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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zum Währungskcimpfe

stimmt sich nach den Erträgen, und der Zinsfuß ist gefallen. Noch vor we¬
nigen Jahren waren nicht einmal Reichs- und Staatsanleihen bei einem Zins¬
fuße von 3 Prozent zum Parikurse zu begeben, heute zahlen Stadtgemeinden,
Eisenbahnen und Hypothekenbanken keine höhern Zinsen, und ihre Schuldver¬
schreibungen, die sie damals noch mit 4 Prozent verzinsen mußten, wandeln
sie mit Erfolg in dreiprozentige um. Von einem landesüblichen Zinsfuß von
5 Prozent kann nicht mehr die Rede sein, es ist niedrig gegriffen, wenn man
den Rückgang des Zinsfußes in den letzten fünfzehn Jahren auf ein Viertel
des frühern Ertrags schätzt. Wie kann man bei einer solchen Sachlage be¬
haupten wollen, der Gläubiger heute durch die Goldwährung den Schuldner
aus, und der Staat müsse durch künstliche Geldentwertung rettend eingreifen?
Der Trost, den die Bimetallisten den Beamten und Arbeitern spenden wollen,
daß sich Gehalte und Löhne entsprechend der Geldentwertung erhöhen würden,
hat etwas sehr gleißnerisches. Gerade sie sind es doch, die immerfort klagen,
daß wir mit Ländern mit sinkender Valuta nicht zu konkurriren vermöchten,
weil dort trotz der Geldentwertung der Rubel Rubel bleibt, und sich deshalb
die Erzeugungskosten der Waren, insbesondre die Arbeitslöhne nicht oder we¬
nigstens nicht in dem Maße, wie es der Geldentwertung entspricht, heben.
Der bimetallistische Scharfsinn ist eben ganz eigentümlich. Mit Ernst und nicht
ohne Erfolg wird der Industrie immer wieder vorgehalten, daß sie bei Nc-
monetisirung des Silbers eine besser bezahlte Ausfuhr nach den Silberländern
haben würde, diese Länder aber aufhören müßten, die Preise unsers Marktes
durch Zufuhr billigster Ware zu drücken, da sie bei teurerem Silbergelde die
Waren nicht mehr so billig herstellen könnten.

Wenn sich aber wirklich, wie die Bimetallisten vorspiegeln, der Arbeits¬
lohn nicht nach einer bestimmten Geldsumme, sondern nach einem bestimmten
Geldwerte regelte, dann müßten bei steigendem Geldwert die Arbeitslöhne sinken
und bei sinkendem Geldwert steigen. In den Silberländern würden also die
Löhne fallen und bei uns steigen müssen. Das bedeutet nichts andres, als
daß alles beim alten bleiben und die Silberländer nach wie vor billiger als
wir Produziren würden. Bei Einführung des Bimetallismus träte dies denn
wohl auch nicht unmittelbar, aber in naheliegender Zukunft ein, in der Zwischen¬
zeit vollzöge sich ein ungerechter Gewinn auf Kosten der Arbeiter, Beamten,
Pensionäre und Kapitalgläubiger. Diese künstliche, unter regelrechten Verhält¬
nissen nicht aufrecht zu erhaltende Gewinnsteigerung würde vorübergehend eine
unhaltbare Produktion veranlassen, und diese würde zu einem Wendepunkt
führen, der unsern Wohlstand aufs tiefste erschüttern müßte. Wir dürfen auch
uicht vergessen, daß wir es bis zu drei Milliarden geprägten Goldgeldes ge¬
bracht haben und eine Verringerung der Kaufkraft dieses teuer erworbnen Be¬
sitzes unsern Volkswohlstand ganz unmittelbar beeinträchtigen würde. Es wider¬
spricht auch dem gesunden Menschenverstande, sich von der Geldentwertung eine


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stimmt sich nach den Erträgen, und der Zinsfuß ist gefallen. Noch vor we¬
nigen Jahren waren nicht einmal Reichs- und Staatsanleihen bei einem Zins¬
fuße von 3 Prozent zum Parikurse zu begeben, heute zahlen Stadtgemeinden,
Eisenbahnen und Hypothekenbanken keine höhern Zinsen, und ihre Schuldver¬
schreibungen, die sie damals noch mit 4 Prozent verzinsen mußten, wandeln
sie mit Erfolg in dreiprozentige um. Von einem landesüblichen Zinsfuß von
5 Prozent kann nicht mehr die Rede sein, es ist niedrig gegriffen, wenn man
den Rückgang des Zinsfußes in den letzten fünfzehn Jahren auf ein Viertel
des frühern Ertrags schätzt. Wie kann man bei einer solchen Sachlage be¬
haupten wollen, der Gläubiger heute durch die Goldwährung den Schuldner
aus, und der Staat müsse durch künstliche Geldentwertung rettend eingreifen?
Der Trost, den die Bimetallisten den Beamten und Arbeitern spenden wollen,
daß sich Gehalte und Löhne entsprechend der Geldentwertung erhöhen würden,
hat etwas sehr gleißnerisches. Gerade sie sind es doch, die immerfort klagen,
daß wir mit Ländern mit sinkender Valuta nicht zu konkurriren vermöchten,
weil dort trotz der Geldentwertung der Rubel Rubel bleibt, und sich deshalb
die Erzeugungskosten der Waren, insbesondre die Arbeitslöhne nicht oder we¬
nigstens nicht in dem Maße, wie es der Geldentwertung entspricht, heben.
Der bimetallistische Scharfsinn ist eben ganz eigentümlich. Mit Ernst und nicht
ohne Erfolg wird der Industrie immer wieder vorgehalten, daß sie bei Nc-
monetisirung des Silbers eine besser bezahlte Ausfuhr nach den Silberländern
haben würde, diese Länder aber aufhören müßten, die Preise unsers Marktes
durch Zufuhr billigster Ware zu drücken, da sie bei teurerem Silbergelde die
Waren nicht mehr so billig herstellen könnten.

Wenn sich aber wirklich, wie die Bimetallisten vorspiegeln, der Arbeits¬
lohn nicht nach einer bestimmten Geldsumme, sondern nach einem bestimmten
Geldwerte regelte, dann müßten bei steigendem Geldwert die Arbeitslöhne sinken
und bei sinkendem Geldwert steigen. In den Silberländern würden also die
Löhne fallen und bei uns steigen müssen. Das bedeutet nichts andres, als
daß alles beim alten bleiben und die Silberländer nach wie vor billiger als
wir Produziren würden. Bei Einführung des Bimetallismus träte dies denn
wohl auch nicht unmittelbar, aber in naheliegender Zukunft ein, in der Zwischen¬
zeit vollzöge sich ein ungerechter Gewinn auf Kosten der Arbeiter, Beamten,
Pensionäre und Kapitalgläubiger. Diese künstliche, unter regelrechten Verhält¬
nissen nicht aufrecht zu erhaltende Gewinnsteigerung würde vorübergehend eine
unhaltbare Produktion veranlassen, und diese würde zu einem Wendepunkt
führen, der unsern Wohlstand aufs tiefste erschüttern müßte. Wir dürfen auch
uicht vergessen, daß wir es bis zu drei Milliarden geprägten Goldgeldes ge¬
bracht haben und eine Verringerung der Kaufkraft dieses teuer erworbnen Be¬
sitzes unsern Volkswohlstand ganz unmittelbar beeinträchtigen würde. Es wider¬
spricht auch dem gesunden Menschenverstande, sich von der Geldentwertung eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/600>, abgerufen am 11.05.2024.