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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Duellfrage

er Reichstag but am Lo. April einstimmig beschlossen, "die ver¬
bündeten Regierungen zu ersuchen, mit allen ihnen zu Gebote
stehenden Mitteln dem mit den Strafgesetzen in Widerspruch stehenden
Duellwesen mit Entschiedenheit entgegenzutreten." Der Einstimmig¬
keit des Beschlusses entsprach nicht eine Einmütigkeit darüber, was
geschehen solle, und wie es zu geschehen habe. Die Erklärung vom
Regiernngstisch sagte darüber gar nichts, sie sagte überhaupt nichts. Wie aber die
Verhältnisse liegen, konnte dieser Verlauf niemand überraschen. Der Reichstag hat
einer Anstandspflicht genügt, zur Lösung der Duellfrage hat er nichts beigetragen.
Das deutsche Volk hat nicht mehr von ihm erwarten können; auch in dieser Frage,
mehr noch als in vielen andern, kann das deutsche Volk seine Hoffnung nur auf
den deutschen Kaiser, auf die deutschen Fürsten setze".

Es ist in der That recht eigentlich eine Aufgabe des deutschen Kaisers und
der deutscheu Fürsten, dem Rechts- und Sittlichkeitsgefühl des deutschen Volkes in
der Duellfrage Genugthuung zu verschaffen.

Adel und Offizierstnnd sind die Hanpttrngcr der Unsitte des Zweikampfs. Der
deutsche Edelmann will noch heute sein Waffenrecht behaupten. Das Faustrecht,
die bewaffnete Selbsthilfe erscheint ihm trotz aller grundsätzlichen Zugeständnisse und
aller Unterwürfigkeit gegenüber den Forderungen der christlichen Kirche unentbehrlich.
Er ist -- wie es scheint -- noch überzeugt, daß es -- um mit Professor Teich¬
mann in Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafrechts zu reden -- "gerade
edeln Naturen eigen zu sein pflege, am schwersten ein Beleidigung zu verzeihen
und es als süßeste Rache zu empfinden, mit eigner Hand sich rächen zu können."
Dagegen hat es wenig oder nichts vermocht, wenn der adliche Theologe von Oettingen
in seiner Christlichen Sittenlehre schrieb: "Es bleibt das Duell für die christlich¬
soziale Kulturstufe ein Anachronismus, gegen den nicht nur das christliche Gewissen,
sondern auch das einfache Rechtsbewußtsein entschieden Protest einlegen muß."

Und doch hat der deutsche Adel in seinen höchsten Schichten, in dem Kreise,
dem zu dienen, dem nachzueifern er auch heute noch für seine erste Pflicht erklärt,
in den deutscheu Fürstenhäusern, das leuchtende Beispiel vor sich, daß, um den
Ehrenschild des deutscheu Edelmanns rein zu halten, es heute nicht mehr des Faust¬
rechts, der Rache mit eigner Hand bedarf. Die Mitglieder der deutschen regierenden
Häuser, soweit sie Mäuner sind, sämtlich als Offiziere die Waffe führend, kennen
den Zweikampf schon längst nicht mehr. Die Händel, die Beleidigungen -- denn
solche fehlen unter Menschen niemals vollständig -- werden in diesem Kreise ohne
Zweikampf "ausgetragen," und kein deutscher Edelmann wird behaupten wollen,
daß die Ehre der Mitglieder unsrer regierenden Häuser darunter leide. Und sehr
selten ist es auch, Gott sei Dank, vorgekommen, daß es ein adlicher oder bürger¬
licher Ehrenmann hat beklagen müssen, einen deutschen Prinzen nicht vor die Pistole


Grenzboten II 1896 29


Zur Duellfrage

er Reichstag but am Lo. April einstimmig beschlossen, „die ver¬
bündeten Regierungen zu ersuchen, mit allen ihnen zu Gebote
stehenden Mitteln dem mit den Strafgesetzen in Widerspruch stehenden
Duellwesen mit Entschiedenheit entgegenzutreten." Der Einstimmig¬
keit des Beschlusses entsprach nicht eine Einmütigkeit darüber, was
geschehen solle, und wie es zu geschehen habe. Die Erklärung vom
Regiernngstisch sagte darüber gar nichts, sie sagte überhaupt nichts. Wie aber die
Verhältnisse liegen, konnte dieser Verlauf niemand überraschen. Der Reichstag hat
einer Anstandspflicht genügt, zur Lösung der Duellfrage hat er nichts beigetragen.
Das deutsche Volk hat nicht mehr von ihm erwarten können; auch in dieser Frage,
mehr noch als in vielen andern, kann das deutsche Volk seine Hoffnung nur auf
den deutschen Kaiser, auf die deutschen Fürsten setze».

Es ist in der That recht eigentlich eine Aufgabe des deutschen Kaisers und
der deutscheu Fürsten, dem Rechts- und Sittlichkeitsgefühl des deutschen Volkes in
der Duellfrage Genugthuung zu verschaffen.

Adel und Offizierstnnd sind die Hanpttrngcr der Unsitte des Zweikampfs. Der
deutsche Edelmann will noch heute sein Waffenrecht behaupten. Das Faustrecht,
die bewaffnete Selbsthilfe erscheint ihm trotz aller grundsätzlichen Zugeständnisse und
aller Unterwürfigkeit gegenüber den Forderungen der christlichen Kirche unentbehrlich.
Er ist — wie es scheint — noch überzeugt, daß es — um mit Professor Teich¬
mann in Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafrechts zu reden — „gerade
edeln Naturen eigen zu sein pflege, am schwersten ein Beleidigung zu verzeihen
und es als süßeste Rache zu empfinden, mit eigner Hand sich rächen zu können."
Dagegen hat es wenig oder nichts vermocht, wenn der adliche Theologe von Oettingen
in seiner Christlichen Sittenlehre schrieb: „Es bleibt das Duell für die christlich¬
soziale Kulturstufe ein Anachronismus, gegen den nicht nur das christliche Gewissen,
sondern auch das einfache Rechtsbewußtsein entschieden Protest einlegen muß."

Und doch hat der deutsche Adel in seinen höchsten Schichten, in dem Kreise,
dem zu dienen, dem nachzueifern er auch heute noch für seine erste Pflicht erklärt,
in den deutscheu Fürstenhäusern, das leuchtende Beispiel vor sich, daß, um den
Ehrenschild des deutscheu Edelmanns rein zu halten, es heute nicht mehr des Faust¬
rechts, der Rache mit eigner Hand bedarf. Die Mitglieder der deutschen regierenden
Häuser, soweit sie Mäuner sind, sämtlich als Offiziere die Waffe führend, kennen
den Zweikampf schon längst nicht mehr. Die Händel, die Beleidigungen — denn
solche fehlen unter Menschen niemals vollständig — werden in diesem Kreise ohne
Zweikampf „ausgetragen," und kein deutscher Edelmann wird behaupten wollen,
daß die Ehre der Mitglieder unsrer regierenden Häuser darunter leide. Und sehr
selten ist es auch, Gott sei Dank, vorgekommen, daß es ein adlicher oder bürger¬
licher Ehrenmann hat beklagen müssen, einen deutschen Prinzen nicht vor die Pistole


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/233>, abgerufen am 06.06.2024.