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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Fnrstenwürde und Partikularismus

Dasein gefristet, während in Hannover die Welfenpartei noch heute eine Macht
ist? Der Preußenhaß war kurz vor dem Kriege von 1866 in Schleswig-Holstein
gewiß mindestens eben so stark wie in Hannover. Aber in Schleswig-Holstein
fehlten die Überlieferungen des selbständigen Fürstenhauses, die in Hannover
so mächtig nachwirken und die Übertragung der Ergebenheitsgeftthle auf die
Hoheuzollernmonarchie so lange erschwert haben. Von Anhänglichkeit an das
dünische Fürstenhaus war bei deu deutschgesiunten Bewohnern Schleswig-
Holsteins nach dem Kriege von 1848 bis 1850 keine Rede mehr. Der Wunsch
der Selbständigkeit aber, der in den Huldigungen für den Augustenburgcr so
beredten Ausdruck fand, war doch nur ein kurzer Traum, der keine bleibenden
Spuren im Volksgemüt hinterlassen hat. Heute wünscht kein verständiger und
politisch zurechnungsfähiger Schleswig-Holsteiuer mehr, daß auf Schloß Gottorp
ein selbständiger Fürst seinen Sitz haben möge. Wo der Fürstenhof sehlt, dn
stellt sich eben viel leichter das Gefühl der Gleichberechtigung ein, da wird
nicht die doch so notwendige und unvermeidliche Unterordnung unter die
Zentralgewalt als drückende Demütigung empfunden. Wenn dem Provinzialen
alle Wege offen stehen, wie sollte er nicht lieber der Angehörige eines Gro߬
staates als der eines Kleinstaates sein wollen, und welcher Anlaß wäre für
ihn zum Neid auf eine Größe und Bedeutung, woran er selbst mit Anteil
nimmt?

Ganz anders ist es bei dem Trüger einer königlichen Würde, dem der
Verzicht ans Gleichberechtigung mit dem Beherrscher des im Staatenbunde
führenden Staates schwer fallen mag, und der doch der Natur der Dinge nach
unter den heutigen Verhältnissen gar nicht eine selbständige unabhängige
Stellung beanspruchen kann. Wann wären denn in der Neuzeit die deutscheu
Kleinstaaten Verbündete im Sinne eines internationalen Bündnisvertrags
zwischen gleichberechtigten Mächten gewesen? Sie waren Vasallen des ersten
Napoleon, sie folgten 1866 der Führung Preußens oder Österreichs, und sie
würden in Zukunft die Oberhoheit Preußens nur abschütteln können, um in
eine andre, aber für das Nationalgefühl schmachvolle Abhängigkeit zu geraten.
Aber wie allbekannt dies auch ist, so mag es doch, wie die Thatsachen lehren,
für deu, der das Bewußtsein fürstlicher Würde im Busen trügt, nicht immer
augenehm sein, sich die Stellung eines Kleinstaats zu vergegenwärtigen und
hieraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen.

Was soll nun geschehen? Sollte die im Jahre 1866 unvollständig ge-
bliebne Revolution von oben nachträglich vollendet, die Einigung vollständig
durchgeführt werden? Daran kann im Ernst nicht gedacht werden. Was ein¬
treten könnte, wenn in Zukunft jemals ein deutscher Fürst seiue Pflicht ver¬
säumen sollte, entzieht sich jeder Berechnung. Für die Gegenwart aber ist
unsre Aufgabe klar genug gegeben. Wir sollen diese Erscheinungen sorgfältig
beachten und daraus zu lernen suchen. Anstatt die süddeutschen Brüder zu


