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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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und Beruf als das gegenwärtige Haupt der Familie, und der Vater des Gro߬
vaters, jener erste dunkel bekannte Ahn, pflegt dann wohl als ein noch Ge¬
ringerer genannt zu werden. Solche Fälle also, wo der jetzt in seinen reifen
Jahren stehende, selbständige Mann einen ebenso standesgemäßen Vater hat,
einen schon weniger vornehmern Großvater und einen wenig bekannten, aber
jedenfalls noch weniger vornehmen Urgroßvater, solche Fälle sind so häusig,
daß man meinen möchte, die Familiengeschichte sei eine Art moralischer Er¬
zählung oder Dichtung, die mit einer für das lebende Geschlecht möglichst er¬
freulichen Nutzanwendung schließen wollte.

Menschen, die zum Betrachten neigen und die dann derartigen Lebens¬
verhältnissen ihre Gedanken zuwenden, sagen nun mit dem üblichen Hange, eine
angenehme oder in einem gewissen Zusammenhange passend erscheinende Wahr¬
nehmung zu verallgemeinern: in bürgerlichen Familien ist "gewöhnlich" der
Großvater geringern Standes als der Enkel. Nach dieser Art zu beobachten
hat es also der Enkel (4.) weit gebracht, und schon ebenso der Vater (3.), wenn,
wie es oft vorkommt, dessen Großvater, jener "erste Ahn" (1.) seinem Sohne (2.)
gegenüber noch auf einer tiefern gesellschaftlichen Stufe stand. Man gewinnt
auf diesem Wege, indem man eine vielleicht nicht sehr große Zahl einzelner
Fälle in eine Regel bringt, ein Aufsteigen in vier Geschlechtern, wovon etwa
eines an dem gesellschaftlichen Fortschritt der Familie nicht ganz so stark be¬
teiligt ist wie die andern, wenn z. B. der Vater (3.) schon fast ebenso vor¬
nehm war wie der Sohn (4.), der Großvater (2.) aber und dessen Vater (1.)
viel weniger vornehm waren als jener "Vater" (3.).

Weiter kann man nun noch nach einzelnen Formen des Standes und
nach bestimmten Arten der Beschäftigung suchen, in denen sich dieser Fort¬
schritt der Familien besonders gern zu vollziehen scheint. Jeder von uns kennt
wohl eiuen höhern Beamten, dessen Vater Pfarrer war, auch Wohl mehrere
solche Fülle, ferner auch eine Anzahl von Pastoren, die Söhne von Volks-
schullehrcrn sind. Er weiß ferner, daß viele Schullehrer aus Handwerker¬
und Vauernfamilien hervorgegangen sind. Er nimmt wahr, daß der Gym¬
nasiallehrer, wenn er ein Mann von Ansprüchen ist, heiklen Sohn nicht gern
wieder Gymnasiallehrer werden läßt, sondern womöglich "etwas besseres."
Ans diese Weise erhält jemand, der seine Betrachtungen in ein System bringt,
vier Stufen, die ungefähr so aussehen: 1. Bauer, Handwerker. 2. Volks¬
schullehrer, Subalternbeamter, kleiner Geschäftsmann. 3. Pastor, Gymnasial¬
lehrer, mittlerer Geschäftsmann. 4. Höherer Beamter, Großkaufmann, reicher
Mittelstand.

Auf Grund solcher Beobachtungen oder Voraussetzungen hat schon vor
vierzig Jahren ein um die Erforschung unsers Volkslebens hochverdienter Mann
Bücher geschrieben, die damals viele Menschen lieber gelesen haben als alle
Romane. Und doch war es eine Art von Wissenschaft, die darin geboten


Gronzboten II 1896 (ZZ
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und Beruf als das gegenwärtige Haupt der Familie, und der Vater des Gro߬
vaters, jener erste dunkel bekannte Ahn, pflegt dann wohl als ein noch Ge¬
ringerer genannt zu werden. Solche Fälle also, wo der jetzt in seinen reifen
Jahren stehende, selbständige Mann einen ebenso standesgemäßen Vater hat,
einen schon weniger vornehmern Großvater und einen wenig bekannten, aber
jedenfalls noch weniger vornehmen Urgroßvater, solche Fälle sind so häusig,
daß man meinen möchte, die Familiengeschichte sei eine Art moralischer Er¬
zählung oder Dichtung, die mit einer für das lebende Geschlecht möglichst er¬
freulichen Nutzanwendung schließen wollte.

Menschen, die zum Betrachten neigen und die dann derartigen Lebens¬
verhältnissen ihre Gedanken zuwenden, sagen nun mit dem üblichen Hange, eine
angenehme oder in einem gewissen Zusammenhange passend erscheinende Wahr¬
nehmung zu verallgemeinern: in bürgerlichen Familien ist „gewöhnlich" der
Großvater geringern Standes als der Enkel. Nach dieser Art zu beobachten
hat es also der Enkel (4.) weit gebracht, und schon ebenso der Vater (3.), wenn,
wie es oft vorkommt, dessen Großvater, jener „erste Ahn" (1.) seinem Sohne (2.)
gegenüber noch auf einer tiefern gesellschaftlichen Stufe stand. Man gewinnt
auf diesem Wege, indem man eine vielleicht nicht sehr große Zahl einzelner
Fälle in eine Regel bringt, ein Aufsteigen in vier Geschlechtern, wovon etwa
eines an dem gesellschaftlichen Fortschritt der Familie nicht ganz so stark be¬
teiligt ist wie die andern, wenn z. B. der Vater (3.) schon fast ebenso vor¬
nehm war wie der Sohn (4.), der Großvater (2.) aber und dessen Vater (1.)
viel weniger vornehm waren als jener „Vater" (3.).

