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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Pflicht der Gesellschaft

dem Kreuz. Es wäre auch thöricht, von der Gesellschaft zu verlange", daß
sie sich jedem, der mit Vorschlägen zu ihrer Umbildung an sie herantritt, auf
Gnade oder Ungnade ergeben sollte, obwohl sie in Wirklichkeit oft genug dem
ersten besten Schwindler in die Hände fällt; noch in höherm Grade als für
den Künstler gilt für den Thatmenschen das Wort: Hilf dir selber, und dir
wird Gott helfen. Und er hilft sich, oder er geht eben unter, wenn die Zeit
für seine Ideen noch nicht reif ist, wenn seine Kraft nicht ausreicht. Aber
wie das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen als Thätigkeit im höhern
Sinne, so wäre die UmWandlungsfähigkeit der Gesellschaft im allgemeinen
anzuerkennen, es müßte nicht jede auftauchende neue Idee von vornherein als
staatsgeführlich, jede soziale Bestrebung als verwerflich angesehen werden.
Gewiß giebt es Zeiten, für die das Huiotg. mein inovero! gilt, es giebt aber
auch andre, die die Reform förmlich herausfordern, und es geht natürlich nicht
an, die äußere Umgestaltung der Welt, wie sie Dampfkraft und Elektrizität in
uusern Tagen vollziehen, zu wollen, die sich aus dieser Umgestaltung für das
Volksleben ergebenden Folgen aber nicht. Man kann einen Fortschritt weder
erzwingen noch aufhalten, man kann die großen Männer weder künstlich her¬
vorrufen noch jedermann nötigen, vor ihnen die Waffen zu strecken, aber man
kaun ihnen das Lebensrccht grundsätzlich zugestehen und ihnen einen gewissen
Schutz gewähren, indem man jede Gesellschaftsordnung als verbesserungsfähig
anerkennt und sich anschickt, Ideen mit Ideen zu bekämpfen. Die Gemeinheit
freilich wurzelt auch in der menschlichen Natur, und noch jedem großen Mann
sind die Elenden gefolgt, die ihn mit Schmutz zu bewerfen suchten. Es sollte
aber endlich kein Zweifel darüber bleiben, daß die Gesellschaft als Ganzes
wenigstens der Geschichte dafür verantwortlich ist, wie eine Zeit ihren großen
Mann behandelt, und daß, wenn auch Neid und Haß unausrottbar, doch Tücke,
Niederträchtigkeit und Roheit gesitteter Nationen unwürdig sind und umso
mehr schänden, wenn sie einer gefallnen wahren Größe gegenüber angewandt
werden. Kurz, die Gesellschaft muß von ihren Mitgliedern ehrlichen und offnen
Kampf erzwingen, und sie kann das auch bis zu einem gewissen Grade, wie
das selbst die Haltung der Presse bei einigen Völkern zu bestimmten Zeiten
gezeigt hat. Das ist der Schutz der Persönlichkeit, zu dem sie verpflichtet ist,
und dessen selbst der mächtigste Mann nicht entbehren kann.

Die bedeutende Persönlichkeit wird aber unter allen Umständen eine
schwierige Stellung in der Gesellschaft haben, vermag diese doch selbst die ge¬
wöhnliche nicht hinreichend zu schützen. Allerdings gewährt sie einen bestimmten
Schutz ja schon jetzt, sie bietet Gelegenheit, das, was man Ehre und "Repu-
tation" nennt, zu verteidigen, sei es auf gesetzlichem Wege, sei es auf dem bloß
gesellschaftlich anerkannter Sitte, z. V. dem des Zweikampfs. Aber der Begriff
Ehre ist stets wesentlich ein Formbegriff; je bedeutender ein Mensch ist, umso
weniger wird er geneigt sein, zu glauben, daß mit der Wahrung dieser Ehre


Die Pflicht der Gesellschaft

dem Kreuz. Es wäre auch thöricht, von der Gesellschaft zu verlange», daß
sie sich jedem, der mit Vorschlägen zu ihrer Umbildung an sie herantritt, auf
Gnade oder Ungnade ergeben sollte, obwohl sie in Wirklichkeit oft genug dem
ersten besten Schwindler in die Hände fällt; noch in höherm Grade als für
den Künstler gilt für den Thatmenschen das Wort: Hilf dir selber, und dir
wird Gott helfen. Und er hilft sich, oder er geht eben unter, wenn die Zeit
für seine Ideen noch nicht reif ist, wenn seine Kraft nicht ausreicht. Aber
wie das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen als Thätigkeit im höhern
Sinne, so wäre die UmWandlungsfähigkeit der Gesellschaft im allgemeinen
anzuerkennen, es müßte nicht jede auftauchende neue Idee von vornherein als
staatsgeführlich, jede soziale Bestrebung als verwerflich angesehen werden.
Gewiß giebt es Zeiten, für die das Huiotg. mein inovero! gilt, es giebt aber
auch andre, die die Reform förmlich herausfordern, und es geht natürlich nicht
an, die äußere Umgestaltung der Welt, wie sie Dampfkraft und Elektrizität in
uusern Tagen vollziehen, zu wollen, die sich aus dieser Umgestaltung für das
Volksleben ergebenden Folgen aber nicht. Man kann einen Fortschritt weder
erzwingen noch aufhalten, man kann die großen Männer weder künstlich her¬
vorrufen noch jedermann nötigen, vor ihnen die Waffen zu strecken, aber man
kaun ihnen das Lebensrccht grundsätzlich zugestehen und ihnen einen gewissen
Schutz gewähren, indem man jede Gesellschaftsordnung als verbesserungsfähig
anerkennt und sich anschickt, Ideen mit Ideen zu bekämpfen. Die Gemeinheit
freilich wurzelt auch in der menschlichen Natur, und noch jedem großen Mann
sind die Elenden gefolgt, die ihn mit Schmutz zu bewerfen suchten. Es sollte
aber endlich kein Zweifel darüber bleiben, daß die Gesellschaft als Ganzes
wenigstens der Geschichte dafür verantwortlich ist, wie eine Zeit ihren großen
Mann behandelt, und daß, wenn auch Neid und Haß unausrottbar, doch Tücke,
Niederträchtigkeit und Roheit gesitteter Nationen unwürdig sind und umso
mehr schänden, wenn sie einer gefallnen wahren Größe gegenüber angewandt
werden. Kurz, die Gesellschaft muß von ihren Mitgliedern ehrlichen und offnen
Kampf erzwingen, und sie kann das auch bis zu einem gewissen Grade, wie
das selbst die Haltung der Presse bei einigen Völkern zu bestimmten Zeiten
gezeigt hat. Das ist der Schutz der Persönlichkeit, zu dem sie verpflichtet ist,
und dessen selbst der mächtigste Mann nicht entbehren kann.

