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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Feuer und Schwert im Sudan

verraucht ist. Eine brutale Politik der Ausbeutung und Bereicherung, die die
Araberstümme des Westens als Stützen des neuen Chalifats gegen die Stämme
des Ostens und besonders gegen die Nilthalbewohner ausspielt, kann nicht von
Dauer sein. Dem Staat der Mahdisteu fehlt selbst so viel Intelligenz und
Verwaltungstalent wie Ägypten einst im Sudan entfaltete. Das Heer ist schlecht
bewaffnet, der Wohlstand gelähmt, die Volkszahl durch Krieg, Seuchen und
Not verringert, die Verwaltung und Rechtsprechung äußerst willkürlich. stallr
führt viele Belege für die im Innern herrschende Unzufriedenheit an. Unver¬
ständige Plackereien, wie das Verbot des Tabakrauchens, unsrer sie. That¬
sächlich hat sich das Gebiet des Chalifa in den letzten Jahren durch die Tribut¬
verweigerung von Negerstämmen im Süden und durch die Wegnahme Kassalas
durch die Italiener im Osten verkleinert. Doch warnt er vor der unvorsich¬
tigen Annahme, daß der Derwischstaat etwa leicht in sich zerfallen könnte.
Durch eine in der Geschichte der letzten Jahrhunderte unerhörte Durcheinander-
würfelung der Völker hat der Chalifa die kriegerischen Araberstämme des
Westens, besonders Dar Fors, in das Nilthal gezogen, wo sie die besten
Länder erhalten habe", während die früher hier wohnenden Nubier und Neger
getötet, vertrieben oder zur Sklavenarbeit auf ihrem Boden gezwungen worden
sind. Auf diese in jeder Weise ausgezeichneten und bevorzugten Stämme stützte
er sich in erster Linie, während er die Familie und Dongolanischen Verwandten
des Mcchdi durch Hinrichtungen dezimirt oder durch Verbannung in die Neger-
länder verpflanzt hat. Die Verschiebung ist politisch insofern ein kluger Zug,
als die westlichen Stämme die fanatischsten und grausamsten sind, die kaum
ein andres Interesse kennen als das ihres Herrn. Aber sie hat den Westen
des Reichs entvölkert und im Norden, dem von Ägypten zunächst bedrohten
Dongola und Berber, eine chalifafeindliche Partei großgezogen, auf die sich
ein Angriff vom untern Nil her stützen könnte. Ähnlich scheinen die Neger-
stämme des Südens und Südwestens, die das Joch des Mahdi teils schon
abgeschüttelt haben, teils nur höchst widerwillig tragen, den Angriff der Fran¬
zosen vom Ubangi und der Belgier vom Kongostaat her zu erleichtern. Hier
liegen die reichsten, besonders durch die kriegerischen Eigenschaften ihrer Stämme
ausgezeichnetsten Provinzen des einstigen ägyptischen Sudan. Mit Scharfblick
hebt stallr besonders den Wert der den mittlern Nil beherrschenden Provinz
Bahr el Ghasal sür Ägypten hervor.

Nicht in dem Widerstande, den die Scharen der Derwische leisten werden,
und der gewiß nicht unterschätzt werden darf, erkennt er die Gefahr der gegen¬
wärtigen Lage und die Aufforderung, zu handeln, sondern in der Bereitschaft
andrer Mächte: Frankreichs, Belgiens, Abessiniens, selbst der in Kassala stehenden
Italiener, beim geringsten Zeichen der Schwäche vorzurücken und jene Provinzen
sich anzueignen, auf deren Besitz Ägypten nicht verzichten kann. In geistvoller
Weise zeichnet er den Gegensatz der heutigen Lage, wo der schwächer werdende


Feuer und Schwert im Sudan

verraucht ist. Eine brutale Politik der Ausbeutung und Bereicherung, die die
Araberstümme des Westens als Stützen des neuen Chalifats gegen die Stämme
des Ostens und besonders gegen die Nilthalbewohner ausspielt, kann nicht von
Dauer sein. Dem Staat der Mahdisteu fehlt selbst so viel Intelligenz und
Verwaltungstalent wie Ägypten einst im Sudan entfaltete. Das Heer ist schlecht
bewaffnet, der Wohlstand gelähmt, die Volkszahl durch Krieg, Seuchen und
Not verringert, die Verwaltung und Rechtsprechung äußerst willkürlich. stallr
führt viele Belege für die im Innern herrschende Unzufriedenheit an. Unver¬
ständige Plackereien, wie das Verbot des Tabakrauchens, unsrer sie. That¬
sächlich hat sich das Gebiet des Chalifa in den letzten Jahren durch die Tribut¬
verweigerung von Negerstämmen im Süden und durch die Wegnahme Kassalas
durch die Italiener im Osten verkleinert. Doch warnt er vor der unvorsich¬
tigen Annahme, daß der Derwischstaat etwa leicht in sich zerfallen könnte.
Durch eine in der Geschichte der letzten Jahrhunderte unerhörte Durcheinander-
würfelung der Völker hat der Chalifa die kriegerischen Araberstämme des
Westens, besonders Dar Fors, in das Nilthal gezogen, wo sie die besten
Länder erhalten habe», während die früher hier wohnenden Nubier und Neger
getötet, vertrieben oder zur Sklavenarbeit auf ihrem Boden gezwungen worden
sind. Auf diese in jeder Weise ausgezeichneten und bevorzugten Stämme stützte
er sich in erster Linie, während er die Familie und Dongolanischen Verwandten
des Mcchdi durch Hinrichtungen dezimirt oder durch Verbannung in die Neger-
länder verpflanzt hat. Die Verschiebung ist politisch insofern ein kluger Zug,
als die westlichen Stämme die fanatischsten und grausamsten sind, die kaum
ein andres Interesse kennen als das ihres Herrn. Aber sie hat den Westen
des Reichs entvölkert und im Norden, dem von Ägypten zunächst bedrohten
Dongola und Berber, eine chalifafeindliche Partei großgezogen, auf die sich
ein Angriff vom untern Nil her stützen könnte. Ähnlich scheinen die Neger-
stämme des Südens und Südwestens, die das Joch des Mahdi teils schon
abgeschüttelt haben, teils nur höchst widerwillig tragen, den Angriff der Fran¬
zosen vom Ubangi und der Belgier vom Kongostaat her zu erleichtern. Hier
liegen die reichsten, besonders durch die kriegerischen Eigenschaften ihrer Stämme
ausgezeichnetsten Provinzen des einstigen ägyptischen Sudan. Mit Scharfblick
hebt stallr besonders den Wert der den mittlern Nil beherrschenden Provinz
Bahr el Ghasal sür Ägypten hervor.

Nicht in dem Widerstande, den die Scharen der Derwische leisten werden,
und der gewiß nicht unterschätzt werden darf, erkennt er die Gefahr der gegen¬
wärtigen Lage und die Aufforderung, zu handeln, sondern in der Bereitschaft
andrer Mächte: Frankreichs, Belgiens, Abessiniens, selbst der in Kassala stehenden
Italiener, beim geringsten Zeichen der Schwäche vorzurücken und jene Provinzen
sich anzueignen, auf deren Besitz Ägypten nicht verzichten kann. In geistvoller
Weise zeichnet er den Gegensatz der heutigen Lage, wo der schwächer werdende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/24>, abgerufen am 12.05.2024.