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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Mas verlange" wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

weise zu legen und wissen ein reines und gutes Deutsch zu schützen. Daß aber
die deutsche Sprache "zur grammatischen und etymologischen Präzision" wenig
tauglich sei, wie derselbe Gelehrte behauptet, glaubt wohl kaum noch jemand,
und auch Savigny würde jetzt zugegeben, daß unsre Sprache eine solche sei,
in der ein Gesetzbuch geschrieben, und zwar gut geschrieben werden könne.
Ein Gesetzbuch als das bedeutendste und dauerndste Denkmal seiner Zeit und
Kultur soll daher auch die höchste Blüte dieser Kultur in jeder Richtung hin
sein und auch in der Sprache sich die zum Muster nehmen, die anerkannt
das beste Deutsch ihrer Zeit schreiben.

Ob der Entwurf mindestens diese Forderung erfüllt, bedarf also gleich¬
falls der Prüfung. Wie sollte der Reichstag nicht zu ihr berufen sein, da es
sich dabei doch wiederum nicht um rein technisch-juristische Dinge handelt?

Es ist aber überhaupt zuzusehen, ob es richtig sei, daß ein Gesetzbuch
sich bloß an den Richter und Rechtsgelehrten wende. Hervorragende Gesetz¬
geber sind darüber andrer Ansicht gewesen. So hat Friedrich Wilhelm I. von
Preußen schon bei Erlaß des Oorvus ?Mgrie,ig.imnr seine -- von den Ver¬
fassern freilich nicht verwirklichte -- Absicht dahin ausgesprochen, er habe
"das Landrecht in deutscher Sprache verfertigen lassen, damit ein jeder, der
einen Prozeß hat, solches selber nachsehen und, ob er Recht oder Unrecht habe,
daraus erlernen könne." Und der große Friedrich erließ am 14. April 1780
eine Kabinettsordre in Bezug auf die Kodifikation des Landrechts, in der er
sagt: "Was die Gesetze selbst betrifft, so finde ich es sehr unschicklich, daß
solche größtenteils in einer Sprache geschrieben sind, welche diejenigen nicht
verstehen, denen sie doch zu ihrer Richtschnur dienen sollen. Ihr müßt also
vorzüglich dahin sehen, daß alle Gesetze für unsre Staaten und Unterthanen
in ihrer eignen Sprache abgefaßt werden."

Ja das Streben nach Gemeinverständlichkeit der Gesetze geht noch weiter
zurück. Schon bei der Revision des württembergischen Landrechts bat 1567 der
Ausschuß, "es möchte alles in ein gemein, einfältig, landläufig gut Deutsch
gebracht werden." Und dieselbe Rücksicht war bei der bambergischen Hals¬
gerichtsordnung maßgebend, in deren Vorrede es heißt: "Wir haben auch in
dieser vnser ordnung vmb eigentlicher merkung vnd beheltnus willen des ge¬
meinen mans figur vnd rennen orden vnd drucken lassen."

Darüber, daß das Gesetz mit seinen Normen nicht nur, wie Thon an¬
nimmt, Vorschriften für den Richter enthält, wie er die Streitsachen zu ent¬
scheiden habe, sondern alle Volksgenossen unmittelbar binden, deren Lebens-
mut Rechtsverhältnisse regeln will, ehe sie vor den Richter gebracht werden,
darüber ist wohl heute kaum noch ernstlicher Streit. Richtet sich aber der
Befehl nicht nur an die Rechtsgelehrten und Richter, sondern an das ganze
Volk, so folgt daraus ohne weiteres, daß er auch in einer allem Volk ver¬
ständlichen Sprache ausgedrückt werden muß. Hiermit ist keineswegs das Ver-


Mas verlange» wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

weise zu legen und wissen ein reines und gutes Deutsch zu schützen. Daß aber
die deutsche Sprache „zur grammatischen und etymologischen Präzision" wenig
tauglich sei, wie derselbe Gelehrte behauptet, glaubt wohl kaum noch jemand,
und auch Savigny würde jetzt zugegeben, daß unsre Sprache eine solche sei,
in der ein Gesetzbuch geschrieben, und zwar gut geschrieben werden könne.
Ein Gesetzbuch als das bedeutendste und dauerndste Denkmal seiner Zeit und
Kultur soll daher auch die höchste Blüte dieser Kultur in jeder Richtung hin
sein und auch in der Sprache sich die zum Muster nehmen, die anerkannt
das beste Deutsch ihrer Zeit schreiben.

Ob der Entwurf mindestens diese Forderung erfüllt, bedarf also gleich¬
falls der Prüfung. Wie sollte der Reichstag nicht zu ihr berufen sein, da es
sich dabei doch wiederum nicht um rein technisch-juristische Dinge handelt?

Es ist aber überhaupt zuzusehen, ob es richtig sei, daß ein Gesetzbuch
sich bloß an den Richter und Rechtsgelehrten wende. Hervorragende Gesetz¬
geber sind darüber andrer Ansicht gewesen. So hat Friedrich Wilhelm I. von
Preußen schon bei Erlaß des Oorvus ?Mgrie,ig.imnr seine — von den Ver¬
fassern freilich nicht verwirklichte — Absicht dahin ausgesprochen, er habe
„das Landrecht in deutscher Sprache verfertigen lassen, damit ein jeder, der
einen Prozeß hat, solches selber nachsehen und, ob er Recht oder Unrecht habe,
daraus erlernen könne." Und der große Friedrich erließ am 14. April 1780
eine Kabinettsordre in Bezug auf die Kodifikation des Landrechts, in der er
sagt: „Was die Gesetze selbst betrifft, so finde ich es sehr unschicklich, daß
solche größtenteils in einer Sprache geschrieben sind, welche diejenigen nicht
verstehen, denen sie doch zu ihrer Richtschnur dienen sollen. Ihr müßt also
vorzüglich dahin sehen, daß alle Gesetze für unsre Staaten und Unterthanen
in ihrer eignen Sprache abgefaßt werden."

Ja das Streben nach Gemeinverständlichkeit der Gesetze geht noch weiter
zurück. Schon bei der Revision des württembergischen Landrechts bat 1567 der
Ausschuß, „es möchte alles in ein gemein, einfältig, landläufig gut Deutsch
gebracht werden." Und dieselbe Rücksicht war bei der bambergischen Hals¬
gerichtsordnung maßgebend, in deren Vorrede es heißt: „Wir haben auch in
dieser vnser ordnung vmb eigentlicher merkung vnd beheltnus willen des ge¬
meinen mans figur vnd rennen orden vnd drucken lassen."

Darüber, daß das Gesetz mit seinen Normen nicht nur, wie Thon an¬
nimmt, Vorschriften für den Richter enthält, wie er die Streitsachen zu ent¬
scheiden habe, sondern alle Volksgenossen unmittelbar binden, deren Lebens-
mut Rechtsverhältnisse regeln will, ehe sie vor den Richter gebracht werden,
darüber ist wohl heute kaum noch ernstlicher Streit. Richtet sich aber der
Befehl nicht nur an die Rechtsgelehrten und Richter, sondern an das ganze
Volk, so folgt daraus ohne weiteres, daß er auch in einer allem Volk ver¬
ständlichen Sprache ausgedrückt werden muß. Hiermit ist keineswegs das Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/279>, abgerufen am 16.06.2024.