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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Gegenteil wahr wäre. Nun kann unmöglich behauptet werdeu, daß die üblichen
Fabrikgebäude und die durchschnittlichen städtischen Miethäuser auch nur die
niedrigsten künstlerischen Ansprüche befriedigten; da sie aber lediglich den Ein¬
druck von Kapitalanlagen machen, und bei ihrer Betrachtung eine von ihrer
Aufgabe verschiedne angenehme Vorstellung oder Empfindung nicht erregt wird,
so ist es klar, daß ein Mangel vorhanden ist. Und in Wirklichkeit ist man
soweit davon entfernt, keine künstlerischen Anforderungen an ein Bauwerk zu
stellen, daß man diese sogar in Bezug auf seine besondre Zweckbestimmung
erfüllt zu sehen wünscht. Denn es wird erstens verlangt, daß weder der
Schwere, noch der Starrheit des Gesteins nachgegeben, sondern der Kampf
zwischen beiden Kräften verlängert und auf erzwungnen, aber augenfälligen
Umwegen beendet werde, daß die Stelle, Große und Form jedes einzelnen
Bestandteils für das Ganze notwendig und nicht überflüssig oder willkürlich
erscheine, und daß die Wirkungen der äußern Beleuchtung, der Himmels¬
gegenden und des Hintergrundes nicht außer Acht gelassen werden. Zugleich
hat aber der Baukünstler, weil sein Werk andern, der Kunst selbst fremden,
nützlichen Zwecken dienen soll, die weitere Aufgabe, die Grundsätze der
reinen Kunst dem fremdartigen Zwecke zwar unterzuordnen, sie aber doch
durchzusetzen, indem er sie auf mannichfache Weise der willkürlichen Bestim¬
mung anpaßt, thuen z. B. in einem mildern Klima freiern Spielraum läßt
als in einem rauhen, und richtig beurteilt, welcherlei ästhetisch-architektonische
Schönheit sich mit einem Tempel und welche sich mit einem Zeughaus verträgt
(Schopenhauer). Endlich aber ist es ratsam, daran zu erinnern, daß auch in
allen eigentlichem Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, ein Mechanismus,
erforderlich ist, ohne den der Geist, der in der Kunst frei sein muß und allein
das Werk belebt, gar keinem Körper haben und gänzlich verdunsten würde
(Kant).

Bei dieser Sachlage ein Gewicht auf die Auslassungen der 1870 befragten
Sachverständigen zu legen, unter denen auch Architekten gewesen sein sollen,
erscheint doch mindestens gewagt. Ganz verfehlt ist es aber, wenn dieselbe
Gesetzgebung, die es erlaubt, jedes Bauwerk in derselben Kunstform nach¬
zubilden und architektonische (sowie technische) Zeichnungen wiederzugeben, das
Recht zur mechanischen Vervielfältigung derartiger Zeichnungen dem Urheber
oder dem, nu den es der Urheber überträgt, ausschließlich vorbehält. Der
Verfasser von Bauplänen denkt in erster Linie an deren Ausführung, nicht an
buchhändlerische Verwertung und würde auf deu Schutz, deu er jetzt genießt,
und der meist doch nur seinem etwaige" Verleger zu gute kommt, verzichten
können, wenn er nicht Gefahr liefe, daß sein geistiges Erzeugnis von andern
auf dem Gebiete ausgebeutet wird, auf dem allein die Möglichkeit für ihn
besteht, einen wesentlichen Nutzen aus seiner Schöpfung zu ziehen.

Daß aber gegen den völligen Ausbau des richtigen Grundsatzes der neuern


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Gegenteil wahr wäre. Nun kann unmöglich behauptet werdeu, daß die üblichen
Fabrikgebäude und die durchschnittlichen städtischen Miethäuser auch nur die
niedrigsten künstlerischen Ansprüche befriedigten; da sie aber lediglich den Ein¬
druck von Kapitalanlagen machen, und bei ihrer Betrachtung eine von ihrer
Aufgabe verschiedne angenehme Vorstellung oder Empfindung nicht erregt wird,
so ist es klar, daß ein Mangel vorhanden ist. Und in Wirklichkeit ist man
soweit davon entfernt, keine künstlerischen Anforderungen an ein Bauwerk zu
stellen, daß man diese sogar in Bezug auf seine besondre Zweckbestimmung
erfüllt zu sehen wünscht. Denn es wird erstens verlangt, daß weder der
Schwere, noch der Starrheit des Gesteins nachgegeben, sondern der Kampf
zwischen beiden Kräften verlängert und auf erzwungnen, aber augenfälligen
Umwegen beendet werde, daß die Stelle, Große und Form jedes einzelnen
Bestandteils für das Ganze notwendig und nicht überflüssig oder willkürlich
erscheine, und daß die Wirkungen der äußern Beleuchtung, der Himmels¬
gegenden und des Hintergrundes nicht außer Acht gelassen werden. Zugleich
hat aber der Baukünstler, weil sein Werk andern, der Kunst selbst fremden,
nützlichen Zwecken dienen soll, die weitere Aufgabe, die Grundsätze der
reinen Kunst dem fremdartigen Zwecke zwar unterzuordnen, sie aber doch
durchzusetzen, indem er sie auf mannichfache Weise der willkürlichen Bestim¬
mung anpaßt, thuen z. B. in einem mildern Klima freiern Spielraum läßt
als in einem rauhen, und richtig beurteilt, welcherlei ästhetisch-architektonische
Schönheit sich mit einem Tempel und welche sich mit einem Zeughaus verträgt
(Schopenhauer). Endlich aber ist es ratsam, daran zu erinnern, daß auch in
allen eigentlichem Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, ein Mechanismus,
erforderlich ist, ohne den der Geist, der in der Kunst frei sein muß und allein
das Werk belebt, gar keinem Körper haben und gänzlich verdunsten würde
(Kant).

