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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich von Treitschke

den Streit des Tages. Das that er als Reichstagsabgeordneter -- er vertrat
siebzehn Jahre lang den Wahlkreis Kreuznach --, vor allem aber als einer
der glänzendsten Publizisten aller Zeiten. Da gab es keine große Frage der
nationalen Politik, zu der er nicht das Wort ergriffen hätte, vor allem in den
Preußischen Jahrbüchern, die er lange Jahre hindurch leitete. Jede Frage
beleuchtete er vom nationalen Standpunkt aus, und stets sprach in diesen
Aufsätzen nicht nur der Verstand, sondern vor allem das warme Herz; es
war oft, als ob das nationale Gewissen aus ihnen redete. Es lag etwas
kriegerisches, kampfesfreudiges in ihm, und die tiefe Leidenschaft, die in ihm
lebte, führte ihn oft zu harten, schroffen, ungerechten Urteilen, die manchen
verletzt haben und ihm selber lange das Verhältnis zu seiner Heimat ver¬
darben; aber er stand im Kampfe für sein höchstes Ziel, die Einigung Deutsch¬
lands unter den Hohenzollern, und auch als dies erreicht war, da wirkte die
Erregung noch nach. Allmählich drangen seine Äußerungen seltner in die
Öffentlichkeit, aber noch bei der Jubelfeier des großen Jahres 1870 hat er
als Festredner der Berliner Universität herrliche Worte gefunden. Und mochte
er als Liberaler und als "radikaler Unitarier" begonnen haben, einer Partei¬
schablone hat er sich niemals gefügt, er bekannte ehrlich, wenn er sich geirrt
hatte, er sah mit lebhafter Freude, wie das von ihm oft hart genug beurteilte
Haus Wettin dem neuen Reiche einen seiner ersten Feldherrn stellte, er wurde
ein überzeugter Verfechter des deutschen Bundesstaats und sprach in der De¬
batte des Reichstags über die neue Münzordnung sür die Beibehaltung der
landesfürstlichen Bildnisse neben dem Reichswappen, denn in dieser Verbindung
komme das Wesen des neuen Reichs getreu zum Ausdruck, und er schloß mit
dem alten schönen Satze: In nkosssg-rils unit^s, in lluviis libortas, in oinnibn8
o-iritÄS.

Seine Größe als Publizist hat ihm denn auch niemand bestritten, aber
viele haben gemeint, er sei auch als Historiker wesentlich Publizist und also
Parteimann gewesen, und selbst in akademischen Kreisen wurde er nicht so ohne
weiteres zu den "zünftigen" Historikern gerechnet, um dies häßliche, aber be¬
zeichnende Wort zu brauchen. Gewiß, von der kühlen Objektivität eines Ranke
war nicht eine Ader in ihm; feine Kunst war nicht eine Geschichtschreibung
des Verstandes, sondern des Herzens, der innern persönlichen Erfahrung. Er
meinte nicht nur mit Recht, das politische Urteil des Historikers bleibe dilet¬
tantisch, so lange er nicht thätigen Anteil an dem politischen Leben seiner Zeit
genommen habe, was ohne Beteiligung des Gemüts nicht abgeht, sondern er
konnte gar nicht anders als subjektiv, mit flammender Leidenschaft und tiefem
Pathos schildern, denn er empfand Leid und Glück des Vaterlands auch in der
Vergangenheit wie eignes, Selbsterlebtes Leid und Glück. Der Grundsatz des
Taeitus: Lins ira et swäio, "den niemand weniger befolgt hat als sein Urheber,"
galt ihm nichts; "gerecht soll der Historiker reden, freimütig, unbekümmert um


Heinrich von Treitschke

den Streit des Tages. Das that er als Reichstagsabgeordneter — er vertrat
siebzehn Jahre lang den Wahlkreis Kreuznach —, vor allem aber als einer
der glänzendsten Publizisten aller Zeiten. Da gab es keine große Frage der
nationalen Politik, zu der er nicht das Wort ergriffen hätte, vor allem in den
Preußischen Jahrbüchern, die er lange Jahre hindurch leitete. Jede Frage
beleuchtete er vom nationalen Standpunkt aus, und stets sprach in diesen
Aufsätzen nicht nur der Verstand, sondern vor allem das warme Herz; es
war oft, als ob das nationale Gewissen aus ihnen redete. Es lag etwas
kriegerisches, kampfesfreudiges in ihm, und die tiefe Leidenschaft, die in ihm
lebte, führte ihn oft zu harten, schroffen, ungerechten Urteilen, die manchen
verletzt haben und ihm selber lange das Verhältnis zu seiner Heimat ver¬
darben; aber er stand im Kampfe für sein höchstes Ziel, die Einigung Deutsch¬
lands unter den Hohenzollern, und auch als dies erreicht war, da wirkte die
Erregung noch nach. Allmählich drangen seine Äußerungen seltner in die
Öffentlichkeit, aber noch bei der Jubelfeier des großen Jahres 1870 hat er
als Festredner der Berliner Universität herrliche Worte gefunden. Und mochte
er als Liberaler und als „radikaler Unitarier" begonnen haben, einer Partei¬
schablone hat er sich niemals gefügt, er bekannte ehrlich, wenn er sich geirrt
hatte, er sah mit lebhafter Freude, wie das von ihm oft hart genug beurteilte
Haus Wettin dem neuen Reiche einen seiner ersten Feldherrn stellte, er wurde
ein überzeugter Verfechter des deutschen Bundesstaats und sprach in der De¬
batte des Reichstags über die neue Münzordnung sür die Beibehaltung der
landesfürstlichen Bildnisse neben dem Reichswappen, denn in dieser Verbindung
komme das Wesen des neuen Reichs getreu zum Ausdruck, und er schloß mit
dem alten schönen Satze: In nkosssg-rils unit^s, in lluviis libortas, in oinnibn8
o-iritÄS.

