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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zum 20. September

Kulturstufe Deutschlands, die aus sich heraus nur zu kleineren politischen
Bildungen, im besten Falle zu Stammesstaaten fähig war, hinausging, sich
nur behaupten, wenn es die Kirche, die Bistümer und Neichsabteien, also ein
Erbteil römischer Kultur, als die wichtigste Stütze des Reichs behandelte, sie
mit weltlichen Besitzungen und Rechten ausstattete und über sie verfügte. Das
vermochten unsre Könige aber uur, wenn sie das außerdeutsche Haupt dieser
Kirche, den Papst von sich abhängig machten, und das konnten sie nur, wenn
sie Italien beherrschten und die Kaiserkrone trugen. Nicht Romantik, sondern
die harte Notwendigkeit forderte das. Aber nicht jede Notwendigkeit ist ein
Glück, und diese war es am allerwenigsten. Deal die im Begriff des Papst¬
tums liegende Idee der geistlichen Weltherrschaft mußte sich, sobald sie zum
Bewußtsein kam, gegen die Beherrschung der Kirche durch den Kaiser kehren.
Indem sie das aber that, zerstörte sie die deutsche Reichsverfassung, die ohne
diese Herrschaft damals nicht bestehen konnte, und damit das deutsche Reich.
Das ist bekanntlich das Ergebnis unsrer mittelalterlichen Geschichte gewesen.
Und doch wirkten die Neste dieser Reichsverfassung noch weit über die Schwelle
des Mittelalters hinaus. Denn die geistlichen Fürstentümer bestanden weiter,
in ihnen sah das Kaisertum der Habsburger noch immer seine beste Stütze
gegen den ältesten und schlimmsten Feind der Reichseinheit, das weltliche
Fürstentum; diese Rücksicht verhinderte es, mit neuen internationalen Be¬
ziehungen zusammen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine nationale
Kirchenreform zu leiten oder zu schützen und damit die Kirchenspaltung zu
verhindern, die nicht minder ein Unglück wie eine Notwendigkeit war; sie führte
endlich zum dreißigjährigen Kriege, der recht eigentlich zur Rettung des geist¬
lichen Fürstentums in Norddeutschland unternommen wurde und doch seine
fast gänzliche Vernichtung dort nicht verhindern konnte. Damit verlor das alte
Kaisertum der Habsburger seiue beste Stütze, lind es entfremdete sich zugleich
der protestantischen Mehrheit der Nation; auf seine außerdeutschen Länder sich
mehr und mehr zurückziehend, verlor es schließlich die Fähigkeit, die Nation
zu leiten.

In Italien wurde das Kaisertum nicht eigentlich als Fremdherrschaft
empfunden, weil es zwar die Herrschaft eines deutschen Königs und wohl
auch einzelner deutscher Bischöfe und Fürstengeschlechter, aber keineswegs
deutscher Einrichtungen war. Auch die lombardischen Städte haben nicht so¬
wohl gegen das Kaisertum, als gegen einzelne ihnen lästige Bestrebungen des
Kaisertums und für ihre Selbstverwaltung gefochten, und der letzte hohen-
staufische Kaiser, Friedrich II., ist nicht gescheitert, weil er ein fremder Herrscher
war, sondern weil er sein sizilisch-neapolitanisches Erdreich mit dem Königreich
Italien vereinigen, also die nationale Einheit Italiens herstellen wollte, und
nicht die lombardischen Städte haben ihn daran verhindert, sondern das inter¬
nationale Papsttum, das unter den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen


Zum 20. September

Kulturstufe Deutschlands, die aus sich heraus nur zu kleineren politischen
Bildungen, im besten Falle zu Stammesstaaten fähig war, hinausging, sich
nur behaupten, wenn es die Kirche, die Bistümer und Neichsabteien, also ein
Erbteil römischer Kultur, als die wichtigste Stütze des Reichs behandelte, sie
mit weltlichen Besitzungen und Rechten ausstattete und über sie verfügte. Das
vermochten unsre Könige aber uur, wenn sie das außerdeutsche Haupt dieser
Kirche, den Papst von sich abhängig machten, und das konnten sie nur, wenn
sie Italien beherrschten und die Kaiserkrone trugen. Nicht Romantik, sondern
die harte Notwendigkeit forderte das. Aber nicht jede Notwendigkeit ist ein
Glück, und diese war es am allerwenigsten. Deal die im Begriff des Papst¬
tums liegende Idee der geistlichen Weltherrschaft mußte sich, sobald sie zum
Bewußtsein kam, gegen die Beherrschung der Kirche durch den Kaiser kehren.
Indem sie das aber that, zerstörte sie die deutsche Reichsverfassung, die ohne
diese Herrschaft damals nicht bestehen konnte, und damit das deutsche Reich.
Das ist bekanntlich das Ergebnis unsrer mittelalterlichen Geschichte gewesen.
Und doch wirkten die Neste dieser Reichsverfassung noch weit über die Schwelle
des Mittelalters hinaus. Denn die geistlichen Fürstentümer bestanden weiter,
in ihnen sah das Kaisertum der Habsburger noch immer seine beste Stütze
gegen den ältesten und schlimmsten Feind der Reichseinheit, das weltliche
Fürstentum; diese Rücksicht verhinderte es, mit neuen internationalen Be¬
ziehungen zusammen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine nationale
Kirchenreform zu leiten oder zu schützen und damit die Kirchenspaltung zu
verhindern, die nicht minder ein Unglück wie eine Notwendigkeit war; sie führte
endlich zum dreißigjährigen Kriege, der recht eigentlich zur Rettung des geist¬
lichen Fürstentums in Norddeutschland unternommen wurde und doch seine
fast gänzliche Vernichtung dort nicht verhindern konnte. Damit verlor das alte
Kaisertum der Habsburger seiue beste Stütze, lind es entfremdete sich zugleich
der protestantischen Mehrheit der Nation; auf seine außerdeutschen Länder sich
mehr und mehr zurückziehend, verlor es schließlich die Fähigkeit, die Nation
zu leiten.

