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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches



Am Weihnachtsabend

[Beginn Spaltensatz]

Alle

Lieber Heilger Christ,
Komm und hör! wir flöten,
Fiedeln und trompeten,
Komm, da's Weihnacht ist!
Bring viel schönes mit!
Was wir gerne haben,
Bring uns kleinen Knaben
In der Tasche mit!

Fritz

Mir ein Steckenpferdchen I

Ludwig

Mir ein Buxbaumgärtchen!

Herman u

Ach, ein Gänsewagen,
Die mit Füchsen jagen!

Hans

Und ein Harlekin
Mit der Violin!

Fritz

Und ein Grenader
Mit der Flinte mir!

Ludwig

Und viel Zuckerpuppen!'
[Spaltenumbruch]

Alle

Ach ja! Zuckerpuppen!
Mandeln und Rosinen!

Alle

Mandeln und Rosinen!

Hermann

Nuss und Honigkuchen!

Alle

Eia! Honigkuchen!
Und was sonst noch ist,
Lieber Heilger Christi

Hans

Aber keine Ruten!

Alle

Fi! die bösen Ruten!

Fritz

Denn wir sind ja fromm!

Alle

Ach so fromm, so fromm!
Heilger Christ, o komm!
Komm, da's Weihnacht ist,
Lieber Heilger Christ!
[Ende Spaltensatz]

Von dem ersten Liede ist kein Dichter angegeben. Das zweite ist unterzeichnet:
Overbeck, und es ist in der That von Christian Adolf Overbeck, dem Dichter von
"Komm, lieber Ma, und mache" (1776), "Blühe, liebes Veilchen" (1778).
"Warum sind der Thränen" (1731), "Das waren mir selige Tage" (1781) u. a.
und steht unter der Überschrift "Gesang der Knaben an den heiligen Krist" schon
in dem ersten Jahrgange des Voßischen Musenalmanachs (1777), eröffnet dann
auch wieder die 1781 unter dem Titel: Frizchens Lieder erschienene erste Samm¬
lung von Ovcrbecks Gedichten. Dann ist aber wohl auch das vorhergehende, nicht
unterzeichnete von Overbeck: die Überschrift "Frizchens Weihnachtsfreude" macht es
wenigstens sehr wahrscheinlich.

Wir entnehmen den Anhalt zu diesen Nachweisen der Gedichtsammlung: Als
der Großvater die Großmutter nahm, die vor kurzem in dritter, vermehrter
und vielfach verbesserter Auflage erschienen ist (Leipzig, Gnmow, 1895). Wir
empfehen das köstliche, einzig in seiner Art dastehende Buch, das in keinem ge¬
bildeten deutschen Hause fehlen sollte, noch aus einem ganz besondern Grunde:
der aufmerksame Leser wird daraus lernen, warum es vor hundert Jahren noch
keine "soziale Frage" in Deutschland gab. All der günstigern Bodenverteilung lag
es nicht bloß; auch gab es schon damals reiche und arme Menschen, sogar sehr


Maßgebliches und Unmaßgebliches



Am Weihnachtsabend

[Beginn Spaltensatz]

Alle

Lieber Heilger Christ,
Komm und hör! wir flöten,
Fiedeln und trompeten,
Komm, da's Weihnacht ist!
Bring viel schönes mit!
Was wir gerne haben,
Bring uns kleinen Knaben
In der Tasche mit!

Fritz

Mir ein Steckenpferdchen I

Ludwig

Mir ein Buxbaumgärtchen!

Herman u

Ach, ein Gänsewagen,
Die mit Füchsen jagen!

Hans

Und ein Harlekin
Mit der Violin!

Fritz

Und ein Grenader
Mit der Flinte mir!

Ludwig

Und viel Zuckerpuppen!'
[Spaltenumbruch]

Alle

Ach ja! Zuckerpuppen!
Mandeln und Rosinen!

Alle

Mandeln und Rosinen!

Hermann

Nuss und Honigkuchen!

Alle

Eia! Honigkuchen!
Und was sonst noch ist,
Lieber Heilger Christi

Hans

Aber keine Ruten!

Alle

Fi! die bösen Ruten!

Fritz

Denn wir sind ja fromm!

