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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Sprachdummheiten

dem Attribut des Technikums. Will man durchaus beide Konstruktionen
verbinden, so kann es nur heißen: der Direktor des Technikums zu Stre-
litz Hittenkofer. Dann ist Hittenkofer das Hauptwort, der Direktor
die Apposition dazu, und des Technikums das Attribut zur Apposition. Wer
ein wenig Sprachgefühl hat, für den bedarf es dieser langen Auseinander¬
setzung gar nicht. Man denke sich, daß jemand sagen wollte: die Ballade
Erlkönig Goethes -- der Doktor Meurer der Medizin -- der Minister
Koller des Innern -- der Begründer Ritter der wissenschaft¬
lichen Erdkunde -- das Mitglied Eugen Richter des Reichstags --
jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich halten, und doch wären
das ganz ähnliche Verbindungen.*)

Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Jncinanderschiebungen liegt,
nicht klar machen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden, wenn er
den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das Wort folgt, von
dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes Wort davon getrennt
sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt ruhig:

der Redakteur Küchling des Leipziger Tageblatts,
der Sekondeleutnant von Guttenberg des Jnfanterieleibregiments,
der Prokurist Hermann Becker der Firma Schimmel und Co.,
der Jnsasse Körner des hiesigen Arbeitshauses,
der Mönch Bernardus des Klosters Se. Stephan,
die Villa Achilleion der Kaiserin Elisabeth,
das Segelboot Undine des Prinzen Demidoff,
das Pferd Lippspringe des Freiherrn von Reitzenstein,
die Komödie Hans Pfriem des Martin Hahneceins,
die Marmvrbüste Die Verdammnis des knrfürstl. Sachs. Hofbildhauers
Permoser,
die Ortsgruppe Zeitz des Allgemeinen deutschen Schulvereins,
der Zweigverein Berlin-Charlottenburg des allgemeinen deutschen Sprach¬
vereins (!),
die Haltestelle Zwischenbrücken der Plagwitzer Eisenbahn,
die Strecke Faido--Lavorgo der Gotthardbahn usw.

Und die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in den
Zeitungen grassirt, sondern auch schon in wissenschaftlichen Werken spukt.

Ich gebe zu, daß er etwas bequemes, und das Bestreben, ihn zu ver¬
meiden, manchmal etwas unbequemes hat. Aber wird der Fehler dadurch er¬
träglicher? Wem es uicht gefällt, zu sagen: die Komödie des Martin
Hahneeeius Hans Pfriem, der stelle doch den Genetiv voran und sage:



Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags habe ich übrigens wirklich ge¬
druckt gelesen!
Neue Sprachdummheiten

dem Attribut des Technikums. Will man durchaus beide Konstruktionen
verbinden, so kann es nur heißen: der Direktor des Technikums zu Stre-
litz Hittenkofer. Dann ist Hittenkofer das Hauptwort, der Direktor
die Apposition dazu, und des Technikums das Attribut zur Apposition. Wer
ein wenig Sprachgefühl hat, für den bedarf es dieser langen Auseinander¬
setzung gar nicht. Man denke sich, daß jemand sagen wollte: die Ballade
Erlkönig Goethes — der Doktor Meurer der Medizin — der Minister
Koller des Innern — der Begründer Ritter der wissenschaft¬
lichen Erdkunde — das Mitglied Eugen Richter des Reichstags —
jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich halten, und doch wären
das ganz ähnliche Verbindungen.*)

Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Jncinanderschiebungen liegt,
nicht klar machen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden, wenn er
den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das Wort folgt, von
dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes Wort davon getrennt
sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt ruhig:

der Redakteur Küchling des Leipziger Tageblatts,
der Sekondeleutnant von Guttenberg des Jnfanterieleibregiments,
der Prokurist Hermann Becker der Firma Schimmel und Co.,
der Jnsasse Körner des hiesigen Arbeitshauses,
der Mönch Bernardus des Klosters Se. Stephan,
die Villa Achilleion der Kaiserin Elisabeth,
das Segelboot Undine des Prinzen Demidoff,
das Pferd Lippspringe des Freiherrn von Reitzenstein,
die Komödie Hans Pfriem des Martin Hahneceins,
die Marmvrbüste Die Verdammnis des knrfürstl. Sachs. Hofbildhauers
Permoser,
die Ortsgruppe Zeitz des Allgemeinen deutschen Schulvereins,
der Zweigverein Berlin-Charlottenburg des allgemeinen deutschen Sprach¬
vereins (!),
die Haltestelle Zwischenbrücken der Plagwitzer Eisenbahn,
die Strecke Faido—Lavorgo der Gotthardbahn usw.

Und die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in den
Zeitungen grassirt, sondern auch schon in wissenschaftlichen Werken spukt.

Ich gebe zu, daß er etwas bequemes, und das Bestreben, ihn zu ver¬
meiden, manchmal etwas unbequemes hat. Aber wird der Fehler dadurch er¬
träglicher? Wem es uicht gefällt, zu sagen: die Komödie des Martin
Hahneeeius Hans Pfriem, der stelle doch den Genetiv voran und sage:



Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags habe ich übrigens wirklich ge¬
druckt gelesen!
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[0411] Neue Sprachdummheiten dem Attribut des Technikums. Will man durchaus beide Konstruktionen verbinden, so kann es nur heißen: der Direktor des Technikums zu Stre- litz Hittenkofer. Dann ist Hittenkofer das Hauptwort, der Direktor die Apposition dazu, und des Technikums das Attribut zur Apposition. Wer ein wenig Sprachgefühl hat, für den bedarf es dieser langen Auseinander¬ setzung gar nicht. Man denke sich, daß jemand sagen wollte: die Ballade Erlkönig Goethes — der Doktor Meurer der Medizin — der Minister Koller des Innern — der Begründer Ritter der wissenschaft¬ lichen Erdkunde — das Mitglied Eugen Richter des Reichstags — jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich halten, und doch wären das ganz ähnliche Verbindungen.*) Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Jncinanderschiebungen liegt, nicht klar machen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden, wenn er den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das Wort folgt, von dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes Wort davon getrennt sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt ruhig: der Redakteur Küchling des Leipziger Tageblatts, der Sekondeleutnant von Guttenberg des Jnfanterieleibregiments, der Prokurist Hermann Becker der Firma Schimmel und Co., der Jnsasse Körner des hiesigen Arbeitshauses, der Mönch Bernardus des Klosters Se. Stephan, die Villa Achilleion der Kaiserin Elisabeth, das Segelboot Undine des Prinzen Demidoff, das Pferd Lippspringe des Freiherrn von Reitzenstein, die Komödie Hans Pfriem des Martin Hahneceins, die Marmvrbüste Die Verdammnis des knrfürstl. Sachs. Hofbildhauers Permoser, die Ortsgruppe Zeitz des Allgemeinen deutschen Schulvereins, der Zweigverein Berlin-Charlottenburg des allgemeinen deutschen Sprach¬ vereins (!), die Haltestelle Zwischenbrücken der Plagwitzer Eisenbahn, die Strecke Faido—Lavorgo der Gotthardbahn usw. Und die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in den Zeitungen grassirt, sondern auch schon in wissenschaftlichen Werken spukt. Ich gebe zu, daß er etwas bequemes, und das Bestreben, ihn zu ver¬ meiden, manchmal etwas unbequemes hat. Aber wird der Fehler dadurch er¬ träglicher? Wem es uicht gefällt, zu sagen: die Komödie des Martin Hahneeeius Hans Pfriem, der stelle doch den Genetiv voran und sage: Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags habe ich übrigens wirklich ge¬ druckt gelesen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/411>, abgerufen am 13.05.2024.