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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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so mich den wilden und abgeschmackten Vildungshnß dieser Tage siegreich über¬
winden wird.

Wenn Wilbrandt littcrargeschichtlich (auch in Adolf Sterns "Deutscher
Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart") der Münchner
Dichtergruppe eingereiht wird, so muß es zunächst auffallen, daß er in beiden
Münchner Dichterbüchern, dem von 1862 und dem von 1882, fehlt. Wil-
brandts Weg in die poetische Litteratur unterschied sich eben von dem Wege
der jungen Balladendichter und schüchternen Lyriker. Er hatte eine reiche
litterarische Thätigkeit hinter sich, ehe ein Gedicht von ihm das Licht der Welt
erblickte. Als er in den Kreisen der "Krokodile" zuerst auftauchte, war er
einer der Redakteure der tapfern Süddeutschen Zeitung A. Braters, die schon
zu Anfang der sechziger Jahre in München für die nachmalige Gestaltung der
deutschen Dinge eintrat und den Gedanken der deutschen Einigung unter preu¬
ßischer Führung vor den zurückschaudernde" Vajuvaren verfocht. Schon da¬
mals durfte er sagen: "Aus Pietät ward ich Jurist, aus Neigung Historiker,
aus Patriotismus Journalist, aus Naturtrieb Poet," als keiner ahnte, daß
der Naturtrieb in diesem wie in manchem andern Falle der überwältigende
und allmächtige sein würde. In seinem "Gespräch, das fast zur Biographie
wird," das Wilbrandts Buch "Gespräche und Monologe; Sammlung ver¬
mischter Schriften" (1889) enthält, und das doch auch nun schon vor zwei
Jahrzehnten (1875) geschrieben wurde, sagt der Dichter von sich selbst: "Die
Logik des Lebens ist oft wunderbar! Ich war fünfunddreißig Jahre alt, als
mein erstes Trauerspiel über die Bretter ging; und doch hab ich schon mit
zwölf Jahren Trauerspiele geschrieben. Sechsunddreißig war ich alt, als ich
"Gedichte" herausgab, und doch giebt es noch ein kleines Heft mit sinnver¬
wirrenden Zeichnungen und strcckversigen Gedichten, die ich als sechsjähriger
meinem Vater zum Geburtstag bescherte. Meine ganze Knabenzeit hindurch
fand ich es so selbstverständlich, daß ich dichtete und mich zum Dichter aus¬
bildete, wie etwa ein Kronprinz sich ans den Regenten vorbereitet. Und wie
lange Jahre legten sich dann zwischen mich und diesen Beruf! Warum ward
der sechsjährige Hauspoet so spät ein Dichter für die Welt? Lieber Freund,
wer kann da sagen: ich weiß es! Vielleicht, weil mein Bildungsgang mir (wie
so vielen) das naive traumhafte Verhältnis zur Wirklichkeit nahm, das den
Dichter bei und in sich selber erhält, vielleicht weil ich ein Mecklenburger bin
(Adolf Wilbrandt wurde 1837 in Rostock geboren), und wir langsam reifen;
vielleicht weil dieses übermächtige Berlaugeu in mir war, die Welt von vielen
Seiten und ans vielen Wegen zu erfassen. Als ich zwischen achtzehn und neun¬
zehn Jahren zur Universität kam, war ich schou unterwegs, diese geistige Odyssee
zu erlebe". Ich studirte Sprachen und Litteraturen vom Morge" bis zur
Nacht; ich warf mich meinem Vater zuliebe ans die Jurisprudenz (wie sonderbar
lst nur jetzt zu Mute, wenn ich mich erinnere, daß ich die Institutionen des


so mich den wilden und abgeschmackten Vildungshnß dieser Tage siegreich über¬
winden wird.

