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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Zwischenhandel

Material- und Kolonialwaren, und zwei, die mit Manufakturwaren handelten.
Der Bedarf dieser 1000 Familien an Kolonialwaren, also an Lebensmitteln,
belief sich auf 600 Mark täglich, worein sich die beiden Kaufleute teilten.
Jeder Kaufmann hatte also am Tage eine Einnahme von 300 Mark, d. h. er
und sein Haus hatten Tag für Tag die Arbeit der Warenverteilung zu ver¬
richten bis zum Gesamtwert von 300 Mark. Dabei hatte jeder sein gutes
Einkommen, wenn er durchschnittlich 7 bis 8 Prozent Gewinn nahm. Es blieben
also jedem am Tage 21 bis 24 Mark übrig, wovon er die Kosten der Ge¬
schäftsführung und seines Haushalts gut, sogar reichlich bestreikn konnte.

Aber bald änderte sich die Lage in Wohlbnrg: im Jahre 1885 kamen
noch zwei Kaufleute, im Jahre 1888 wieder zwei dazu, und heute sind es zehn
Kaufleute, die ihre hohe Lebensaufgabe darin erblicken, den 4000 Einwohnern
oder vielmehr 4001 -- denn die Stadt Wohlburg hat sich inzwischen um einen
Kopf vermehrt! -- den Bedarf an Lebensmitteln, nämlich immer noch 600 Mark
täglich, auszuteilen. Es füllt natürlich den Wohlburger Bürgern nicht ein,
den Kaufleuten zuliebe auf einmal mehr Heringe zu essen, mehr Kaffee zu
trinken oder die Petroleumlampen Tag und Nacht zu brennen. Jeder einzelne
Kaufmann hat also jetzt den zehnten Teil des Wohlburger Bedarfs zu decken.
Wo früher mit einem Kommis und einem Lehrling für 300 Mark Waren aus¬
geteilt wurden, da klappern jetzt abends nur 60 Mark in der Kasse. Dieselbe
Arbeit also, die von denselben Personen früher in aller Gemütlichkeit an einem
Tage gethan wurde, wird jetzt erst in fünf Tagen erledigt. Wer bezahlt
nun die Zeit, die, da an zwei Stellen nur wirkliche Arbeit zu verrichten sein
würde, an acht Stellen vergeudet wird? Nun, wer weiter als der Konsument!
Während die beiden ersten Kaufleute bei ihrer täglichen Arbeitsleistung eine
Einnahme von 300 Mark und bei einem Gewinn von 7 bis 8 Prozent einen
Gewinn von 21 bis 24 Mark hatten, müssen heute alle zehn Kaufleute bei
den Einnahmen von 60 Mark 35 bis 40 Prozent Gewinn haben, wenn sie
nicht alle zehn zu Grunde gehen wollen. Und da sie nicht zu Grunde gehen,
so nehmen sie eben 35 bis 40 Prozent; der Konsument muß es zahlen.

Der Verfasser ist also der Meinung, die Konkurrenz mache die Waren
teuer.

Weiterhin erzählt er noch, daß auch die Reisenden wegen dieser Kon¬
kurrenz Zeit verschwenden müßten, da sie, um diese Warenmengen abzusetzen,
zehn statt zwei Kaufleute zu besuchen hätten. Auch die Zersplitterung auf dem
Transport vom Grossisten zum Detaillisten verteure die Waren.

