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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Hinabi

Hab ich euch nicht beieinanderstehn sehn? knirschte Xaver. Hab ich eure Heim¬
lichkeit nicht beobachtet? Das geht nit gut aus. Meinst, mich hält man zum
Narren? Einer von uns -- ich laß das Dirndl nicht, und du kommst mir nicht
ins Geheg! Damit warf er sich auf den andern und packte ihn an der Kehle,
indem er ihn die Straße hinauf drängte.

Dem Haust dunkelte es vor den Augen. Gut, rief er außer sich, wenn du
magst. Einer von uns beiden, keuchte er, indem er sich gewaltsam losriß. Der,
wenn er nicht mehr ist, steht dir auch nicht mehr im Wege, fuhr es ihm durch
den Sinn. Mag ers haben, wie er will!

Imi nächsten Augenblick glänzte ein Messer in seiner Hand, und er stand dem
Xaver sprungbereit gegenüber.

Ein Messer? gelt, du Schuft! stieß der Xaver zwischen deu Zähnen hervor;
und die Klinge flog im Mondlicht blitzend durch die Lust von dem Hiebe, den der
Haust unter den Arm empfing. Dann hatten sich beide gepackt und taumelten
ringend über die Straße. Es war oberhalb der Brücke. Sie stürzten gegen die
Brustwehr. Krachend bog sich der Balken und gab berstend nach, und die beiden
Ringenden schwebten über dem Abgrund.

Laß aus! schrie der Haust, wir fallen hinab!

Ich nicht, rief Xaver und drängte ihn hintenüber. Er fühlte, als fie beide
in die Kniee sanken, daß sein Gegner den Boden unter den Füßen verlor und
langsam sank, während er sich gegen das weichende Erdreich zu stemmen suchte.

Laß aus, oder ich zieh dich mit hinab, gurgelte Haust, indem er mit der
einen Hand wild nach den Nußstauden griff, die über dem Abhang hingen, und
mit der andern den Xaver an sich zu pressen suchte.

Mich nicht! keuchte Xaver und packte mit der freien Hand nach dem gebrochen
herabhängenden Balken der Brustwehr, während er die andre gegen die Brust des
Haust preßte.

Einen Augenblick hingen sie zwischen Tod und Leben. Dann war Xaver
allein. Er lag auf den Knieen und stemmte sich mit beiden Händen auf den
Erdboden. Aus der Schlucht löste der Bach herauf; es war ihm, als hätte er
den Ton vorher nicht gehört. Der Schwindel packte ihn, und er warf sich schaudernd
zurück. Krampfhaft klammerte er sich an den Pfosten der Brustwehr, den er über
sich fühlte, und zog sich so mühsam auf die Straße hinauf: er wagte nicht, sich
umzuwenden, deun es war ihm, als müßte der Boden unter ihm weichen. Dann
stand er bebend und nach Atem ringend auf; er wischte sich den Schweiß vom
Gesicht und starrte in die Tiefe zu seinen Füßen. Ich zieh dich hinab! dröhnte
es in seinen Ohren, und er wandte sich und raste den Berg hinan in wahnsinniger
Angst. Hinter ihm langten zwei Arme aus der Schlucht und suchten ihn zu packen.




Hinabi

Hab ich euch nicht beieinanderstehn sehn? knirschte Xaver. Hab ich eure Heim¬
lichkeit nicht beobachtet? Das geht nit gut aus. Meinst, mich hält man zum
Narren? Einer von uns — ich laß das Dirndl nicht, und du kommst mir nicht
ins Geheg! Damit warf er sich auf den andern und packte ihn an der Kehle,
indem er ihn die Straße hinauf drängte.

Dem Haust dunkelte es vor den Augen. Gut, rief er außer sich, wenn du
magst. Einer von uns beiden, keuchte er, indem er sich gewaltsam losriß. Der,
wenn er nicht mehr ist, steht dir auch nicht mehr im Wege, fuhr es ihm durch
den Sinn. Mag ers haben, wie er will!

Imi nächsten Augenblick glänzte ein Messer in seiner Hand, und er stand dem
Xaver sprungbereit gegenüber.

Ein Messer? gelt, du Schuft! stieß der Xaver zwischen deu Zähnen hervor;
und die Klinge flog im Mondlicht blitzend durch die Lust von dem Hiebe, den der
Haust unter den Arm empfing. Dann hatten sich beide gepackt und taumelten
ringend über die Straße. Es war oberhalb der Brücke. Sie stürzten gegen die
Brustwehr. Krachend bog sich der Balken und gab berstend nach, und die beiden
Ringenden schwebten über dem Abgrund.

Laß aus! schrie der Haust, wir fallen hinab!

