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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

Richard III., Karl Moor, Lovelace, Childe Harold u. s. w., entgegenbringen,
während uns einen Weisungen, Fernando, Clavigo selbst Goethes Kunst nicht
genießbar machen konnte. In unsrer Zeit, wo Mangel an Kraft eine so be¬
denkliche Häufigkeit und -in Überschäumen der Kraft so wenig zu befürchten ist,
hat der Erzieher ganz besonders darauf zu achten, daß er die natürliche Kraft
des Willens nicht mit strafbarem Eigensinn verwechsle, daß er mit dem Übermut
nicht den Freimut, mit dem Trotz nicht den berechtigten männlichen Stolz
ausrotte. Überhaupt ist nach Jean Paul keine Kraft zu schwächen, sondern
nur der Gegenmuskel zu stärken: so werde "eine überzarte Seele nicht hart
und schroff gemacht, sondern in ihr nur das Ehrgefühl und die Klarheit des
Geistes verstärkt. Desgleichen werde der kühne Charakter nicht furchtsam
gemacht, sondern nur liebend und klug gebildet! Überhaupt sei der Erzieher
mehr Arzt der Schwäche als Dämpfer der Stärke!"

Die jetzige Gewalterziehung, die alles auf die Karte des Respekts setzt,
geht den falschen Weg. Als oberstes Erziehungsmittel kennt sie nur die Furcht,
der Stock ist der Zauberstab, mit dem alle bösen Geister der Zeit gebannt
werden sollen. Vom Schulbakel zum Polizeistock und zum Büreankraten-
regiment ist ein ununterbrochner Zusammenhang. Daher kommt der Reichs¬
deutsche, wie schon Jentsch einmal vor kurzem in diesen Blättern gesagt hat,
aus der Furcht gar nicht hinaus; er fürchtet sich vor dem Schulmeister, vor
dem Lehrherrn, dem Examinator, dem Unteroffizier, dem Polizisten, dem Staats¬
anwalt -- nur vor Gott fürchtet er sich nicht, weil es, wie die moderne
Wissenschaft lehrt, keinen giebt. Solche Bedientennatur würde im spätern
Leben nicht zum Vorschein kommen, wenn nicht in dem wichtigsten Jahrzehnt
des Lebens vom Schullehrer der Grund dazu gelegt worden wäre. Wer
Menschen wie Hunde behandelt, wird auch Hundeseelen erziehen. Wer als
einzige oder wenigstens vornehmste Triebfeder die Furcht benutzt, der kann
später nicht auf Stärke im Jüngling und im Manne rechnen; man kann durch
Furcht manches erreichen, vielleicht vieles, aber eines nicht, woraus doch allein
das wahrhaft Große hervorgeht: sittliche Kraft.


Täglich mit Schelten und Drohen
Raubst du dem Armen jeglichen Mut in der Brust,

wirft die liebende Mutter dem gewiß nicht überstrengen Vater Hermanns vor.
Wenn freilich, wie es fast den Anschein hat, knechtischer Gehorsam als einziges
Ziel und höchste Empfehlung für den Beamten gilt, wenn auch in der Kirche
blinder Glaube statt innerlich sprossenden Geisteslebens den wahren Christen
macht und die Anwartschaft ans die künftige Seligkeit giebt, dann ist diese
Methode berechtigt. Auch die beliebte Schulstrafe des Knieens, diese echte
Sklavenhuldigung, die den Lehrer zum Götzenpagoden, den Schüler zum
furchterfüllten Hindu macht, dient der Erweckung knechtischer Gesinnung; zu-


Die Prügelstrafe in der Volksschule

Richard III., Karl Moor, Lovelace, Childe Harold u. s. w., entgegenbringen,
während uns einen Weisungen, Fernando, Clavigo selbst Goethes Kunst nicht
genießbar machen konnte. In unsrer Zeit, wo Mangel an Kraft eine so be¬
denkliche Häufigkeit und -in Überschäumen der Kraft so wenig zu befürchten ist,
hat der Erzieher ganz besonders darauf zu achten, daß er die natürliche Kraft
des Willens nicht mit strafbarem Eigensinn verwechsle, daß er mit dem Übermut
nicht den Freimut, mit dem Trotz nicht den berechtigten männlichen Stolz
ausrotte. Überhaupt ist nach Jean Paul keine Kraft zu schwächen, sondern
nur der Gegenmuskel zu stärken: so werde „eine überzarte Seele nicht hart
und schroff gemacht, sondern in ihr nur das Ehrgefühl und die Klarheit des
Geistes verstärkt. Desgleichen werde der kühne Charakter nicht furchtsam
gemacht, sondern nur liebend und klug gebildet! Überhaupt sei der Erzieher
mehr Arzt der Schwäche als Dämpfer der Stärke!"

