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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

gcirtens zu holen. Wenn sie aufgeladen hatten, tranken sie mit uns Kaffee.
Und dabei machte die Kathrin jedesmal einen Witz. Ehe sie die Butter an¬
schnitt, gestikttlirte sie vorher mit dem Messer herum, als fürchtete sie sich davor,
und sagte mit schlauem Augenzwinkern: Ich mag nämlich keene fremde
Pütter! (Sie war unsre Lieferantin; zwar war ihre Butter so furchtbar ge¬
salzen, daß wir sie kaum essen konnten, und wir thaten uns daher manchmal
ein Pfund vom Dominium zu gute, aber ich habe es niemals übers Herz
gebracht, ihr das zu sagen.) Und wenn ich nicht genug lachte, sie daher nicht
recht sicher war, ob ich den Witz begriffen hätte, gab sie mir einen Rippenstoß
und fügte hinzu: Sie verstiehn doch, wie ichs meene? Dann erzählte sie die
Lebensgeschichte ihrer Kühe, beschrieb deren Tugenden und Laster, berichtete,
wies beim letzten Kälber hergegangen sei, und zum Abschiede sagte sie regel¬
müßig: Gott bezahls ooch fürs Heefutter und fürs Vasperbrut und für olls,
urbs übrige werd sich finden. Mit dem übrigen meinte sie die Bezahlung.
Wegen deren mußte sich der Christian erst nach dem Marktpreise des Heues
erkundigen, was gewöhnlich vierzehn Tage dauerte; dann brachte er das Geld
und bewies vor der Herausgabe in einem längern landwirtschaftlichen Vortrage,
daß er nicht mehr als 25 Böhmen geben könne. Am zweiten Tage des Neu¬
jahrsumgangs nahmen ich und der Kantor bei den Leuten das Mittagsmahl ein.
Wir hatten am Schluß unsrer Morgeupromenade ein paar Leute einer Nachbar-
Pfarrei zu besuchen, die ihrem xg.ro"zbu8 xroxrius zu weit entfernt wohnten, und
da erschien denn der Christian jedesmal in einem dieser Häuser und drängte, wir
möchten doch kommen, die Kathrin wär schon "ganz zwippelig" tungeduldig).
Wenn wir dann beim Mahle saßen: Rindsbrühe mit Reis und Schweinebraten,
und den wundervoll geratuen Braten lobten, da war der Christian doppelt stolz
ans seine Kathrin, bemerkte aber auch -- was wohl ein kleiner Stich aufs
Herrenleben der Geistlichen sein sollte: Nu ja, wenn mans alle Tage so haben
könnte, das wäre Wohl schön! Aber ein schrecklicher Hasenfuß war er, der
Christian. Er selbst erzählte mir mit unfreiwilligem Humor, mein Vorgänger
sei eines Sonntags Nachmittags fortgefahren und habe ihn als Wächter
bestellt, damit des Nachbars Jungen nicht in die Pflaumen gingen. Da habe
ich mich, berichtete er, mit einem Buche ins Sommerhaus gesetzt und die Thür
zugemacht. Und richtig, kaum habe ich mich gesetzt, da steigen die verdammten
Jungen über den Zaun und schütteln und hacken sich alle Taschen voll. Aber
glauben Sie, daß ich mich gerührt hätte? Nee, ich werd mich hüten und
werd mir den Grüttuerbauer zum Feinde machen. stockstill habe ich da drin
gesessen, und erst, als die Jungen fort waren, habe ich mich wieder heraus¬
geschlichen. Desto tapferer war er, wenn es die Ehre seiner "Mutter" oder
die Steuern galt. Einst kam er ganz aufgeregt zu mir. Denken Sie, was
mir passiren muß. Kommt in meiner Abwesenheit der Weiblich ins Haus,
und die Kathrin fragt ihn, was er will, der aber spricht, das könne er ihr


