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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

und rechtschaffner Denkungsart hinlängliche Proben abgelegt haben, sollen mit
Sekretär-, Registrator- und andern dergleichen subalternen Stellen bei Ober-
und Untergerichten versorgt werden."

Während also für die Art der "Versorgung" im wesentlichen der höhere
oder geringere Grad der Befähigung entscheidet, sind "Fleiß, Applikation, Liebe
zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen" die Voraussetzungen für die
Anstellung jedes "Justizbedienten." Eine Auswahl unter den Referendaren ist
also gestattet, denn nur die sollen angestellt werden, die sich dnrch jene Tugenden
auszeichnen. Aber es ist doch nur eine sehr beschränkte Auswahl, denn diese
Tugenden sollen auch den Subalternen auszeichnen, es dürfen bei der Auswahl
der Richter keine höhern Charaktereigenschaften gemacht werden, als bei der
Auswahl der Subalternbeamten. Man kann sich still und ordentlich betragen,
ohne besondre Festigkeit des Charakters, Ruhe, Besonnenheit, Furchtlosigkeit
und Objektivität zu haben. Referendare, die fleißig sind, sich still und ruhig
betragen und durch das Bestehen der Prüfung ihre "Applikation" und ihre
Qualifikation bewiesen haben, "sollen" also als Richter angestellt werden. Zwar
können sie dies Recht nicht durch Prozeß erzwingen, weil es ein Recht staats¬
rechtlicher Natur ist, aber in einem Rechtsstaat ist der Minister für die Wahrung
der Gesetze verantwortlich, mögen diese einen erzwingbaren Anspruch gewähren
oder nicht.

Diese Rechtslage ist durch die spätere Gesetzgebung nur insoweit geändert
worden, als nach Z 36 der Verordnung vom 2. Januar 1849 und Z 11 des
Gesetzes vom 6. Mai 1879 Referendare, die die große Staatsprüfung be¬
standen haben, zu unbesoldeten Gerichtsasfesforen "bestellt werden," also eine
Verpflichtung anerkannt ist, diese Referendare zu Gerichtsasfesforen zu ernennen.
Man könnte freilich aus Z 1 des Gesetzes vom 12. März 1869: "Wer in
einem Landesteile unsrer Monarchie nach den dort geltenden Bestimmungen die
Befähigung erlangt hat, das Amt eines Richters bei einem Kollegialgericht
zu bekleiden, kann in allen Landesteilen unsrer Monarchie als Richter, Rechts-
anwalt oder als Beamter der Staatsanwaltschaft angestellt werden," den Schluß
ziehen, daß die Justizverwaltung nur die Befugnis, nicht aber die Pflicht haben
solle, die Assessoren anzustellen; aber das Gesetz will das bisherige Recht nicht
verändern, sondern sein Zweck ist, wie in den Motiven ausgesprochen ist, kein
andrer, als den Grundsatz durchzuführen, daß der, der in einem Landesteile
der Monarchie die Befähigung zum Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt
erlangt hat, auch für befähigt zu erachten sei, dasselbe Amt auch in einem
andern Landesteile wahrzunehmen, es sollten in dieser Beziehung nur die neu
ermorbnen Provinzen mit den alten gleichgestellt werden. Auch die preußische
Verfassung, auf die man sich für die Behauptung beruft, daß eine Verpflichtung
zur Anstellung der Assessoren nicht bestehe, hebt die Vorschrift der Gerichts¬
ordnung nicht auf. Wenn sie im Artikel 47 bestimmt: "Der König besetzt


Zur Assessorenfrage in Preußen

und rechtschaffner Denkungsart hinlängliche Proben abgelegt haben, sollen mit
Sekretär-, Registrator- und andern dergleichen subalternen Stellen bei Ober-
und Untergerichten versorgt werden."

Während also für die Art der „Versorgung" im wesentlichen der höhere
oder geringere Grad der Befähigung entscheidet, sind „Fleiß, Applikation, Liebe
zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen" die Voraussetzungen für die
Anstellung jedes „Justizbedienten." Eine Auswahl unter den Referendaren ist
also gestattet, denn nur die sollen angestellt werden, die sich dnrch jene Tugenden
auszeichnen. Aber es ist doch nur eine sehr beschränkte Auswahl, denn diese
Tugenden sollen auch den Subalternen auszeichnen, es dürfen bei der Auswahl
der Richter keine höhern Charaktereigenschaften gemacht werden, als bei der
Auswahl der Subalternbeamten. Man kann sich still und ordentlich betragen,
ohne besondre Festigkeit des Charakters, Ruhe, Besonnenheit, Furchtlosigkeit
und Objektivität zu haben. Referendare, die fleißig sind, sich still und ruhig
betragen und durch das Bestehen der Prüfung ihre „Applikation" und ihre
Qualifikation bewiesen haben, „sollen" also als Richter angestellt werden. Zwar
können sie dies Recht nicht durch Prozeß erzwingen, weil es ein Recht staats¬
rechtlicher Natur ist, aber in einem Rechtsstaat ist der Minister für die Wahrung
der Gesetze verantwortlich, mögen diese einen erzwingbaren Anspruch gewähren
oder nicht.

