektor"klaffe), die bei der großen Mehrzahl ihrer
Schüler auf die Erziehung zu leidlich vollständiger Beherrschung des Hoch¬
deutschen verzichten mußte. Der damalige Rektor, ein seminaristisch gebildeter
Lehrer, hat sich um Hebbel, seinen besten Schüler, sehr verdient gemacht, konnte
aber doch nicht mehr geben, als er selbst hatte, und das war nicht allzu viel.
Nun hätten die Pastoren des Ortes einspringen sollen; die Herren haben
auch Hebbels ungewöhnliche Begabung gekannt, sich aber nicht bewogen gefühlt,
etwas für ihn zu thun, obwohl es ihnen nicht schwer gewesen wäre, den
Knaben für eine der höhern Klassen des Ghmnasinms vorzubereiten und später
in Meldors, wo sich Dithmarsers alte Gelehrtenschule befindet, unterzubringen.
So geriet Hebbel in die Schreiberlaufbahn hinein, wie damals die meisten be¬
gabten Jungen aus dem Volke, und mußte das zunächst noch als Glück an¬
sehen. Otto Ludwig war unendlich viel besser daran, hatte zunächst gebildete
Eltern, bis zum elften Jahre einen Privatlehrer, kam dann auf die Eisfelder


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[0046] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig weist trotz aller Verschiedenheit der Gegend und des Volksstammes doch wieder manches Übereinstimmende auf. Wesselbnren, der dithmarsische Marktflecken, ist zwar etwas kleiner und ländlicher als die thüringische Stadt, aber er hat doch, da er in reicher Gegend liegt und der Verkehrsmittelpunkt von etwa zehn Dörfern ist, ein verhältnismäßig reiches und volkstümliches Leben. Zu Hebbels Zeit waren auch noch die geschichtlichen Erinnerungen lebendig im dithmar- sischen Volke, und in gewisser Beziehung bot dem jungen Hebbel der „National¬ stolz" Ersatz für das Standesgefühl, das Ludwig haben konnte. Naturfreuden gewahrte die Marsch natürlich weniger als das Thüringer Land, doch hat Hebbel sein Leben lang die Erinnerung an das Gärtchen beim väterlichen Hause, in dem er während seiner frühesten Kinderjahre spielen durfte, treu be¬ wahrt (seinem Birnbaum und seiner morschen Ziehbrunnenumwandung auch in der „Maria Magdalene" einen Platz geschenkt), sodaß ein bescheidnes Gegen¬ stück zu der grünen Herrlichkeit des Ludwigschen Gartens in Hebbels Leben vorhanden ist. Seltene Wanderungen an den Nordseestrand, der etwa eine Stunde von Wesselburen entfernt ist, und natürlich viel knabenhaftes Herum¬ treiben in der nähern Umgebung des Ortes, die nichts bemerkenswertes bietet — damit sind die Hebbelschen Naturfreuden erschöpft. Man findet denn auch in Hebbels Dichtung nicht allzu viel der Natur oder gar einer bestimmten Natur entnommne Züge, nicht den starken Erdgeruch, der der Mehrzahl von Otto Ludwigs Erzählungen und seinem bürgerlichen Drama anhaftet, dafür aber wieder vielfach sehr treu die Luft der Kleinstadt, so in der „Maria Magda- lene" und im „Schuvck," auch das Spezifisch-Hamburgische in „Mutter und Kind" nicht übel getroffen — Hamburg ist eben die natürliche Hauptstadt all der Länder an der Unterelbe. Immerhin konnte das kleine Wesselburen für die Entwicklung eines Dichters manches bieten, nur eine bessere Lehranstalt hätte es uoch haben müssen; es gab dort aber nur eine zweiklassige Volks¬ schule (Elementar- und „Rektor"klaffe), die bei der großen Mehrzahl ihrer Schüler auf die Erziehung zu leidlich vollständiger Beherrschung des Hoch¬ deutschen verzichten mußte. Der damalige Rektor, ein seminaristisch gebildeter Lehrer, hat sich um Hebbel, seinen besten Schüler, sehr verdient gemacht, konnte aber doch nicht mehr geben, als er selbst hatte, und das war nicht allzu viel. Nun hätten die Pastoren des Ortes einspringen sollen; die Herren haben auch Hebbels ungewöhnliche Begabung gekannt, sich aber nicht bewogen gefühlt, etwas für ihn zu thun, obwohl es ihnen nicht schwer gewesen wäre, den Knaben für eine der höhern Klassen des Ghmnasinms vorzubereiten und später in Meldors, wo sich Dithmarsers alte Gelehrtenschule befindet, unterzubringen. So geriet Hebbel in die Schreiberlaufbahn hinein, wie damals die meisten be¬ gabten Jungen aus dem Volke, und mußte das zunächst noch als Glück an¬ sehen. Otto Ludwig war unendlich viel besser daran, hatte zunächst gebildete Eltern, bis zum elften Jahre einen Privatlehrer, kam dann auf die Eisfelder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/46>, abgerufen am 11.05.2024.