Die jetzige Gewalterziehung, die alles auf die Karte des Respekts setzt,
geht den falschen Weg. Als oberstes Erziehungsmittel kennt sie nur die Furcht,
der Stock ist der Zauberstab, mit dem alle bösen Geister der Zeit gebannt
werden sollen. Vom Schulbakel zum Polizeistock und zum Büreankraten-
regiment ist ein ununterbrochner Zusammenhang. Daher kommt der Reichs¬
deutsche, wie schon Jentsch einmal vor kurzem in diesen Blättern gesagt hat,
aus der Furcht gar nicht hinaus; er fürchtet sich vor dem Schulmeister, vor
dem Lehrherrn, dem Examinator, dem Unteroffizier, dem Polizisten, dem Staats¬
anwalt — nur vor Gott fürchtet er sich nicht, weil es, wie die moderne
Wissenschaft lehrt, keinen giebt. Solche Bedientennatur würde im spätern
Leben nicht zum Vorschein kommen, wenn nicht in dem wichtigsten Jahrzehnt
des Lebens vom Schullehrer der Grund dazu gelegt worden wäre. Wer
Menschen wie Hunde behandelt, wird auch Hundeseelen erziehen. Wer als
einzige oder wenigstens vornehmste Triebfeder die Furcht benutzt, der kann
später nicht auf Stärke im Jüngling und im Manne rechnen; man kann durch
Furcht manches erreichen, vielleicht vieles, aber eines nicht, woraus doch allein
das wahrhaft Große hervorgeht: sittliche Kraft.


Täglich mit Schelten und Drohen
Raubst du dem Armen jeglichen Mut in der Brust,

wirft die liebende Mutter dem gewiß nicht überstrengen Vater Hermanns vor.
Wenn freilich, wie es fast den Anschein hat, knechtischer Gehorsam als einziges
Ziel und höchste Empfehlung für den Beamten gilt, wenn auch in der Kirche
blinder Glaube statt innerlich sprossenden Geisteslebens den wahren Christen
macht und die Anwartschaft ans die künftige Seligkeit giebt, dann ist diese
Methode berechtigt. Auch die beliebte Schulstrafe des Knieens, diese echte
Sklavenhuldigung, die den Lehrer zum Götzenpagoden, den Schüler zum
furchterfüllten Hindu macht, dient der Erweckung knechtischer Gesinnung; zu-


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[0026] Die Prügelstrafe in der Volksschule Richard III., Karl Moor, Lovelace, Childe Harold u. s. w., entgegenbringen, während uns einen Weisungen, Fernando, Clavigo selbst Goethes Kunst nicht genießbar machen konnte. In unsrer Zeit, wo Mangel an Kraft eine so be¬ denkliche Häufigkeit und -in Überschäumen der Kraft so wenig zu befürchten ist, hat der Erzieher ganz besonders darauf zu achten, daß er die natürliche Kraft des Willens nicht mit strafbarem Eigensinn verwechsle, daß er mit dem Übermut nicht den Freimut, mit dem Trotz nicht den berechtigten männlichen Stolz ausrotte. Überhaupt ist nach Jean Paul keine Kraft zu schwächen, sondern nur der Gegenmuskel zu stärken: so werde „eine überzarte Seele nicht hart und schroff gemacht, sondern in ihr nur das Ehrgefühl und die Klarheit des Geistes verstärkt. Desgleichen werde der kühne Charakter nicht furchtsam gemacht, sondern nur liebend und klug gebildet! Überhaupt sei der Erzieher mehr Arzt der Schwäche als Dämpfer der Stärke!" Die jetzige Gewalterziehung, die alles auf die Karte des Respekts setzt, geht den falschen Weg. Als oberstes Erziehungsmittel kennt sie nur die Furcht, der Stock ist der Zauberstab, mit dem alle bösen Geister der Zeit gebannt werden sollen. Vom Schulbakel zum Polizeistock und zum Büreankraten- regiment ist ein ununterbrochner Zusammenhang. Daher kommt der Reichs¬ deutsche, wie schon Jentsch einmal vor kurzem in diesen Blättern gesagt hat, aus der Furcht gar nicht hinaus; er fürchtet sich vor dem Schulmeister, vor dem Lehrherrn, dem Examinator, dem Unteroffizier, dem Polizisten, dem Staats¬ anwalt — nur vor Gott fürchtet er sich nicht, weil es, wie die moderne Wissenschaft lehrt, keinen giebt. Solche Bedientennatur würde im spätern Leben nicht zum Vorschein kommen, wenn nicht in dem wichtigsten Jahrzehnt des Lebens vom Schullehrer der Grund dazu gelegt worden wäre. Wer Menschen wie Hunde behandelt, wird auch Hundeseelen erziehen. Wer als einzige oder wenigstens vornehmste Triebfeder die Furcht benutzt, der kann später nicht auf Stärke im Jüngling und im Manne rechnen; man kann durch Furcht manches erreichen, vielleicht vieles, aber eines nicht, woraus doch allein das wahrhaft Große hervorgeht: sittliche Kraft. Täglich mit Schelten und Drohen Raubst du dem Armen jeglichen Mut in der Brust, wirft die liebende Mutter dem gewiß nicht überstrengen Vater Hermanns vor. Wenn freilich, wie es fast den Anschein hat, knechtischer Gehorsam als einziges Ziel und höchste Empfehlung für den Beamten gilt, wenn auch in der Kirche blinder Glaube statt innerlich sprossenden Geisteslebens den wahren Christen macht und die Anwartschaft ans die künftige Seligkeit giebt, dann ist diese Methode berechtigt. Auch die beliebte Schulstrafe des Knieens, diese echte Sklavenhuldigung, die den Lehrer zum Götzenpagoden, den Schüler zum furchterfüllten Hindu macht, dient der Erweckung knechtischer Gesinnung; zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/26>, abgerufen am 15.06.2024.