Weiter kann man nun noch nach einzelnen Formen des Standes und
nach bestimmten Arten der Beschäftigung suchen, in denen sich dieser Fort¬
schritt der Familien besonders gern zu vollziehen scheint. Jeder von uns kennt
wohl eiuen höhern Beamten, dessen Vater Pfarrer war, auch Wohl mehrere
solche Fülle, ferner auch eine Anzahl von Pastoren, die Söhne von Volks-
schullehrcrn sind. Er weiß ferner, daß viele Schullehrer aus Handwerker¬
und Vauernfamilien hervorgegangen sind. Er nimmt wahr, daß der Gym¬
nasiallehrer, wenn er ein Mann von Ansprüchen ist, heiklen Sohn nicht gern
wieder Gymnasiallehrer werden läßt, sondern womöglich „etwas besseres."
Ans diese Weise erhält jemand, der seine Betrachtungen in ein System bringt,
vier Stufen, die ungefähr so aussehen: 1. Bauer, Handwerker. 2. Volks¬
schullehrer, Subalternbeamter, kleiner Geschäftsmann. 3. Pastor, Gymnasial¬
lehrer, mittlerer Geschäftsmann. 4. Höherer Beamter, Großkaufmann, reicher
Mittelstand.

Auf Grund solcher Beobachtungen oder Voraussetzungen hat schon vor
vierzig Jahren ein um die Erforschung unsers Volkslebens hochverdienter Mann
Bücher geschrieben, die damals viele Menschen lieber gelesen haben als alle
Romane. Und doch war es eine Art von Wissenschaft, die darin geboten


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[0505] von unten nach oben und Beruf als das gegenwärtige Haupt der Familie, und der Vater des Gro߬ vaters, jener erste dunkel bekannte Ahn, pflegt dann wohl als ein noch Ge¬ ringerer genannt zu werden. Solche Fälle also, wo der jetzt in seinen reifen Jahren stehende, selbständige Mann einen ebenso standesgemäßen Vater hat, einen schon weniger vornehmern Großvater und einen wenig bekannten, aber jedenfalls noch weniger vornehmen Urgroßvater, solche Fälle sind so häusig, daß man meinen möchte, die Familiengeschichte sei eine Art moralischer Er¬ zählung oder Dichtung, die mit einer für das lebende Geschlecht möglichst er¬ freulichen Nutzanwendung schließen wollte. Menschen, die zum Betrachten neigen und die dann derartigen Lebens¬ verhältnissen ihre Gedanken zuwenden, sagen nun mit dem üblichen Hange, eine angenehme oder in einem gewissen Zusammenhange passend erscheinende Wahr¬ nehmung zu verallgemeinern: in bürgerlichen Familien ist „gewöhnlich" der Großvater geringern Standes als der Enkel. Nach dieser Art zu beobachten hat es also der Enkel (4.) weit gebracht, und schon ebenso der Vater (3.), wenn, wie es oft vorkommt, dessen Großvater, jener „erste Ahn" (1.) seinem Sohne (2.) gegenüber noch auf einer tiefern gesellschaftlichen Stufe stand. Man gewinnt auf diesem Wege, indem man eine vielleicht nicht sehr große Zahl einzelner Fälle in eine Regel bringt, ein Aufsteigen in vier Geschlechtern, wovon etwa eines an dem gesellschaftlichen Fortschritt der Familie nicht ganz so stark be¬ teiligt ist wie die andern, wenn z. B. der Vater (3.) schon fast ebenso vor¬ nehm war wie der Sohn (4.), der Großvater (2.) aber und dessen Vater (1.) viel weniger vornehm waren als jener „Vater" (3.). Weiter kann man nun noch nach einzelnen Formen des Standes und nach bestimmten Arten der Beschäftigung suchen, in denen sich dieser Fort¬ schritt der Familien besonders gern zu vollziehen scheint. Jeder von uns kennt wohl eiuen höhern Beamten, dessen Vater Pfarrer war, auch Wohl mehrere solche Fülle, ferner auch eine Anzahl von Pastoren, die Söhne von Volks- schullehrcrn sind. Er weiß ferner, daß viele Schullehrer aus Handwerker¬ und Vauernfamilien hervorgegangen sind. Er nimmt wahr, daß der Gym¬ nasiallehrer, wenn er ein Mann von Ansprüchen ist, heiklen Sohn nicht gern wieder Gymnasiallehrer werden läßt, sondern womöglich „etwas besseres." Ans diese Weise erhält jemand, der seine Betrachtungen in ein System bringt, vier Stufen, die ungefähr so aussehen: 1. Bauer, Handwerker. 2. Volks¬ schullehrer, Subalternbeamter, kleiner Geschäftsmann. 3. Pastor, Gymnasial¬ lehrer, mittlerer Geschäftsmann. 4. Höherer Beamter, Großkaufmann, reicher Mittelstand. Auf Grund solcher Beobachtungen oder Voraussetzungen hat schon vor vierzig Jahren ein um die Erforschung unsers Volkslebens hochverdienter Mann Bücher geschrieben, die damals viele Menschen lieber gelesen haben als alle Romane. Und doch war es eine Art von Wissenschaft, die darin geboten Gronzboten II 1896 (ZZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/505>, abgerufen am 13.05.2024.