Wenn Wilbrandt littcrargeschichtlich (auch in Adolf Sterns „Deutscher
Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart") der Münchner
Dichtergruppe eingereiht wird, so muß es zunächst auffallen, daß er in beiden
Münchner Dichterbüchern, dem von 1862 und dem von 1882, fehlt. Wil-
brandts Weg in die poetische Litteratur unterschied sich eben von dem Wege
der jungen Balladendichter und schüchternen Lyriker. Er hatte eine reiche
litterarische Thätigkeit hinter sich, ehe ein Gedicht von ihm das Licht der Welt
erblickte. Als er in den Kreisen der „Krokodile" zuerst auftauchte, war er
einer der Redakteure der tapfern Süddeutschen Zeitung A. Braters, die schon
zu Anfang der sechziger Jahre in München für die nachmalige Gestaltung der
deutschen Dinge eintrat und den Gedanken der deutschen Einigung unter preu¬
ßischer Führung vor den zurückschaudernde» Vajuvaren verfocht. Schon da¬
mals durfte er sagen: „Aus Pietät ward ich Jurist, aus Neigung Historiker,
aus Patriotismus Journalist, aus Naturtrieb Poet," als keiner ahnte, daß
der Naturtrieb in diesem wie in manchem andern Falle der überwältigende
und allmächtige sein würde. In seinem „Gespräch, das fast zur Biographie
wird," das Wilbrandts Buch „Gespräche und Monologe; Sammlung ver¬
mischter Schriften" (1889) enthält, und das doch auch nun schon vor zwei
Jahrzehnten (1875) geschrieben wurde, sagt der Dichter von sich selbst: „Die
Logik des Lebens ist oft wunderbar! Ich war fünfunddreißig Jahre alt, als
mein erstes Trauerspiel über die Bretter ging; und doch hab ich schon mit
zwölf Jahren Trauerspiele geschrieben. Sechsunddreißig war ich alt, als ich
„Gedichte" herausgab, und doch giebt es noch ein kleines Heft mit sinnver¬
wirrenden Zeichnungen und strcckversigen Gedichten, die ich als sechsjähriger
meinem Vater zum Geburtstag bescherte. Meine ganze Knabenzeit hindurch
fand ich es so selbstverständlich, daß ich dichtete und mich zum Dichter aus¬
bildete, wie etwa ein Kronprinz sich ans den Regenten vorbereitet. Und wie
lange Jahre legten sich dann zwischen mich und diesen Beruf! Warum ward
der sechsjährige Hauspoet so spät ein Dichter für die Welt? Lieber Freund,
wer kann da sagen: ich weiß es! Vielleicht, weil mein Bildungsgang mir (wie
so vielen) das naive traumhafte Verhältnis zur Wirklichkeit nahm, das den
Dichter bei und in sich selber erhält, vielleicht weil ich ein Mecklenburger bin
(Adolf Wilbrandt wurde 1837 in Rostock geboren), und wir langsam reifen;
vielleicht weil dieses übermächtige Berlaugeu in mir war, die Welt von vielen
Seiten und ans vielen Wegen zu erfassen. Als ich zwischen achtzehn und neun¬
zehn Jahren zur Universität kam, war ich schou unterwegs, diese geistige Odyssee
zu erlebe». Ich studirte Sprachen und Litteraturen vom Morge» bis zur
Nacht; ich warf mich meinem Vater zuliebe ans die Jurisprudenz (wie sonderbar
lst nur jetzt zu Mute, wenn ich mich erinnere, daß ich die Institutionen des


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[0027] so mich den wilden und abgeschmackten Vildungshnß dieser Tage siegreich über¬ winden wird. Wenn Wilbrandt littcrargeschichtlich (auch in Adolf Sterns „Deutscher Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart") der Münchner Dichtergruppe eingereiht wird, so muß es zunächst auffallen, daß er in beiden Münchner Dichterbüchern, dem von 1862 und dem von 1882, fehlt. Wil- brandts Weg in die poetische Litteratur unterschied sich eben von dem Wege der jungen Balladendichter und schüchternen Lyriker. Er hatte eine reiche litterarische Thätigkeit hinter sich, ehe ein Gedicht von ihm das Licht der Welt erblickte. Als er in den Kreisen der „Krokodile" zuerst auftauchte, war er einer der Redakteure der tapfern Süddeutschen Zeitung A. Braters, die schon zu Anfang der sechziger Jahre in München für die nachmalige Gestaltung der deutschen Dinge eintrat und den Gedanken der deutschen Einigung unter preu¬ ßischer Führung vor den zurückschaudernde» Vajuvaren verfocht. Schon da¬ mals durfte er sagen: „Aus Pietät ward ich Jurist, aus Neigung Historiker, aus Patriotismus Journalist, aus Naturtrieb Poet," als keiner ahnte, daß der Naturtrieb in diesem wie in manchem andern Falle der überwältigende und allmächtige sein würde. In seinem „Gespräch, das fast zur Biographie wird," das Wilbrandts Buch „Gespräche und Monologe; Sammlung ver¬ mischter Schriften" (1889) enthält, und das doch auch nun schon vor zwei Jahrzehnten (1875) geschrieben wurde, sagt der Dichter von sich selbst: „Die Logik des Lebens ist oft wunderbar! Ich war fünfunddreißig Jahre alt, als mein erstes Trauerspiel über die Bretter ging; und doch hab ich schon mit zwölf Jahren Trauerspiele geschrieben. Sechsunddreißig war ich alt, als ich „Gedichte" herausgab, und doch giebt es noch ein kleines Heft mit sinnver¬ wirrenden Zeichnungen und strcckversigen Gedichten, die ich als sechsjähriger meinem Vater zum Geburtstag bescherte. Meine ganze Knabenzeit hindurch fand ich es so selbstverständlich, daß ich dichtete und mich zum Dichter aus¬ bildete, wie etwa ein Kronprinz sich ans den Regenten vorbereitet. Und wie lange Jahre legten sich dann zwischen mich und diesen Beruf! Warum ward der sechsjährige Hauspoet so spät ein Dichter für die Welt? Lieber Freund, wer kann da sagen: ich weiß es! Vielleicht, weil mein Bildungsgang mir (wie so vielen) das naive traumhafte Verhältnis zur Wirklichkeit nahm, das den Dichter bei und in sich selber erhält, vielleicht weil ich ein Mecklenburger bin (Adolf Wilbrandt wurde 1837 in Rostock geboren), und wir langsam reifen; vielleicht weil dieses übermächtige Berlaugeu in mir war, die Welt von vielen Seiten und ans vielen Wegen zu erfassen. Als ich zwischen achtzehn und neun¬ zehn Jahren zur Universität kam, war ich schou unterwegs, diese geistige Odyssee zu erlebe». Ich studirte Sprachen und Litteraturen vom Morge» bis zur Nacht; ich warf mich meinem Vater zuliebe ans die Jurisprudenz (wie sonderbar lst nur jetzt zu Mute, wenn ich mich erinnere, daß ich die Institutionen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/27>, abgerufen am 12.05.2024.