Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nationalökonomik und Rechtswissenschaft

Roschers Wunsch, die Lehrstühle der Staatswissenschaft in derselben Fakultät
wie die der Rechtswissenschaft untergebracht zu sehen, dem wir grundsätzlich
beistimmen, bald in Erfüllung gehen wird, ist wohl zweifelhaft. In Öster¬
reich hat man ihn schon erfüllt, aber in Deutschland entsprechen ihm nur
die Einrichtungen der Universitäten Würzburg und Straßburg. Die Uni¬
versitäten München und Tübingen haben besondre "staatswissenschaftliche"
Fakultäten, und auf den übrigen deutschen, also auf allen preußischen Univer¬
sitäten hat man die Staatswissenschaften in den großen Sammeltopf der philo¬
sophischen Fakultät mit hineingesetzt, jedenfalls eine ganz ungeeignete Unterkunft,
noch ungeeigneter als die Münchner und Tübinger Selbständigkeit. Aber die
Hauptsache ist doch, daß es überhaupt Ernst wird mit dem staatswissenschaft¬
licher Studium neben einem ernsten rechtswissenschaftlichen. Der Verfasser des
Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern hat die Verlängerung der preußischen
drei Jahre auf vier verlangt. Das ist berechtigt und auch ausreichend. Von
den fünfundsechzig Rechtslehrern, die am 23. Februar d. I. in Eisenach drei
Jahre als zu wenig für das Rechtsstudium allein erklärt haben, werden viel¬
leicht manche vier Jahre für zu wenig halten, um Rechts- und Staatswissen-
schaften zu studiren; aber denen soll man nur die heutige Sachlage gehörig
vor Augen halten, wo sich die rechtswissenschaftliche Vorbildung des praktischen
Juristen zum großen Teil nach verbummelten sechs Semestern in einem siebenten
beim Einpauker vollzieht. Professoren zu erziehen, ist der Hauptzweck der Uni-
versitütsstudien weder auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft noch auf dem
der Staatswissenschaften. Die Würde der Wissenschaft wird dadurch nicht
verletzt, daß der Staat energisch das Ziel verfolgt, eine genügende wissen¬
schaftliche Bildung für die praktischen Juristen und Verwaltungsbeamten
auf den Universitäten gewährleistet zu sehen, wofür jetzt durchaus die Ge¬
währ fehlt, wovon in Preußen sogar das Gegenteil geschieht. Im rechts¬
wissenschaftlichen Lager ist man ja erfreulicherweise in voller Arbeit über
eine Neugestaltung des akademischen Lehrgangs, und die Herren Staats¬
wissenschaftler thäten wohl daran, sich an dieser Arbeit gleich mit in aus¬
giebigster Weise zu beteiligen, denn auf ihrem Gebiet ist die Frage, was dem
Durchschnitt der angehenden Juristen und Verwaltungsbeamten auf der Uni¬
versität geboten werden soll, erst recht unklar. Die geltenden Bestimmungen
schreiben "die Grundlagen der Staatswissenschaften" vor, aber find nicht über
diese Grundlagen die Forscher am wenigsten einig? Es ist nach dieser Richtung
jedenfalls, und zwar unter Mitarbeit auf der Höhe stehender praktischer Justiz-
und Verwaltungsbeamten, noch eine bedeutende Vorarbeit zu leisten. Uns will
es scheinen, daß man um die Einführung der Studirenden in gewisse Einzel¬
aufgaben, wie sie sich namentlich in den statistischen Seminarien bieten, nicht
herumkommen wird. Das praktische Ziel, den jungen Leuten Kenntnisse und
Interessen mitzugeben, die sie in der Praxis als Richter, Anwälte und Ver-


Nationalökonomik und Rechtswissenschaft

Roschers Wunsch, die Lehrstühle der Staatswissenschaft in derselben Fakultät
wie die der Rechtswissenschaft untergebracht zu sehen, dem wir grundsätzlich
beistimmen, bald in Erfüllung gehen wird, ist wohl zweifelhaft. In Öster¬
reich hat man ihn schon erfüllt, aber in Deutschland entsprechen ihm nur
die Einrichtungen der Universitäten Würzburg und Straßburg. Die Uni¬
versitäten München und Tübingen haben besondre „staatswissenschaftliche"
Fakultäten, und auf den übrigen deutschen, also auf allen preußischen Univer¬
sitäten hat man die Staatswissenschaften in den großen Sammeltopf der philo¬
sophischen Fakultät mit hineingesetzt, jedenfalls eine ganz ungeeignete Unterkunft,
noch ungeeigneter als die Münchner und Tübinger Selbständigkeit. Aber die
Hauptsache ist doch, daß es überhaupt Ernst wird mit dem staatswissenschaft¬
licher Studium neben einem ernsten rechtswissenschaftlichen. Der Verfasser des
Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern hat die Verlängerung der preußischen
drei Jahre auf vier verlangt. Das ist berechtigt und auch ausreichend. Von
den fünfundsechzig Rechtslehrern, die am 23. Februar d. I. in Eisenach drei