Die bedeutende Persönlichkeit wird aber unter allen Umständen eine
schwierige Stellung in der Gesellschaft haben, vermag diese doch selbst die ge¬
wöhnliche nicht hinreichend zu schützen. Allerdings gewährt sie einen bestimmten
Schutz ja schon jetzt, sie bietet Gelegenheit, das, was man Ehre und „Repu-
tation" nennt, zu verteidigen, sei es auf gesetzlichem Wege, sei es auf dem bloß
gesellschaftlich anerkannter Sitte, z. V. dem des Zweikampfs. Aber der Begriff
Ehre ist stets wesentlich ein Formbegriff; je bedeutender ein Mensch ist, umso
weniger wird er geneigt sein, zu glauben, daß mit der Wahrung dieser Ehre


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[0220] Die Pflicht der Gesellschaft dem Kreuz. Es wäre auch thöricht, von der Gesellschaft zu verlange», daß sie sich jedem, der mit Vorschlägen zu ihrer Umbildung an sie herantritt, auf Gnade oder Ungnade ergeben sollte, obwohl sie in Wirklichkeit oft genug dem ersten besten Schwindler in die Hände fällt; noch in höherm Grade als für den Künstler gilt für den Thatmenschen das Wort: Hilf dir selber, und dir wird Gott helfen. Und er hilft sich, oder er geht eben unter, wenn die Zeit für seine Ideen noch nicht reif ist, wenn seine Kraft nicht ausreicht. Aber wie das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen als Thätigkeit im höhern Sinne, so wäre die UmWandlungsfähigkeit der Gesellschaft im allgemeinen anzuerkennen, es müßte nicht jede auftauchende neue Idee von vornherein als staatsgeführlich, jede soziale Bestrebung als verwerflich angesehen werden. Gewiß giebt es Zeiten, für die das Huiotg. mein inovero! gilt, es giebt aber auch andre, die die Reform förmlich herausfordern, und es geht natürlich nicht an, die äußere Umgestaltung der Welt, wie sie Dampfkraft und Elektrizität in uusern Tagen vollziehen, zu wollen, die sich aus dieser Umgestaltung für das Volksleben ergebenden Folgen aber nicht. Man kann einen Fortschritt weder erzwingen noch aufhalten, man kann die großen Männer weder künstlich her¬ vorrufen noch jedermann nötigen, vor ihnen die Waffen zu strecken, aber man kaun ihnen das Lebensrccht grundsätzlich zugestehen und ihnen einen gewissen Schutz gewähren, indem man jede Gesellschaftsordnung als verbesserungsfähig anerkennt und sich anschickt, Ideen mit Ideen zu bekämpfen. Die Gemeinheit freilich wurzelt auch in der menschlichen Natur, und noch jedem großen Mann sind die Elenden gefolgt, die ihn mit Schmutz zu bewerfen suchten. Es sollte aber endlich kein Zweifel darüber bleiben, daß die Gesellschaft als Ganzes wenigstens der Geschichte dafür verantwortlich ist, wie eine Zeit ihren großen Mann behandelt, und daß, wenn auch Neid und Haß unausrottbar, doch Tücke, Niederträchtigkeit und Roheit gesitteter Nationen unwürdig sind und umso mehr schänden, wenn sie einer gefallnen wahren Größe gegenüber angewandt werden. Kurz, die Gesellschaft muß von ihren Mitgliedern ehrlichen und offnen Kampf erzwingen, und sie kann das auch bis zu einem gewissen Grade, wie das selbst die Haltung der Presse bei einigen Völkern zu bestimmten Zeiten gezeigt hat. Das ist der Schutz der Persönlichkeit, zu dem sie verpflichtet ist, und dessen selbst der mächtigste Mann nicht entbehren kann. Die bedeutende Persönlichkeit wird aber unter allen Umständen eine schwierige Stellung in der Gesellschaft haben, vermag diese doch selbst die ge¬ wöhnliche nicht hinreichend zu schützen. Allerdings gewährt sie einen bestimmten Schutz ja schon jetzt, sie bietet Gelegenheit, das, was man Ehre und „Repu- tation" nennt, zu verteidigen, sei es auf gesetzlichem Wege, sei es auf dem bloß gesellschaftlich anerkannter Sitte, z. V. dem des Zweikampfs. Aber der Begriff Ehre ist stets wesentlich ein Formbegriff; je bedeutender ein Mensch ist, umso weniger wird er geneigt sein, zu glauben, daß mit der Wahrung dieser Ehre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/220>, abgerufen am 26.05.2024.