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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

fertig, gleichzeitig auf zweierlei Weise geboren zu werden, gleichzeitig wohl- und
hvchwvhlgeboren zu sein: der Bürgerliche, der es noch zu nichts gebracht Hot, ist
im gewöhnlichen Leben ein ganz gemeiner Wohlgeborner; ist er aber in seinen
Mußestunden Offizier des Beurlaubtenstandes, so ist er in dieser seiner Eigenschaft
hvchwvhlgeboren.

Wir lächeln überlegen und mitleidig, wenn wir aus Schriftstücken unsrer
Altvordern ersehen, wie sie in Eingaben an Behörden eine Viertelfolioseite nötig
hatten, um ihrer unbegrenzten Ehrfurcht vor deu hochwohlweiseu, hochgelahrten,
hochachtbaren, besten und gestrengen Herren Ausdruck zu geben. Aber die Hand
aufs Herz, sind wir Lebenden besser, die wir die natürlichste und schlichteste An¬
rede vermeiden, um sie durch Ausdrücke zu ersetzen, bei denen man sich gar nichts
denken kann und die sprachlich geradezu ein Unsinn sind?

Eine Erklärung für das Fortbestehen dieses Unsinns kann man nur in fol¬
gendem sehen. Die Vorsteher und "Dezernenten" der Behörden Pflegen ihre Erlasse,
Berichte und Verfügungen uur zu entwerfen und die Form der Reinschrift den
Unterbeamten zu überlassen, die dabei eine Unzahl von Einzelvorschriften zu be¬
achten haben. Diese Unterbeamten kommen gewöhnlich als kleine Kerle mit Ele¬
mentarschulbildung auf eine Amtsstube und sind Lehrlinge. Außer den: "Wohl¬
geboren" kommen ihnen eine Unmasse Ausdrücke vor, die sie zwar nicht verstehen,
die ihnen aber ungeheuer imponiren. Haben sie nun erst einmal halbwegs deu
Sinn all der br. in., s. x. r., pro murne,, Rssol., sub ^, ver. suprs, n. s, w. kapirt,
so kommen sie sich ungeheuer klug vor, und von all dem Zeug, das ihnen als der
Inbegriff alles Amtlichen und Vornehme" erscheint, lassen sie dann nicht bis an
ihr seliges Ende, wenn nicht einmal -- ein Vorgesetzter ein Machtwort spricht.

Unter der Grenzbotengemeinde sind eine ganze Anzahl Herren, die "an
der Spitze" stehen und bei denen es gewiß nur einmal eines kleinen Anstoßes
bedarf, um sie zu veranlassen, sich in ihrem eignen Bereich umzusehen und der¬
gleichen alte Zöpfe abzuschneiden. Die Welt wird deshalb wirklich nicht zu Grunde
gehen. Aber auch die Privatleute, insbesondre die Geschäftsleute, sollten einmal
in sich gehen. Des können sie gewiß sein, daß sich kein vernünftiger Mensch grämen
wird, wenn er sich seine Hochwohlgeborenheit nicht mehr von andern versichern
zu lassen braucht. .....




Herrn Ingenieur P, Nhlich bitte" wir um Angabe seiner Adresse, um seine" Brief
Die Redaktion beantworte" zu können.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow i" Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

fertig, gleichzeitig auf zweierlei Weise geboren zu werden, gleichzeitig wohl- und
hvchwvhlgeboren zu sein: der Bürgerliche, der es noch zu nichts gebracht Hot, ist
im gewöhnlichen Leben ein ganz gemeiner Wohlgeborner; ist er aber in seinen
Mußestunden Offizier des Beurlaubtenstandes, so ist er in dieser seiner Eigenschaft
hvchwvhlgeboren.

Wir lächeln überlegen und mitleidig, wenn wir aus Schriftstücken unsrer
Altvordern ersehen, wie sie in Eingaben an Behörden eine Viertelfolioseite nötig
hatten, um ihrer unbegrenzten Ehrfurcht vor deu hochwohlweiseu, hochgelahrten,
hochachtbaren, besten und gestrengen Herren Ausdruck zu geben. Aber die Hand
aufs Herz, sind wir Lebenden besser, die wir die natürlichste und schlichteste An¬
rede vermeiden, um sie durch Ausdrücke zu ersetzen, bei denen man sich gar nichts
denken kann und die sprachlich geradezu ein Unsinn sind?

