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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Z"r Aenntnis der englischen Weltpolitik

leiten darin, daß England in Indien gezwungen war, um Rußlands Vorgehen
gegen Herat auszugleichen, in den Machtbereich Afghanistans überzugreifen. Es
hat ein Stück davon nach dem andern entweder Indien oder dem ganz abhängige"
Beludschistan angegliedert. Es ist dadurch über die alte Jndusgreuze und das
Solimangebirge hinaus auf die Hochebne vou Iran geführt und aus der be¬
quemen Lage im Jndnsthal herausgczwungen worden und umfaßt von zwei
Seiten deu Ausläufer afghanischen Gebiets am Kabulflüßchen, wo der welt¬
geschichtliche, in drei unglücklichen Feldzügen mit englischem Blut reich getränkte
Weg über Dschellalabad uach Nordwestindien hinabsteigt.

Da es sich dabei in die afghanische Politik und die häufigen Streitigkeiten
der afghanischen Thronbewerber nicht zu tief hineinziehen lassen und besonders
sich uicht zu fest mit einer einzigen oder einer bestimmten Gruppe verbinden
wollte, sondern vorzog, den zu unterstützen, der gerade oben war, hat es ein
Mißtrauen hervorgerufen, das kaum mehr zu beseitigen sein wird. Mit bar¬
barischer Offenheit und Scharfsinnigkeit zeichnete diese Politik schir Ali Khan,
als er auf Herat zurückgedrängt war und eine Allianz mit Persien suchte: Die
Engländer sehen nur auf ihre eignen Interessen. Sie wenden sich immer auf
die Seite dessen, der der Stärkste ist. Ich will keine kostbare Zeit verschwenden,
indem ich auf die Engländer hoffe, sondern mit andern Regierungen Freundschaft
suchen. schir Ali kannte den "Fleck auf der Ehr" der englischen Politik in Per¬
sien und stand selbst den englischen Geldversprechungen kritisch gegenüber. Mit
Bezug auf den Versuch Englands, den mehrfachen Bruch seiner Verpflichtungen
gegen Persien in den von ihm selbst geschürten russischen Kriegen dnrch Geld
gutzumachen, sagt der geistvolle Engländer, der 1894 und 1895 die Briefe
^.öl'oss tus ^tA'Inn ?i'l)latin!r in der ^iiinz" schrieb: Ein wohlgefüllter Geldbeutel
ist kein Ersatz für nationale Ehre. So scheint auch der alte Afghanenfürst ge¬
dacht zu haben.

Englands Haltung schwankte überhaupt gegenüber Afghanistan zwischen
raschem Vorgehen und kleinmütigem Zurückweichen. Ans die Einmischungs-
pvlitil, die in deu furchtbaren Katastrophen und Opfern von 1839 bis 1842
ihr Ende fand, folgten sechsunddreißig Jahre einer Politik der Zurückhaltung,
des Gehenlassens, die die schöne Wendung "meisterhafte Untätigkeit" wenn
nicht erfunden, so doch höchst altsdauernd angewendet hat. Der Schreck, den
1878 die plötzliche Entdeckung einer russischen Gesandtschaft in Kabul und
russisch-afghanischer Bündnisverhandlniigen hervorrief, setzte ihr ein jähes Ende.
Darauf folgte die Zeit der anglv-afghanischen Beziehungen, in der wir uns
heute befinden. Man kann sie in die zwei Sätze fassen: Afghanistan als das
Glacis der Festung Indien anerkannt, aber seiner eignen Macht überlassen.
Dazu gehört aber die Randbemerkung, daß England dem Emir eine Unter¬
stützung erst von zwölf, jetzt vou achtzehn Lakh Rupien zahlt, ihn mit Waffen
und Munition ausstattet und ihm bei der Einrichtung eigner Wnffenwerk-


Z"r Aenntnis der englischen Weltpolitik

leiten darin, daß England in Indien gezwungen war, um Rußlands Vorgehen
gegen Herat auszugleichen, in den Machtbereich Afghanistans überzugreifen. Es
hat ein Stück davon nach dem andern entweder Indien oder dem ganz abhängige»
Beludschistan angegliedert. Es ist dadurch über die alte Jndusgreuze und das
Solimangebirge hinaus auf die Hochebne vou Iran geführt und aus der be¬
quemen Lage im Jndnsthal herausgczwungen worden und umfaßt von zwei
Seiten deu Ausläufer afghanischen Gebiets am Kabulflüßchen, wo der welt¬
geschichtliche, in drei unglücklichen Feldzügen mit englischem Blut reich getränkte
Weg über Dschellalabad uach Nordwestindien hinabsteigt.

Da es sich dabei in die afghanische Politik und die häufigen Streitigkeiten
der afghanischen Thronbewerber nicht zu tief hineinziehen lassen und besonders
sich uicht zu fest mit einer einzigen oder einer bestimmten Gruppe verbinden
wollte, sondern vorzog, den zu unterstützen, der gerade oben war, hat es ein
Mißtrauen hervorgerufen, das kaum mehr zu beseitigen sein wird. Mit bar¬
barischer Offenheit und Scharfsinnigkeit zeichnete diese Politik schir Ali Khan,
als er auf Herat zurückgedrängt war und eine Allianz mit Persien suchte: Die
Engländer sehen nur auf ihre eignen Interessen. Sie wenden sich immer auf
die Seite dessen, der der Stärkste ist. Ich will keine kostbare Zeit verschwenden,
indem ich auf die Engländer hoffe, sondern mit andern Regierungen Freundschaft
suchen. schir Ali kannte den „Fleck auf der Ehr" der englischen Politik in Per¬
sien und stand selbst den englischen Geldversprechungen kritisch gegenüber. Mit
Bezug auf den Versuch Englands, den mehrfachen Bruch seiner Verpflichtungen
gegen Persien in den von ihm selbst geschürten russischen Kriegen dnrch Geld
gutzumachen, sagt der geistvolle Engländer, der 1894 und 1895 die Briefe
^.öl'oss tus ^tA'Inn ?i'l)latin!r in der ^iiinz« schrieb: Ein wohlgefüllter Geldbeutel
ist kein Ersatz für nationale Ehre. So scheint auch der alte Afghanenfürst ge¬
dacht zu haben.

Englands Haltung schwankte überhaupt gegenüber Afghanistan zwischen
raschem Vorgehen und kleinmütigem Zurückweichen. Ans die Einmischungs-
pvlitil, die in deu furchtbaren Katastrophen und Opfern von 1839 bis 1842
ihr Ende fand, folgten sechsunddreißig Jahre einer Politik der Zurückhaltung,
des Gehenlassens, die die schöne Wendung „meisterhafte Untätigkeit" wenn
nicht erfunden, so doch höchst altsdauernd angewendet hat. Der Schreck, den
1878 die plötzliche Entdeckung einer russischen Gesandtschaft in Kabul und
russisch-afghanischer Bündnisverhandlniigen hervorrief, setzte ihr ein jähes Ende.
Darauf folgte die Zeit der anglv-afghanischen Beziehungen, in der wir uns
heute befinden. Man kann sie in die zwei Sätze fassen: Afghanistan als das
Glacis der Festung Indien anerkannt, aber seiner eignen Macht überlassen.
Dazu gehört aber die Randbemerkung, daß England dem Emir eine Unter¬
stützung erst von zwölf, jetzt vou achtzehn Lakh Rupien zahlt, ihn mit Waffen
und Munition ausstattet und ihm bei der Einrichtung eigner Wnffenwerk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/162>, abgerufen am 16.06.2024.