Um dann ein Beispiel ans einer großen Stadt zu geben, wählt Uhlen-
horst den Steindamm in Se. Georg zu Hamburg, eine Vorstadtstraße von etwa
1200 Metern Länge. Dort findet man unter anderm 26 Läden für Wäsche,
22 Läden für Luxus-, Papier- und Galanteriewaren, 20 Läden für Dcnnen-
gardervbe und Hüte, 12 Läden für Herreukleider, 14 Läden für Haus- und


Der Zwischenhandel

Material- und Kolonialwaren, und zwei, die mit Manufakturwaren handelten.
Der Bedarf dieser 1000 Familien an Kolonialwaren, also an Lebensmitteln,
belief sich auf 600 Mark täglich, worein sich die beiden Kaufleute teilten.
Jeder Kaufmann hatte also am Tage eine Einnahme von 300 Mark, d. h. er
und sein Haus hatten Tag für Tag die Arbeit der Warenverteilung zu ver¬
richten bis zum Gesamtwert von 300 Mark. Dabei hatte jeder sein gutes
Einkommen, wenn er durchschnittlich 7 bis 8 Prozent Gewinn nahm. Es blieben
also jedem am Tage 21 bis 24 Mark übrig, wovon er die Kosten der Ge¬
schäftsführung und seines Haushalts gut, sogar reichlich bestreikn konnte.

Aber bald änderte sich die Lage in Wohlbnrg: im Jahre 1885 kamen
noch zwei Kaufleute, im Jahre 1888 wieder zwei dazu, und heute sind es zehn
Kaufleute, die ihre hohe Lebensaufgabe darin erblicken, den 4000 Einwohnern
oder vielmehr 4001 — denn die Stadt Wohlburg hat sich inzwischen um einen
Kopf vermehrt! — den Bedarf an Lebensmitteln, nämlich immer noch 600 Mark
täglich, auszuteilen. Es füllt natürlich den Wohlburger Bürgern nicht ein,
den Kaufleuten zuliebe auf einmal mehr Heringe zu essen, mehr Kaffee zu
trinken oder die Petroleumlampen Tag und Nacht zu brennen. Jeder einzelne
Kaufmann hat also jetzt den zehnten Teil des Wohlburger Bedarfs zu decken.
Wo früher mit einem Kommis und einem Lehrling für 300 Mark Waren aus¬
geteilt wurden, da klappern jetzt abends nur 60 Mark in der Kasse. Dieselbe
Arbeit also, die von denselben Personen früher in aller Gemütlichkeit an einem
Tage gethan wurde, wird jetzt erst in fünf Tagen erledigt. Wer bezahlt
nun die Zeit, die, da an zwei Stellen nur wirkliche Arbeit zu verrichten sein
würde, an acht Stellen vergeudet wird? Nun, wer weiter als der Konsument!
Während die beiden ersten Kaufleute bei ihrer täglichen Arbeitsleistung eine
Einnahme von 300 Mark und bei einem Gewinn von 7 bis 8 Prozent einen
Gewinn von 21 bis 24 Mark hatten, müssen heute alle zehn Kaufleute bei
den Einnahmen von 60 Mark 35 bis 40 Prozent Gewinn haben, wenn sie
nicht alle zehn zu Grunde gehen wollen. Und da sie nicht zu Grunde gehen,
so nehmen sie eben 35 bis 40 Prozent; der Konsument muß es zahlen.

Der Verfasser ist also der Meinung, die Konkurrenz mache die Waren
teuer.

Weiterhin erzählt er noch, daß auch die Reisenden wegen dieser Kon¬
kurrenz Zeit verschwenden müßten, da sie, um diese Warenmengen abzusetzen,
zehn statt zwei Kaufleute zu besuchen hätten. Auch die Zersplitterung auf dem
Transport vom Grossisten zum Detaillisten verteure die Waren.

Um dann ein Beispiel ans einer großen Stadt zu geben, wählt Uhlen-
horst den Steindamm in Se. Georg zu Hamburg, eine Vorstadtstraße von etwa
1200 Metern Länge. Dort findet man unter anderm 26 Läden für Wäsche,
22 Läden für Luxus-, Papier- und Galanteriewaren, 20 Läden für Dcnnen-
gardervbe und Hüte, 12 Läden für Herreukleider, 14 Läden für Haus- und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/15>, abgerufen am 13.05.2024.