Diese Rechtslage ist durch die spätere Gesetzgebung nur insoweit geändert
worden, als nach Z 36 der Verordnung vom 2. Januar 1849 und Z 11 des
Gesetzes vom 6. Mai 1879 Referendare, die die große Staatsprüfung be¬
standen haben, zu unbesoldeten Gerichtsasfesforen „bestellt werden," also eine
Verpflichtung anerkannt ist, diese Referendare zu Gerichtsasfesforen zu ernennen.
Man könnte freilich aus Z 1 des Gesetzes vom 12. März 1869: „Wer in
einem Landesteile unsrer Monarchie nach den dort geltenden Bestimmungen die
Befähigung erlangt hat, das Amt eines Richters bei einem Kollegialgericht
zu bekleiden, kann in allen Landesteilen unsrer Monarchie als Richter, Rechts-
anwalt oder als Beamter der Staatsanwaltschaft angestellt werden," den Schluß
ziehen, daß die Justizverwaltung nur die Befugnis, nicht aber die Pflicht haben
solle, die Assessoren anzustellen; aber das Gesetz will das bisherige Recht nicht
verändern, sondern sein Zweck ist, wie in den Motiven ausgesprochen ist, kein
andrer, als den Grundsatz durchzuführen, daß der, der in einem Landesteile
der Monarchie die Befähigung zum Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt
erlangt hat, auch für befähigt zu erachten sei, dasselbe Amt auch in einem
andern Landesteile wahrzunehmen, es sollten in dieser Beziehung nur die neu
ermorbnen Provinzen mit den alten gleichgestellt werden. Auch die preußische
Verfassung, auf die man sich für die Behauptung beruft, daß eine Verpflichtung
zur Anstellung der Assessoren nicht bestehe, hebt die Vorschrift der Gerichts¬
ordnung nicht auf. Wenn sie im Artikel 47 bestimmt: „Der König besetzt


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[0112] Zur Assessorenfrage in Preußen und rechtschaffner Denkungsart hinlängliche Proben abgelegt haben, sollen mit Sekretär-, Registrator- und andern dergleichen subalternen Stellen bei Ober- und Untergerichten versorgt werden." Während also für die Art der „Versorgung" im wesentlichen der höhere oder geringere Grad der Befähigung entscheidet, sind „Fleiß, Applikation, Liebe zur Arbeit, stilles und ordentliches Betragen" die Voraussetzungen für die Anstellung jedes „Justizbedienten." Eine Auswahl unter den Referendaren ist also gestattet, denn nur die sollen angestellt werden, die sich dnrch jene Tugenden auszeichnen. Aber es ist doch nur eine sehr beschränkte Auswahl, denn diese Tugenden sollen auch den Subalternen auszeichnen, es dürfen bei der Auswahl der Richter keine höhern Charaktereigenschaften gemacht werden, als bei der Auswahl der Subalternbeamten. Man kann sich still und ordentlich betragen, ohne besondre Festigkeit des Charakters, Ruhe, Besonnenheit, Furchtlosigkeit und Objektivität zu haben. Referendare, die fleißig sind, sich still und ruhig betragen und durch das Bestehen der Prüfung ihre „Applikation" und ihre Qualifikation bewiesen haben, „sollen" also als Richter angestellt werden. Zwar können sie dies Recht nicht durch Prozeß erzwingen, weil es ein Recht staats¬ rechtlicher Natur ist, aber in einem Rechtsstaat ist der Minister für die Wahrung der Gesetze verantwortlich, mögen diese einen erzwingbaren Anspruch gewähren oder nicht. Diese Rechtslage ist durch die spätere Gesetzgebung nur insoweit geändert worden, als nach Z 36 der Verordnung vom 2. Januar 1849 und Z 11 des Gesetzes vom 6. Mai 1879 Referendare, die die große Staatsprüfung be¬ standen haben, zu unbesoldeten Gerichtsasfesforen „bestellt werden," also eine Verpflichtung anerkannt ist, diese Referendare zu Gerichtsasfesforen zu ernennen. Man könnte freilich aus Z 1 des Gesetzes vom 12. März 1869: „Wer in einem Landesteile unsrer Monarchie nach den dort geltenden Bestimmungen die Befähigung erlangt hat, das Amt eines Richters bei einem Kollegialgericht zu bekleiden, kann in allen Landesteilen unsrer Monarchie als Richter, Rechts- anwalt oder als Beamter der Staatsanwaltschaft angestellt werden," den Schluß ziehen, daß die Justizverwaltung nur die Befugnis, nicht aber die Pflicht haben solle, die Assessoren anzustellen; aber das Gesetz will das bisherige Recht nicht verändern, sondern sein Zweck ist, wie in den Motiven ausgesprochen ist, kein andrer, als den Grundsatz durchzuführen, daß der, der in einem Landesteile der Monarchie die Befähigung zum Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt erlangt hat, auch für befähigt zu erachten sei, dasselbe Amt auch in einem andern Landesteile wahrzunehmen, es sollten in dieser Beziehung nur die neu ermorbnen Provinzen mit den alten gleichgestellt werden. Auch die preußische Verfassung, auf die man sich für die Behauptung beruft, daß eine Verpflichtung zur Anstellung der Assessoren nicht bestehe, hebt die Vorschrift der Gerichts¬ ordnung nicht auf. Wenn sie im Artikel 47 bestimmt: „Der König besetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/112>, abgerufen am 23.05.2024.