Jahre als zu wenig für das Rechtsstudium allein erklärt haben, werden viel¬
leicht manche vier Jahre für zu wenig halten, um Rechts- und Staatswissen-
schaften zu studiren; aber denen soll man nur die heutige Sachlage gehörig
vor Augen halten, wo sich die rechtswissenschaftliche Vorbildung des praktischen
Juristen zum großen Teil nach verbummelten sechs Semestern in einem siebenten
beim Einpauker vollzieht. Professoren zu erziehen, ist der Hauptzweck der Uni-
versitütsstudien weder auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft noch auf dem
der Staatswissenschaften. Die Würde der Wissenschaft wird dadurch nicht
verletzt, daß der Staat energisch das Ziel verfolgt, eine genügende wissen¬
schaftliche Bildung für die praktischen Juristen und Verwaltungsbeamten
auf den Universitäten gewährleistet zu sehen, wofür jetzt durchaus die Ge¬
währ fehlt, wovon in Preußen sogar das Gegenteil geschieht. Im rechts¬
wissenschaftlichen Lager ist man ja erfreulicherweise in voller Arbeit über
eine Neugestaltung des akademischen Lehrgangs, und die Herren Staats¬
wissenschaftler thäten wohl daran, sich an dieser Arbeit gleich mit in aus¬
giebigster Weise zu beteiligen, denn auf ihrem Gebiet ist die Frage, was dem
Durchschnitt der angehenden Juristen und Verwaltungsbeamten auf der Uni¬
versität geboten werden soll, erst recht unklar. Die geltenden Bestimmungen
schreiben „die Grundlagen der Staatswissenschaften" vor, aber find nicht über
diese Grundlagen die Forscher am wenigsten einig? Es ist nach dieser Richtung
jedenfalls, und zwar unter Mitarbeit auf der Höhe stehender praktischer Justiz-
und Verwaltungsbeamten, noch eine bedeutende Vorarbeit zu leisten. Uns will
es scheinen, daß man um die Einführung der Studirenden in gewisse Einzel¬
aufgaben, wie sie sich namentlich in den statistischen Seminarien bieten, nicht
herumkommen wird. Das praktische Ziel, den jungen Leuten Kenntnisse und
Interessen mitzugeben, die sie in der Praxis als Richter, Anwälte und Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222805"/>
          <fw type="header" place="top"> Nationalökonomik und Rechtswissenschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1436" prev="#ID_1435" next="#ID_1437"> Roschers Wunsch, die Lehrstühle der Staatswissenschaft in derselben Fakultät<lb/>
wie die der Rechtswissenschaft untergebracht zu sehen, dem wir grundsätzlich<lb/>
beistimmen, bald in Erfüllung gehen wird, ist wohl zweifelhaft. In Öster¬<lb/>
reich hat man ihn schon erfüllt, aber in Deutschland entsprechen ihm nur<lb/>
die Einrichtungen der Universitäten Würzburg und Straßburg. Die Uni¬<lb/>
versitäten München und Tübingen haben besondre &#x201E;staatswissenschaftliche"<lb/>
Fakultäten, und auf den übrigen deutschen, also auf allen preußischen Univer¬<lb/>
sitäten hat man die Staatswissenschaften in den großen Sammeltopf der philo¬<lb/>
sophischen Fakultät mit hineingesetzt, jedenfalls eine ganz ungeeignete Unterkunft,<lb/>
noch ungeeigneter als die Münchner und Tübinger Selbständigkeit. Aber die<lb/>
Hauptsache ist doch, daß es überhaupt Ernst wird mit dem staatswissenschaft¬<lb/>
licher Studium neben einem ernsten rechtswissenschaftlichen. Der Verfasser des<lb/>
Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern hat die Verlängerung der preußischen<lb/>
drei Jahre auf vier verlangt. Das ist berechtigt und auch ausreichend. Von<lb/>
den fünfundsechzig Rechtslehrern, die am 23. Februar d. I. in Eisenach drei<lb/>
Jahre als zu wenig für das Rechtsstudium allein erklärt haben, werden viel¬<lb/>
leicht manche vier Jahre für zu wenig halten, um Rechts- und Staatswissen-<lb/>
schaften zu studiren; aber denen soll man nur die heutige Sachlage gehörig<lb/>
vor Augen halten, wo sich die rechtswissenschaftliche Vorbildung des praktischen<lb/>
Juristen zum großen Teil nach verbummelten sechs Semestern in einem siebenten<lb/>
beim Einpauker vollzieht. Professoren zu erziehen, ist der Hauptzweck der Uni-<lb/>
versitütsstudien weder auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft noch auf dem<lb/>
der Staatswissenschaften. Die Würde der Wissenschaft wird dadurch nicht<lb/>
verletzt, daß der Staat energisch das Ziel verfolgt, eine genügende wissen¬<lb/>
schaftliche Bildung für die praktischen Juristen und Verwaltungsbeamten<lb/>
auf den Universitäten gewährleistet zu sehen, wofür jetzt durchaus die Ge¬<lb/>
währ fehlt, wovon in Preußen sogar das Gegenteil geschieht. Im rechts¬<lb/>
