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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

doch an dichterischen Kräften überlegen und an polemischen Talenten gleich zu
sein; die gute Sache sei auf seiner Seite, und der Unwille über die jämmer¬
lichen Halbheiten in Deutschland allgemeiner, als die Journale, die von ihnen
beherrscht und großenteils selbst geschrieben würden, ahnen ließen. Und Lud¬
wig schrieb einige Jahre später an seinen Freund Schalter: "Im allgemeinen
hat mich der Ton, der jetzt in der Schriftstellerwelt herrscht, verletzt, dieses
von aller Pietät verlassene Wesen! Jeder Gelbschnabel will dem Dichter vor¬
schreiben, wie er dichten soll, und hat er den Mut, er selbst zu sein, so ent¬
geht er den schlechtesten Persönlichkeiten nicht. Wer mag da seine Kräfte, sein
Leben, sein Glück, seine Gesundheit riskiren. Thue dir selbst genug, das ist
das wahre innere Gesetz, dem wir möglichst nachkommen sollen. Und hat man
es nach Kräften gethan, nicht Gesundheit, nicht irdisches Wohl zu hoch ge¬
achtet, sie auf dem Altar zu opfern, so kommen Menschen, die selbst nichts
produziren, als Kritik in einer zuckerwasserverschwemmten, charakterlosen Prosa,
die ich nur einen Ohren- und Sinnenkitzel ohne tiefern Sinn, ja ohne prak¬
tischen Wert nennen kann, denn man bringts nicht so weit, nur herauszulesen,
was sie wohl mögen gewollt haben -- und gießen ihr Gift darüber hin. Und
das Publikum hat einen Geschmack daran gefunden, sich auf diesen Oberflächen
zu wiegen in der Meinung, es denke, und wer weiß, wie tief, die produktiven
Autoren über die Achsel anzusehen und sich zu freuen, wenn sie recht gemein
heruntergerissen werden. Das ist das junge Deutschland. Lies ihre Schriften,
es ist unmöglich, sich einen Begriff von dieser Tigergrube zu machen." Das
Spiel des Schicksals führte dann beide Dichter in den Anfängen ihrer Lauf¬
bahn zu zwei jungdeutschen Größen in nähere Beziehungen, Hebbel zu Gutzkow,
Ludwig zu Laube.

Nicht allein dadurch jedoch haben Hebbels Hamburger Ausenthalt von
1839 bis 1843 und Ludwigs Heimkehr nach Thüringen wie sein zweiter Leip¬
ziger Aufenthalt (1840 bis 1843) nähere Berührungspunkte; beide haben in
dieser Zeit auch das erfahren, was alle bedeutenden Menschen, ehe sie das,
was sie versprechen, halten können, durchmachen müssen: sie sind von denen,
die auf die Entfaltung des Genius nie warten können, und für die der Erfolg
alles ist, die aber zugleich auch jene Entfaltung fürchten und für den Erfolg
schon den Neid, ja den Haß bereit haben, in der hergebrachten Weise mi߬
handelt worden. Bei Hebbel kam noch das Verhältnis zu Elise Lensing, dieses
unentwirrbare Netz von Schuld und Unglück hinzu, um ihn der Welt als Ver¬
lornen hinzustellen; Otto Ludwig hielt sich von sittlichen Schwächen frei, aber
sein Thüringer Idyll ward ihm doch mannigfach gestört, und durch das
Familienleben seines Onkels kam er doch mit ähnlichen Verhältnissen in Be¬
rührung wie die, in denen Hebbel verstrickt war. Es wäre Thorheit, hier den
einen Dichter gegen den andern auszuspielen, Ludwig war ohne Zweifel die
maßvollere Natur, aber was Hebbel in seiner heißern Leidenschaft sündigte, er


Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

doch an dichterischen Kräften überlegen und an polemischen Talenten gleich zu
sein; die gute Sache sei auf seiner Seite, und der Unwille über die jämmer¬
lichen Halbheiten in Deutschland allgemeiner, als die Journale, die von ihnen
beherrscht und großenteils selbst geschrieben würden, ahnen ließen. Und Lud¬
wig schrieb einige Jahre später an seinen Freund Schalter: „Im allgemeinen
hat mich der Ton, der jetzt in der Schriftstellerwelt herrscht, verletzt, dieses
von aller Pietät verlassene Wesen! Jeder Gelbschnabel will dem Dichter vor¬
schreiben, wie er dichten soll, und hat er den Mut, er selbst zu sein, so ent¬
geht er den schlechtesten Persönlichkeiten nicht. Wer mag da seine Kräfte, sein
Leben, sein Glück, seine Gesundheit riskiren. Thue dir selbst genug, das ist
das wahre innere Gesetz, dem wir möglichst nachkommen sollen. Und hat man
es nach Kräften gethan, nicht Gesundheit, nicht irdisches Wohl zu hoch ge¬
achtet, sie auf dem Altar zu opfern, so kommen Menschen, die selbst nichts
produziren, als Kritik in einer zuckerwasserverschwemmten, charakterlosen Prosa,
die ich nur einen Ohren- und Sinnenkitzel ohne tiefern Sinn, ja ohne prak¬
tischen Wert nennen kann, denn man bringts nicht so weit, nur herauszulesen,
was sie wohl mögen gewollt haben — und gießen ihr Gift darüber hin. Und
das Publikum hat einen Geschmack daran gefunden, sich auf diesen Oberflächen
zu wiegen in der Meinung, es denke, und wer weiß, wie tief, die produktiven
Autoren über die Achsel anzusehen und sich zu freuen, wenn sie recht gemein
heruntergerissen werden. Das ist das junge Deutschland. Lies ihre Schriften,
es ist unmöglich, sich einen Begriff von dieser Tigergrube zu machen." Das
Spiel des Schicksals führte dann beide Dichter in den Anfängen ihrer Lauf¬
bahn zu zwei jungdeutschen Größen in nähere Beziehungen, Hebbel zu Gutzkow,
Ludwig zu Laube.

Nicht allein dadurch jedoch haben Hebbels Hamburger Ausenthalt von
1839 bis 1843 und Ludwigs Heimkehr nach Thüringen wie sein zweiter Leip¬
ziger Aufenthalt (1840 bis 1843) nähere Berührungspunkte; beide haben in
dieser Zeit auch das erfahren, was alle bedeutenden Menschen, ehe sie das,
was sie versprechen, halten können, durchmachen müssen: sie sind von denen,
die auf die Entfaltung des Genius nie warten können, und für die der Erfolg
alles ist, die aber zugleich auch jene Entfaltung fürchten und für den Erfolg
schon den Neid, ja den Haß bereit haben, in der hergebrachten Weise mi߬
handelt worden. Bei Hebbel kam noch das Verhältnis zu Elise Lensing, dieses
unentwirrbare Netz von Schuld und Unglück hinzu, um ihn der Welt als Ver¬
lornen hinzustellen; Otto Ludwig hielt sich von sittlichen Schwächen frei, aber
sein Thüringer Idyll ward ihm doch mannigfach gestört, und durch das
Familienleben seines Onkels kam er doch mit ähnlichen Verhältnissen in Be¬
rührung wie die, in denen Hebbel verstrickt war. Es wäre Thorheit, hier den
einen Dichter gegen den andern auszuspielen, Ludwig war ohne Zweifel die
maßvollere Natur, aber was Hebbel in seiner heißern Leidenschaft sündigte, er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/50>, abgerufen am 12.05.2024.