In Italien wurde das Kaisertum nicht eigentlich als Fremdherrschaft
empfunden, weil es zwar die Herrschaft eines deutschen Königs und wohl
auch einzelner deutscher Bischöfe und Fürstengeschlechter, aber keineswegs
deutscher Einrichtungen war. Auch die lombardischen Städte haben nicht so¬
wohl gegen das Kaisertum, als gegen einzelne ihnen lästige Bestrebungen des
Kaisertums und für ihre Selbstverwaltung gefochten, und der letzte hohen-
staufische Kaiser, Friedrich II., ist nicht gescheitert, weil er ein fremder Herrscher
war, sondern weil er sein sizilisch-neapolitanisches Erdreich mit dem Königreich
Italien vereinigen, also die nationale Einheit Italiens herstellen wollte, und
nicht die lombardischen Städte haben ihn daran verhindert, sondern das inter¬
nationale Papsttum, das unter den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen


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[0546] Zum 20. September Kulturstufe Deutschlands, die aus sich heraus nur zu kleineren politischen Bildungen, im besten Falle zu Stammesstaaten fähig war, hinausging, sich nur behaupten, wenn es die Kirche, die Bistümer und Neichsabteien, also ein Erbteil römischer Kultur, als die wichtigste Stütze des Reichs behandelte, sie mit weltlichen Besitzungen und Rechten ausstattete und über sie verfügte. Das vermochten unsre Könige aber uur, wenn sie das außerdeutsche Haupt dieser Kirche, den Papst von sich abhängig machten, und das konnten sie nur, wenn sie Italien beherrschten und die Kaiserkrone trugen. Nicht Romantik, sondern die harte Notwendigkeit forderte das. Aber nicht jede Notwendigkeit ist ein Glück, und diese war es am allerwenigsten. Deal die im Begriff des Papst¬ tums liegende Idee der geistlichen Weltherrschaft mußte sich, sobald sie zum Bewußtsein kam, gegen die Beherrschung der Kirche durch den Kaiser kehren. Indem sie das aber that, zerstörte sie die deutsche Reichsverfassung, die ohne diese Herrschaft damals nicht bestehen konnte, und damit das deutsche Reich. Das ist bekanntlich das Ergebnis unsrer mittelalterlichen Geschichte gewesen. Und doch wirkten die Neste dieser Reichsverfassung noch weit über die Schwelle des Mittelalters hinaus. Denn die geistlichen Fürstentümer bestanden weiter, in ihnen sah das Kaisertum der Habsburger noch immer seine beste Stütze gegen den ältesten und schlimmsten Feind der Reichseinheit, das weltliche Fürstentum; diese Rücksicht verhinderte es, mit neuen internationalen Be¬ ziehungen zusammen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine nationale Kirchenreform zu leiten oder zu schützen und damit die Kirchenspaltung zu verhindern, die nicht minder ein Unglück wie eine Notwendigkeit war; sie führte endlich zum dreißigjährigen Kriege, der recht eigentlich zur Rettung des geist¬ lichen Fürstentums in Norddeutschland unternommen wurde und doch seine fast gänzliche Vernichtung dort nicht verhindern konnte. Damit verlor das alte Kaisertum der Habsburger seiue beste Stütze, lind es entfremdete sich zugleich der protestantischen Mehrheit der Nation; auf seine außerdeutschen Länder sich mehr und mehr zurückziehend, verlor es schließlich die Fähigkeit, die Nation zu leiten. In Italien wurde das Kaisertum nicht eigentlich als Fremdherrschaft empfunden, weil es zwar die Herrschaft eines deutschen Königs und wohl auch einzelner deutscher Bischöfe und Fürstengeschlechter, aber keineswegs deutscher Einrichtungen war. Auch die lombardischen Städte haben nicht so¬ wohl gegen das Kaisertum, als gegen einzelne ihnen lästige Bestrebungen des Kaisertums und für ihre Selbstverwaltung gefochten, und der letzte hohen- staufische Kaiser, Friedrich II., ist nicht gescheitert, weil er ein fremder Herrscher war, sondern weil er sein sizilisch-neapolitanisches Erdreich mit dem Königreich Italien vereinigen, also die nationale Einheit Italiens herstellen wollte, und nicht die lombardischen Städte haben ihn daran verhindert, sondern das inter¬ nationale Papsttum, das unter den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/546>, abgerufen am 12.05.2024.