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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

im Jahre 1895 einige höhere Beamte nach Österreich geschickt, um sich an Ort
und Stelle zu unterrichten. Über die Ergebnisse dieses Besuchs ist amtlich
nichts, aber auch sonst so gut wie nichts, in die Öffentlichkeit gedrungen; jedenfalls
ist die preußische Regierung nicht dadurch bestimmt worden, von dem Vor¬
schlag einer genossenschaftlichen, auf Selbstverwaltung beruhenden Ordnung des
deutschen Handwerks durch Zwangsinnungen abzusehen.

Bis vor kurzem war es auch nicht möglich, aus zuverlässigen öster¬
reichischen Quellen irgend ein Urteil über den Erfolg der neuen Ordnung zu
gewinnen; in neuerer Zeit aber sind einige amtliche Veröffentlichungen über
den Gegenstand erschienen, die diesem Mangel abhelfen. Auf sie gestützt,
soll im folgenden die genossenschaftliche Ordnung und Selbstverwaltung des
Handwerks in Österreich besprochen werden, in der Hoffnung, dadurch für die
Beurteilung der in Deutschland geplanten Neuordnung einige Unterlagen zu
gewinnen. Die wirtschaftliche, soziale und politische Bedeutung, die das Hand¬
werk erfreulicherweise in Deutschland noch hat, macht es auch weitern Kreisen
zur Pflicht, sich um die Gewinnung eines unbefangnen Urteils zu bemühen,
und dazu bieten die österreichischen, trotz mancher Abweichungen immer noch
den deutschen am nächsten verwandten Handwerkerverhältnisse ohne Zweifel die
beste Gelegenheit.

Es ist zunächst nötig, das durch das Gesetz vom 15. März 1883 und
die dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen in Österreich geschaffne Hand¬
werkerrecht, soweit es für die Genossenschaften in Betracht kommt, in den
Hauptpunkten kurz darzulegen.

Grundlegend ist die Bestimmung des Z 1 der Gewerbeordnung nach der
Fassung des Gesetzes vom 15. März 1383 und 8. März 1885, wonach die
Gewerbe in "freie," "handwerksmäßige" und "lonzessionirte" eingeteilt werden,
und dem Handelsminister die Ermächtigung erteilt wird, im Einvernehmen mit
dem Minister des Innern die "handwerksmäßigen" Gewerbe zu bezeichnen,
wobei als handwerksmäßige die anzusehen sind, "bei denen es sich um Fertig¬
keiten handelt, die die Ausbildung im Gewerbe durch Erlernung und längere
Verwendung darin erfordern, und für die diese Ausbildung in der Regel aus¬
reicht." Handelsgewerbe (im engern Sinne) und fabrikmüßig betriebne Unter¬
nehmungen sind von der Einreihung unter die handwerksmäßigen Gewerbe
ausgenommen, ebenso die gesamte Hausindustrie von der Einreihung unter
die Gewerbe überhaupt. Besteht ein Zweifel, ob ein gewerbliches Unternehmen
als ein fabrikmäßig betriebnes oder als ein Handelsgewerbe im engern Sinne
anzusehen sei, so entscheidet die politische Landesbehörde nach Anhörung der
Handels- und Gewcrbekammer und der beteiligten Genossenschaften, und im Falle
der Berufung der Minister des Innern im Einvernehmen mit dem Handelsminister.
Die Gewerbe, bei denen öffentliche Rücksichten die Notwendigkeit begründen,
die Ausübung von einer besondern Bewilligung abhängig zu machen, werden


Die Erfolge der genossenschaftlichen Selbstverwaltung

im Jahre 1895 einige höhere Beamte nach Österreich geschickt, um sich an Ort
und Stelle zu unterrichten. Über die Ergebnisse dieses Besuchs ist amtlich
nichts, aber auch sonst so gut wie nichts, in die Öffentlichkeit gedrungen; jedenfalls
ist die preußische Regierung nicht dadurch bestimmt worden, von dem Vor¬
schlag einer genossenschaftlichen, auf Selbstverwaltung beruhenden Ordnung des
deutschen Handwerks durch Zwangsinnungen abzusehen.

Bis vor kurzem war es auch nicht möglich, aus zuverlässigen öster¬
reichischen Quellen irgend ein Urteil über den Erfolg der neuen Ordnung zu
gewinnen; in neuerer Zeit aber sind einige amtliche Veröffentlichungen über
den Gegenstand erschienen, die diesem Mangel abhelfen. Auf sie gestützt,
soll im folgenden die genossenschaftliche Ordnung und Selbstverwaltung des
Handwerks in Österreich besprochen werden, in der Hoffnung, dadurch für die
Beurteilung der in Deutschland geplanten Neuordnung einige Unterlagen zu
gewinnen. Die wirtschaftliche, soziale und politische Bedeutung, die das Hand¬
werk erfreulicherweise in Deutschland noch hat, macht es auch weitern Kreisen
zur Pflicht, sich um die Gewinnung eines unbefangnen Urteils zu bemühen,
und dazu bieten die österreichischen, trotz mancher Abweichungen immer noch
den deutschen am nächsten verwandten Handwerkerverhältnisse ohne Zweifel die
beste Gelegenheit.

Es ist zunächst nötig, das durch das Gesetz vom 15. März 1883 und
die dazu gehörigen Ausführungsbestimmungen in Österreich geschaffne Hand¬
werkerrecht, soweit es für die Genossenschaften in Betracht kommt, in den
Hauptpunkten kurz darzulegen.

Grundlegend ist die Bestimmung des Z 1 der Gewerbeordnung nach der
Fassung des Gesetzes vom 15. März 1383 und 8. März 1885, wonach die
Gewerbe in „freie," „handwerksmäßige" und „lonzessionirte" eingeteilt werden,
und dem Handelsminister die Ermächtigung erteilt wird, im Einvernehmen mit
dem Minister des Innern die „handwerksmäßigen" Gewerbe zu bezeichnen,
wobei als handwerksmäßige die anzusehen sind, „bei denen es sich um Fertig¬
keiten handelt, die die Ausbildung im Gewerbe durch Erlernung und längere
Verwendung darin erfordern, und für die diese Ausbildung in der Regel aus¬
reicht." Handelsgewerbe (im engern Sinne) und fabrikmüßig betriebne Unter¬
nehmungen sind von der Einreihung unter die handwerksmäßigen Gewerbe
ausgenommen, ebenso die gesamte Hausindustrie von der Einreihung unter
die Gewerbe überhaupt. Besteht ein Zweifel, ob ein gewerbliches Unternehmen
als ein fabrikmäßig betriebnes oder als ein Handelsgewerbe im engern Sinne
anzusehen sei, so entscheidet die politische Landesbehörde nach Anhörung der
Handels- und Gewcrbekammer und der beteiligten Genossenschaften, und im Falle
der Berufung der Minister des Innern im Einvernehmen mit dem Handelsminister.
Die Gewerbe, bei denen öffentliche Rücksichten die Notwendigkeit begründen,
die Ausübung von einer besondern Bewilligung abhängig zu machen, werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/362>, abgerufen am 13.05.2024.