Alle

Ach so fromm, so fromm!
Heilger Christ, o komm!
Komm, da's Weihnacht ist,
Lieber Heilger Christ!
[Ende Spaltensatz]

Von dem ersten Liede ist kein Dichter angegeben. Das zweite ist unterzeichnet:
Overbeck, und es ist in der That von Christian Adolf Overbeck, dem Dichter von
„Komm, lieber Ma, und mache" (1776), „Blühe, liebes Veilchen" (1778).
„Warum sind der Thränen" (1731), „Das waren mir selige Tage" (1781) u. a.
und steht unter der Überschrift „Gesang der Knaben an den heiligen Krist" schon
in dem ersten Jahrgange des Voßischen Musenalmanachs (1777), eröffnet dann
auch wieder die 1781 unter dem Titel: Frizchens Lieder erschienene erste Samm¬
lung von Ovcrbecks Gedichten. Dann ist aber wohl auch das vorhergehende, nicht
unterzeichnete von Overbeck: die Überschrift „Frizchens Weihnachtsfreude" macht es
wenigstens sehr wahrscheinlich.

Wir entnehmen den Anhalt zu diesen Nachweisen der Gedichtsammlung: Als
der Großvater die Großmutter nahm, die vor kurzem in dritter, vermehrter
und vielfach verbesserter Auflage erschienen ist (Leipzig, Gnmow, 1895). Wir
empfehen das köstliche, einzig in seiner Art dastehende Buch, das in keinem ge¬
bildeten deutschen Hause fehlen sollte, noch aus einem ganz besondern Grunde:
der aufmerksame Leser wird daraus lernen, warum es vor hundert Jahren noch
keine „soziale Frage" in Deutschland gab. All der günstigern Bodenverteilung lag
es nicht bloß; auch gab es schon damals reiche und arme Menschen, sogar sehr


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[0510] Maßgebliches und Unmaßgebliches Am Weihnachtsabend Alle Lieber Heilger Christ, Komm und hör! wir flöten, Fiedeln und trompeten, Komm, da's Weihnacht ist! Bring viel schönes mit! Was wir gerne haben, Bring uns kleinen Knaben In der Tasche mit! Fritz Mir ein Steckenpferdchen I Ludwig Mir ein Buxbaumgärtchen! Herman u Ach, ein Gänsewagen, Die mit Füchsen jagen! Hans Und ein Harlekin Mit der Violin! Fritz Und ein Grenader Mit der Flinte mir! Ludwig Und viel Zuckerpuppen!' Alle Ach ja! Zuckerpuppen! Mandeln und Rosinen! Alle Mandeln und Rosinen! Hermann Nuss und Honigkuchen! Alle Eia! Honigkuchen! Und was sonst noch ist, Lieber Heilger Christi Hans Aber keine Ruten! Alle Fi! die bösen Ruten! Fritz Denn wir sind ja fromm! Alle Ach so fromm, so fromm! Heilger Christ, o komm! Komm, da's Weihnacht ist, Lieber Heilger Christ! Von dem ersten Liede ist kein Dichter angegeben. Das zweite ist unterzeichnet: Overbeck, und es ist in der That von Christian Adolf Overbeck, dem Dichter von „Komm, lieber Ma, und mache" (1776), „Blühe, liebes Veilchen" (1778). „Warum sind der Thränen" (1731), „Das waren mir selige Tage" (1781) u. a. und steht unter der Überschrift „Gesang der Knaben an den heiligen Krist" schon in dem ersten Jahrgange des Voßischen Musenalmanachs (1777), eröffnet dann auch wieder die 1781 unter dem Titel: Frizchens Lieder erschienene erste Samm¬ lung von Ovcrbecks Gedichten. Dann ist aber wohl auch das vorhergehende, nicht unterzeichnete von Overbeck: die Überschrift „Frizchens Weihnachtsfreude" macht es wenigstens sehr wahrscheinlich. Wir entnehmen den Anhalt zu diesen Nachweisen der Gedichtsammlung: Als der Großvater die Großmutter nahm, die vor kurzem in dritter, vermehrter und vielfach verbesserter Auflage erschienen ist (Leipzig, Gnmow, 1895). Wir empfehen das köstliche, einzig in seiner Art dastehende Buch, das in keinem ge¬ bildeten deutschen Hause fehlen sollte, noch aus einem ganz besondern Grunde: der aufmerksame Leser wird daraus lernen, warum es vor hundert Jahren noch keine „soziale Frage" in Deutschland gab. All der günstigern Bodenverteilung lag es nicht bloß; auch gab es schon damals reiche und arme Menschen, sogar sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/510>, abgerufen am 16.06.2024.