Seine Größe als Publizist hat ihm denn auch niemand bestritten, aber
viele haben gemeint, er sei auch als Historiker wesentlich Publizist und also
Parteimann gewesen, und selbst in akademischen Kreisen wurde er nicht so ohne
weiteres zu den „zünftigen" Historikern gerechnet, um dies häßliche, aber be¬
zeichnende Wort zu brauchen. Gewiß, von der kühlen Objektivität eines Ranke
war nicht eine Ader in ihm; feine Kunst war nicht eine Geschichtschreibung
des Verstandes, sondern des Herzens, der innern persönlichen Erfahrung. Er
meinte nicht nur mit Recht, das politische Urteil des Historikers bleibe dilet¬
tantisch, so lange er nicht thätigen Anteil an dem politischen Leben seiner Zeit
genommen habe, was ohne Beteiligung des Gemüts nicht abgeht, sondern er
konnte gar nicht anders als subjektiv, mit flammender Leidenschaft und tiefem
Pathos schildern, denn er empfand Leid und Glück des Vaterlands auch in der
Vergangenheit wie eignes, Selbsterlebtes Leid und Glück. Der Grundsatz des
Taeitus: Lins ira et swäio, „den niemand weniger befolgt hat als sein Urheber,"
galt ihm nichts; „gerecht soll der Historiker reden, freimütig, unbekümmert um


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[0284] Heinrich von Treitschke den Streit des Tages. Das that er als Reichstagsabgeordneter — er vertrat siebzehn Jahre lang den Wahlkreis Kreuznach —, vor allem aber als einer der glänzendsten Publizisten aller Zeiten. Da gab es keine große Frage der nationalen Politik, zu der er nicht das Wort ergriffen hätte, vor allem in den Preußischen Jahrbüchern, die er lange Jahre hindurch leitete. Jede Frage beleuchtete er vom nationalen Standpunkt aus, und stets sprach in diesen Aufsätzen nicht nur der Verstand, sondern vor allem das warme Herz; es war oft, als ob das nationale Gewissen aus ihnen redete. Es lag etwas kriegerisches, kampfesfreudiges in ihm, und die tiefe Leidenschaft, die in ihm lebte, führte ihn oft zu harten, schroffen, ungerechten Urteilen, die manchen verletzt haben und ihm selber lange das Verhältnis zu seiner Heimat ver¬ darben; aber er stand im Kampfe für sein höchstes Ziel, die Einigung Deutsch¬ lands unter den Hohenzollern, und auch als dies erreicht war, da wirkte die Erregung noch nach. Allmählich drangen seine Äußerungen seltner in die Öffentlichkeit, aber noch bei der Jubelfeier des großen Jahres 1870 hat er als Festredner der Berliner Universität herrliche Worte gefunden. Und mochte er als Liberaler und als „radikaler Unitarier" begonnen haben, einer Partei¬ schablone hat er sich niemals gefügt, er bekannte ehrlich, wenn er sich geirrt hatte, er sah mit lebhafter Freude, wie das von ihm oft hart genug beurteilte Haus Wettin dem neuen Reiche einen seiner ersten Feldherrn stellte, er wurde ein überzeugter Verfechter des deutschen Bundesstaats und sprach in der De¬ batte des Reichstags über die neue Münzordnung sür die Beibehaltung der landesfürstlichen Bildnisse neben dem Reichswappen, denn in dieser Verbindung komme das Wesen des neuen Reichs getreu zum Ausdruck, und er schloß mit dem alten schönen Satze: In nkosssg-rils unit^s, in lluviis libortas, in oinnibn8 o-iritÄS. Seine Größe als Publizist hat ihm denn auch niemand bestritten, aber viele haben gemeint, er sei auch als Historiker wesentlich Publizist und also Parteimann gewesen, und selbst in akademischen Kreisen wurde er nicht so ohne weiteres zu den „zünftigen" Historikern gerechnet, um dies häßliche, aber be¬ zeichnende Wort zu brauchen. Gewiß, von der kühlen Objektivität eines Ranke war nicht eine Ader in ihm; feine Kunst war nicht eine Geschichtschreibung des Verstandes, sondern des Herzens, der innern persönlichen Erfahrung. Er meinte nicht nur mit Recht, das politische Urteil des Historikers bleibe dilet¬ tantisch, so lange er nicht thätigen Anteil an dem politischen Leben seiner Zeit genommen habe, was ohne Beteiligung des Gemüts nicht abgeht, sondern er konnte gar nicht anders als subjektiv, mit flammender Leidenschaft und tiefem Pathos schildern, denn er empfand Leid und Glück des Vaterlands auch in der Vergangenheit wie eignes, Selbsterlebtes Leid und Glück. Der Grundsatz des Taeitus: Lins ira et swäio, „den niemand weniger befolgt hat als sein Urheber," galt ihm nichts; „gerecht soll der Historiker reden, freimütig, unbekümmert um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/284>, abgerufen am 17.06.2024.