Ich nicht, rief Xaver und drängte ihn hintenüber. Er fühlte, als fie beide
in die Kniee sanken, daß sein Gegner den Boden unter den Füßen verlor und
langsam sank, während er sich gegen das weichende Erdreich zu stemmen suchte.

Laß aus, oder ich zieh dich mit hinab, gurgelte Haust, indem er mit der
einen Hand wild nach den Nußstauden griff, die über dem Abhang hingen, und
mit der andern den Xaver an sich zu pressen suchte.

Mich nicht! keuchte Xaver und packte mit der freien Hand nach dem gebrochen
herabhängenden Balken der Brustwehr, während er die andre gegen die Brust des
Haust preßte.

Einen Augenblick hingen sie zwischen Tod und Leben. Dann war Xaver
allein. Er lag auf den Knieen und stemmte sich mit beiden Händen auf den
Erdboden. Aus der Schlucht löste der Bach herauf; es war ihm, als hätte er
den Ton vorher nicht gehört. Der Schwindel packte ihn, und er warf sich schaudernd
zurück. Krampfhaft klammerte er sich an den Pfosten der Brustwehr, den er über
sich fühlte, und zog sich so mühsam auf die Straße hinauf: er wagte nicht, sich
umzuwenden, deun es war ihm, als müßte der Boden unter ihm weichen. Dann
stand er bebend und nach Atem ringend auf; er wischte sich den Schweiß vom
Gesicht und starrte in die Tiefe zu seinen Füßen. Ich zieh dich hinab! dröhnte
es in seinen Ohren, und er wandte sich und raste den Berg hinan in wahnsinniger
Angst. Hinter ihm langten zwei Arme aus der Schlucht und suchten ihn zu packen.




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[0552] Hinabi Hab ich euch nicht beieinanderstehn sehn? knirschte Xaver. Hab ich eure Heim¬ lichkeit nicht beobachtet? Das geht nit gut aus. Meinst, mich hält man zum Narren? Einer von uns — ich laß das Dirndl nicht, und du kommst mir nicht ins Geheg! Damit warf er sich auf den andern und packte ihn an der Kehle, indem er ihn die Straße hinauf drängte. Dem Haust dunkelte es vor den Augen. Gut, rief er außer sich, wenn du magst. Einer von uns beiden, keuchte er, indem er sich gewaltsam losriß. Der, wenn er nicht mehr ist, steht dir auch nicht mehr im Wege, fuhr es ihm durch den Sinn. Mag ers haben, wie er will! Imi nächsten Augenblick glänzte ein Messer in seiner Hand, und er stand dem Xaver sprungbereit gegenüber. Ein Messer? gelt, du Schuft! stieß der Xaver zwischen deu Zähnen hervor; und die Klinge flog im Mondlicht blitzend durch die Lust von dem Hiebe, den der Haust unter den Arm empfing. Dann hatten sich beide gepackt und taumelten ringend über die Straße. Es war oberhalb der Brücke. Sie stürzten gegen die Brustwehr. Krachend bog sich der Balken und gab berstend nach, und die beiden Ringenden schwebten über dem Abgrund. Laß aus! schrie der Haust, wir fallen hinab! Ich nicht, rief Xaver und drängte ihn hintenüber. Er fühlte, als fie beide in die Kniee sanken, daß sein Gegner den Boden unter den Füßen verlor und langsam sank, während er sich gegen das weichende Erdreich zu stemmen suchte. Laß aus, oder ich zieh dich mit hinab, gurgelte Haust, indem er mit der einen Hand wild nach den Nußstauden griff, die über dem Abhang hingen, und mit der andern den Xaver an sich zu pressen suchte. Mich nicht! keuchte Xaver und packte mit der freien Hand nach dem gebrochen herabhängenden Balken der Brustwehr, während er die andre gegen die Brust des Haust preßte. Einen Augenblick hingen sie zwischen Tod und Leben. Dann war Xaver allein. Er lag auf den Knieen und stemmte sich mit beiden Händen auf den Erdboden. Aus der Schlucht löste der Bach herauf; es war ihm, als hätte er den Ton vorher nicht gehört. Der Schwindel packte ihn, und er warf sich schaudernd zurück. Krampfhaft klammerte er sich an den Pfosten der Brustwehr, den er über sich fühlte, und zog sich so mühsam auf die Straße hinauf: er wagte nicht, sich umzuwenden, deun es war ihm, als müßte der Boden unter ihm weichen. Dann stand er bebend und nach Atem ringend auf; er wischte sich den Schweiß vom Gesicht und starrte in die Tiefe zu seinen Füßen. Ich zieh dich hinab! dröhnte es in seinen Ohren, und er wandte sich und raste den Berg hinan in wahnsinniger Angst. Hinter ihm langten zwei Arme aus der Schlucht und suchten ihn zu packen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/552>, abgerufen am 16.06.2024.