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

gcirtens zu holen. Wenn sie aufgeladen hatten, tranken sie mit uns Kaffee.
Und dabei machte die Kathrin jedesmal einen Witz. Ehe sie die Butter an¬
schnitt, gestikttlirte sie vorher mit dem Messer herum, als fürchtete sie sich davor,
und sagte mit schlauem Augenzwinkern: Ich mag nämlich keene fremde
Pütter! (Sie war unsre Lieferantin; zwar war ihre Butter so furchtbar ge¬
salzen, daß wir sie kaum essen konnten, und wir thaten uns daher manchmal
ein Pfund vom Dominium zu gute, aber ich habe es niemals übers Herz
gebracht, ihr das zu sagen.) Und wenn ich nicht genug lachte, sie daher nicht
recht sicher war, ob ich den Witz begriffen hätte, gab sie mir einen Rippenstoß
und fügte hinzu: Sie verstiehn doch, wie ichs meene? Dann erzählte sie die
Lebensgeschichte ihrer Kühe, beschrieb deren Tugenden und Laster, berichtete,
wies beim letzten Kälber hergegangen sei, und zum Abschiede sagte sie regel¬
müßig: Gott bezahls ooch fürs Heefutter und fürs Vasperbrut und für olls,
urbs übrige werd sich finden. Mit dem übrigen meinte sie die Bezahlung.
Wegen deren mußte sich der Christian erst nach dem Marktpreise des Heues
erkundigen, was gewöhnlich vierzehn Tage dauerte; dann brachte er das Geld
und bewies vor der Herausgabe in einem längern landwirtschaftlichen Vortrage,
daß er nicht mehr als 25 Böhmen geben könne. Am zweiten Tage des Neu¬
jahrsumgangs nahmen ich und der Kantor bei den Leuten das Mittagsmahl ein.
Wir hatten am Schluß unsrer Morgeupromenade ein paar Leute einer Nachbar-
Pfarrei zu besuchen, die ihrem xg.ro«zbu8 xroxrius zu weit entfernt wohnten, und
da erschien denn der Christian jedesmal in einem dieser Häuser und drängte, wir
möchten doch kommen, die Kathrin wär schon „ganz zwippelig" tungeduldig).
Wenn wir dann beim Mahle saßen: Rindsbrühe mit Reis und Schweinebraten,
und den wundervoll geratuen Braten lobten, da war der Christian doppelt stolz
ans seine Kathrin, bemerkte aber auch — was wohl ein kleiner Stich aufs
Herrenleben der Geistlichen sein sollte: Nu ja, wenn mans alle Tage so haben
könnte, das wäre Wohl schön! Aber ein schrecklicher Hasenfuß war er, der
Christian. Er selbst erzählte mir mit unfreiwilligem Humor, mein Vorgänger
sei eines Sonntags Nachmittags fortgefahren und habe ihn als Wächter
bestellt, damit des Nachbars Jungen nicht in die Pflaumen gingen. Da habe
ich mich, berichtete er, mit einem Buche ins Sommerhaus gesetzt und die Thür
zugemacht. Und richtig, kaum habe ich mich gesetzt, da steigen die verdammten
Jungen über den Zaun und schütteln und hacken sich alle Taschen voll. Aber
glauben Sie, daß ich mich gerührt hätte? Nee, ich werd mich hüten und
werd mir den Grüttuerbauer zum Feinde machen. stockstill habe ich da drin
gesessen, und erst, als die Jungen fort waren, habe ich mich wieder heraus¬
geschlichen. Desto tapferer war er, wenn es die Ehre seiner „Mutter" oder
die Steuern galt. Einst kam er ganz aufgeregt zu mir. Denken Sie, was
mir passiren muß. Kommt in meiner Abwesenheit der Weiblich ins Haus,
und die Kathrin fragt ihn, was er will, der aber spricht, das könne er ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/501>, abgerufen am 15.06.2024.