Bei dieser Sachlage ein Gewicht auf die Auslassungen der 1870 befragten
Sachverständigen zu legen, unter denen auch Architekten gewesen sein sollen,
erscheint doch mindestens gewagt. Ganz verfehlt ist es aber, wenn dieselbe
Gesetzgebung, die es erlaubt, jedes Bauwerk in derselben Kunstform nach¬
zubilden und architektonische (sowie technische) Zeichnungen wiederzugeben, das
Recht zur mechanischen Vervielfältigung derartiger Zeichnungen dem Urheber
oder dem, nu den es der Urheber überträgt, ausschließlich vorbehält. Der
Verfasser von Bauplänen denkt in erster Linie an deren Ausführung, nicht an
buchhändlerische Verwertung und würde auf deu Schutz, deu er jetzt genießt,
und der meist doch nur seinem etwaige» Verleger zu gute kommt, verzichten
können, wenn er nicht Gefahr liefe, daß sein geistiges Erzeugnis von andern
auf dem Gebiete ausgebeutet wird, auf dem allein die Möglichkeit für ihn
besteht, einen wesentlichen Nutzen aus seiner Schöpfung zu ziehen.

Daß aber gegen den völligen Ausbau des richtigen Grundsatzes der neuern


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[0041] Gegenteil wahr wäre. Nun kann unmöglich behauptet werdeu, daß die üblichen Fabrikgebäude und die durchschnittlichen städtischen Miethäuser auch nur die niedrigsten künstlerischen Ansprüche befriedigten; da sie aber lediglich den Ein¬ druck von Kapitalanlagen machen, und bei ihrer Betrachtung eine von ihrer Aufgabe verschiedne angenehme Vorstellung oder Empfindung nicht erregt wird, so ist es klar, daß ein Mangel vorhanden ist. Und in Wirklichkeit ist man soweit davon entfernt, keine künstlerischen Anforderungen an ein Bauwerk zu stellen, daß man diese sogar in Bezug auf seine besondre Zweckbestimmung erfüllt zu sehen wünscht. Denn es wird erstens verlangt, daß weder der Schwere, noch der Starrheit des Gesteins nachgegeben, sondern der Kampf zwischen beiden Kräften verlängert und auf erzwungnen, aber augenfälligen Umwegen beendet werde, daß die Stelle, Große und Form jedes einzelnen Bestandteils für das Ganze notwendig und nicht überflüssig oder willkürlich erscheine, und daß die Wirkungen der äußern Beleuchtung, der Himmels¬ gegenden und des Hintergrundes nicht außer Acht gelassen werden. Zugleich hat aber der Baukünstler, weil sein Werk andern, der Kunst selbst fremden, nützlichen Zwecken dienen soll, die weitere Aufgabe, die Grundsätze der reinen Kunst dem fremdartigen Zwecke zwar unterzuordnen, sie aber doch durchzusetzen, indem er sie auf mannichfache Weise der willkürlichen Bestim¬ mung anpaßt, thuen z. B. in einem mildern Klima freiern Spielraum läßt als in einem rauhen, und richtig beurteilt, welcherlei ästhetisch-architektonische Schönheit sich mit einem Tempel und welche sich mit einem Zeughaus verträgt (Schopenhauer). Endlich aber ist es ratsam, daran zu erinnern, daß auch in allen eigentlichem Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, ein Mechanismus, erforderlich ist, ohne den der Geist, der in der Kunst frei sein muß und allein das Werk belebt, gar keinem Körper haben und gänzlich verdunsten würde (Kant). Bei dieser Sachlage ein Gewicht auf die Auslassungen der 1870 befragten Sachverständigen zu legen, unter denen auch Architekten gewesen sein sollen, erscheint doch mindestens gewagt. Ganz verfehlt ist es aber, wenn dieselbe Gesetzgebung, die es erlaubt, jedes Bauwerk in derselben Kunstform nach¬ zubilden und architektonische (sowie technische) Zeichnungen wiederzugeben, das Recht zur mechanischen Vervielfältigung derartiger Zeichnungen dem Urheber oder dem, nu den es der Urheber überträgt, ausschließlich vorbehält. Der Verfasser von Bauplänen denkt in erster Linie an deren Ausführung, nicht an buchhändlerische Verwertung und würde auf deu Schutz, deu er jetzt genießt, und der meist doch nur seinem etwaige» Verleger zu gute kommt, verzichten können, wenn er nicht Gefahr liefe, daß sein geistiges Erzeugnis von andern auf dem Gebiete ausgebeutet wird, auf dem allein die Möglichkeit für ihn besteht, einen wesentlichen Nutzen aus seiner Schöpfung zu ziehen. Daß aber gegen den völligen Ausbau des richtigen Grundsatzes der neuern Gvenzbote» II I89l>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/41>, abgerufen am 12.05.2024.