wissenschaftlichen Lager ist man ja erfreulicherweise in voller Arbeit über<lb/>
eine Neugestaltung des akademischen Lehrgangs, und die Herren Staats¬<lb/>
wissenschaftler thäten wohl daran, sich an dieser Arbeit gleich mit in aus¬<lb/>
giebigster Weise zu beteiligen, denn auf ihrem Gebiet ist die Frage, was dem<lb/>
Durchschnitt der angehenden Juristen und Verwaltungsbeamten auf der Uni¬<lb/>
versität geboten werden soll, erst recht unklar. Die geltenden Bestimmungen<lb/>
schreiben &#x201E;die Grundlagen der Staatswissenschaften" vor, aber find nicht über<lb/>
diese Grundlagen die Forscher am wenigsten einig? Es ist nach dieser Richtung<lb/>
jedenfalls, und zwar unter Mitarbeit auf der Höhe stehender praktischer Justiz-<lb/>
und Verwaltungsbeamten, noch eine bedeutende Vorarbeit zu leisten. Uns will<lb/>
es scheinen, daß man um die Einführung der Studirenden in gewisse Einzel¬<lb/>
aufgaben, wie sie sich namentlich in den statistischen Seminarien bieten, nicht<lb/>
herumkommen wird. Das praktische Ziel, den jungen Leuten Kenntnisse und<lb/>
Interessen mitzugeben, die sie in der Praxis als Richter, Anwälte und Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Nationalökonomik und Rechtswissenschaft Roschers Wunsch, die Lehrstühle der Staatswissenschaft in derselben Fakultät wie die der Rechtswissenschaft untergebracht zu sehen, dem wir grundsätzlich beistimmen, bald in Erfüllung gehen wird, ist wohl zweifelhaft. In Öster¬ reich hat man ihn schon erfüllt, aber in Deutschland entsprechen ihm nur die Einrichtungen der Universitäten Würzburg und Straßburg. Die Uni¬ versitäten München und Tübingen haben besondre „staatswissenschaftliche" Fakultäten, und auf den übrigen deutschen, also auf allen preußischen Univer¬ sitäten hat man die Staatswissenschaften in den großen Sammeltopf der philo¬ sophischen Fakultät mit hineingesetzt, jedenfalls eine ganz ungeeignete Unterkunft, noch ungeeigneter als die Münchner und Tübinger Selbständigkeit. Aber die Hauptsache ist doch, daß es überhaupt Ernst wird mit dem staatswissenschaft¬ licher Studium neben einem ernsten rechtswissenschaftlichen. Der Verfasser des Aufsatzes in den Preußischen Jahrbüchern hat die Verlängerung der preußischen drei Jahre auf vier verlangt. Das ist berechtigt und auch ausreichend. Von den fünfundsechzig Rechtslehrern, die am 23. Februar d. I. in Eisenach drei Jahre als zu wenig für das Rechtsstudium allein erklärt haben, werden viel¬ leicht manche vier Jahre für zu wenig halten, um Rechts- und Staatswissen- schaften zu studiren; aber denen soll man nur die heutige Sachlage gehörig vor Augen halten, wo sich die rechtswissenschaftliche Vorbildung des praktischen Juristen zum großen Teil nach verbummelten sechs Semestern in einem siebenten beim Einpauker vollzieht. Professoren zu erziehen, ist der Hauptzweck der Uni- versitütsstudien weder auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft noch auf dem der Staatswissenschaften. Die Würde der Wissenschaft wird dadurch nicht verletzt, daß der Staat energisch das Ziel verfolgt, eine genügende wissen¬ schaftliche Bildung für die praktischen Juristen und Verwaltungsbeamten auf den Universitäten gewährleistet zu sehen, wofür jetzt durchaus die Ge¬ währ fehlt, wovon in Preußen sogar das Gegenteil geschieht. Im rechts¬ wissenschaftlichen Lager ist man ja erfreulicherweise in voller Arbeit über eine Neugestaltung des akademischen Lehrgangs, und die Herren Staats¬ wissenschaftler thäten wohl daran, sich an dieser Arbeit gleich mit in aus¬ giebigster Weise zu beteiligen, denn auf ihrem Gebiet ist die Frage, was dem Durchschnitt der angehenden Juristen und Verwaltungsbeamten auf der Uni¬ versität geboten werden soll, erst recht unklar. Die geltenden Bestimmungen schreiben „die Grundlagen der Staatswissenschaften" vor, aber find nicht über diese Grundlagen die Forscher am wenigsten einig? Es ist nach dieser Richtung jedenfalls, und zwar unter Mitarbeit auf der Höhe stehender praktischer Justiz- und Verwaltungsbeamten, noch eine bedeutende Vorarbeit zu leisten. Uns will es scheinen, daß man um die Einführung der Studirenden in gewisse Einzel¬ aufgaben, wie sie sich namentlich in den statistischen Seminarien bieten, nicht herumkommen wird. Das praktische Ziel, den jungen Leuten Kenntnisse und Interessen mitzugeben, die sie in der Praxis als Richter, Anwälte und Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/501>, abgerufen am 16.06.2024.