Eine Erklärung für das Fortbestehen dieses Unsinns kann man nur in fol¬
gendem sehen. Die Vorsteher und „Dezernenten" der Behörden Pflegen ihre Erlasse,
Berichte und Verfügungen uur zu entwerfen und die Form der Reinschrift den
Unterbeamten zu überlassen, die dabei eine Unzahl von Einzelvorschriften zu be¬
achten haben. Diese Unterbeamten kommen gewöhnlich als kleine Kerle mit Ele¬
mentarschulbildung auf eine Amtsstube und sind Lehrlinge. Außer den: „Wohl¬
geboren" kommen ihnen eine Unmasse Ausdrücke vor, die sie zwar nicht verstehen,
die ihnen aber ungeheuer imponiren. Haben sie nun erst einmal halbwegs deu
Sinn all der br. in., s. x. r., pro murne,, Rssol., sub ^, ver. suprs, n. s, w. kapirt,
so kommen sie sich ungeheuer klug vor, und von all dem Zeug, das ihnen als der
Inbegriff alles Amtlichen und Vornehme» erscheint, lassen sie dann nicht bis an
ihr seliges Ende, wenn nicht einmal — ein Vorgesetzter ein Machtwort spricht.

Unter der Grenzbotengemeinde sind eine ganze Anzahl Herren, die „an
der Spitze" stehen und bei denen es gewiß nur einmal eines kleinen Anstoßes
bedarf, um sie zu veranlassen, sich in ihrem eignen Bereich umzusehen und der¬
gleichen alte Zöpfe abzuschneiden. Die Welt wird deshalb wirklich nicht zu Grunde
gehen. Aber auch die Privatleute, insbesondre die Geschäftsleute, sollten einmal
in sich gehen. Des können sie gewiß sein, daß sich kein vernünftiger Mensch grämen
wird, wenn er sich seine Hochwohlgeborenheit nicht mehr von andern versichern
zu lassen braucht. .....




Herrn Ingenieur P, Nhlich bitte» wir um Angabe seiner Adresse, um seine» Brief
Die Redaktion beantworte» zu können.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow i» Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0160] Maßgebliches und Unmaßgebliches fertig, gleichzeitig auf zweierlei Weise geboren zu werden, gleichzeitig wohl- und hvchwvhlgeboren zu sein: der Bürgerliche, der es noch zu nichts gebracht Hot, ist im gewöhnlichen Leben ein ganz gemeiner Wohlgeborner; ist er aber in seinen Mußestunden Offizier des Beurlaubtenstandes, so ist er in dieser seiner Eigenschaft hvchwvhlgeboren. Wir lächeln überlegen und mitleidig, wenn wir aus Schriftstücken unsrer Altvordern ersehen, wie sie in Eingaben an Behörden eine Viertelfolioseite nötig hatten, um ihrer unbegrenzten Ehrfurcht vor deu hochwohlweiseu, hochgelahrten, hochachtbaren, besten und gestrengen Herren Ausdruck zu geben. Aber die Hand aufs Herz, sind wir Lebenden besser, die wir die natürlichste und schlichteste An¬ rede vermeiden, um sie durch Ausdrücke zu ersetzen, bei denen man sich gar nichts denken kann und die sprachlich geradezu ein Unsinn sind? Eine Erklärung für das Fortbestehen dieses Unsinns kann man nur in fol¬ gendem sehen. Die Vorsteher und „Dezernenten" der Behörden Pflegen ihre Erlasse, Berichte und Verfügungen uur zu entwerfen und die Form der Reinschrift den Unterbeamten zu überlassen, die dabei eine Unzahl von Einzelvorschriften zu be¬ achten haben. Diese Unterbeamten kommen gewöhnlich als kleine Kerle mit Ele¬ mentarschulbildung auf eine Amtsstube und sind Lehrlinge. Außer den: „Wohl¬ geboren" kommen ihnen eine Unmasse Ausdrücke vor, die sie zwar nicht verstehen, die ihnen aber ungeheuer imponiren. Haben sie nun erst einmal halbwegs deu Sinn all der br. in., s. x. r., pro murne,, Rssol., sub ^, ver. suprs, n. s, w. kapirt, so kommen sie sich ungeheuer klug vor, und von all dem Zeug, das ihnen als der Inbegriff alles Amtlichen und Vornehme» erscheint, lassen sie dann nicht bis an ihr seliges Ende, wenn nicht einmal — ein Vorgesetzter ein Machtwort spricht. Unter der Grenzbotengemeinde sind eine ganze Anzahl Herren, die „an der Spitze" stehen und bei denen es gewiß nur einmal eines kleinen Anstoßes bedarf, um sie zu veranlassen, sich in ihrem eignen Bereich umzusehen und der¬ gleichen alte Zöpfe abzuschneiden. Die Welt wird deshalb wirklich nicht zu Grunde gehen. Aber auch die Privatleute, insbesondre die Geschäftsleute, sollten einmal in sich gehen. Des können sie gewiß sein, daß sich kein vernünftiger Mensch grämen wird, wenn er sich seine Hochwohlgeborenheit nicht mehr von andern versichern zu lassen braucht. ..... Herrn Ingenieur P, Nhlich bitte» wir um Angabe seiner Adresse, um seine» Brief Die Redaktion beantworte» zu können. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow i» Leipzig Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/160>, abgerufen am 15.06.2024.