Fnrstenwürde und Partikularismus

Dasein gefristet, während in Hannover die Welfenpartei noch heute eine Macht
ist? Der Preußenhaß war kurz vor dem Kriege von 1866 in Schleswig-Holstein
gewiß mindestens eben so stark wie in Hannover. Aber in Schleswig-Holstein
fehlten die Überlieferungen des selbständigen Fürstenhauses, die in Hannover
so mächtig nachwirken und die Übertragung der Ergebenheitsgeftthle auf die
Hoheuzollernmonarchie so lange erschwert haben. Von Anhänglichkeit an das
dünische Fürstenhaus war bei deu deutschgesiunten Bewohnern Schleswig-
Holsteins nach dem Kriege von 1848 bis 1850 keine Rede mehr. Der Wunsch
der Selbständigkeit aber, der in den Huldigungen für den Augustenburgcr so
beredten Ausdruck fand, war doch nur ein kurzer Traum, der keine bleibenden
Spuren im Volksgemüt hinterlassen hat. Heute wünscht kein verständiger und
politisch zurechnungsfähiger Schleswig-Holsteiuer mehr, daß auf Schloß Gottorp
ein selbständiger Fürst seinen Sitz haben möge. Wo der Fürstenhof sehlt, dn
stellt sich eben viel leichter das Gefühl der Gleichberechtigung ein, da wird
nicht die doch so notwendige und unvermeidliche Unterordnung unter die
Zentralgewalt als drückende Demütigung empfunden. Wenn dem Provinzialen
alle Wege offen stehen, wie sollte er nicht lieber der Angehörige eines Gro߬
staates als der eines Kleinstaates sein wollen, und welcher Anlaß wäre für
ihn zum Neid auf eine Größe und Bedeutung, woran er selbst mit Anteil
nimmt?

Ganz anders ist es bei dem Trüger einer königlichen Würde, dem der
Verzicht ans Gleichberechtigung mit dem Beherrscher des im Staatenbunde
führenden Staates schwer fallen mag, und der doch der Natur der Dinge nach
unter den heutigen Verhältnissen gar nicht eine selbständige unabhängige
Stellung beanspruchen kann. Wann wären denn in der Neuzeit die deutscheu
Kleinstaaten Verbündete im Sinne eines internationalen Bündnisvertrags
zwischen gleichberechtigten Mächten gewesen? Sie waren Vasallen des ersten
Napoleon, sie folgten 1866 der Führung Preußens oder Österreichs, und sie
würden in Zukunft die Oberhoheit Preußens nur abschütteln können, um in
eine andre, aber für das Nationalgefühl schmachvolle Abhängigkeit zu geraten.
Aber wie allbekannt dies auch ist, so mag es doch, wie die Thatsachen lehren,
für deu, der das Bewußtsein fürstlicher Würde im Busen trügt, nicht immer
augenehm sein, sich die Stellung eines Kleinstaats zu vergegenwärtigen und
hieraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen.

Was soll nun geschehen? Sollte die im Jahre 1866 unvollständig ge-
bliebne Revolution von oben nachträglich vollendet, die Einigung vollständig
durchgeführt werden? Daran kann im Ernst nicht gedacht werden. Was ein¬
treten könnte, wenn in Zukunft jemals ein deutscher Fürst seiue Pflicht ver¬
säumen sollte, entzieht sich jeder Berechnung. Für die Gegenwart aber ist
unsre Aufgabe klar genug gegeben. Wir sollen diese Erscheinungen sorgfältig
beachten und daraus zu lernen suchen. Anstatt die süddeutschen Brüder zu


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[0587] Fnrstenwürde und Partikularismus Dasein gefristet, während in Hannover die Welfenpartei noch heute eine Macht ist? Der Preußenhaß war kurz vor dem Kriege von 1866 in Schleswig-Holstein gewiß mindestens eben so stark wie in Hannover. Aber in Schleswig-Holstein fehlten die Überlieferungen des selbständigen Fürstenhauses, die in Hannover so mächtig nachwirken und die Übertragung der Ergebenheitsgeftthle auf die Hoheuzollernmonarchie so lange erschwert haben. Von Anhänglichkeit an das dünische Fürstenhaus war bei deu deutschgesiunten Bewohnern Schleswig- Holsteins nach dem Kriege von 1848 bis 1850 keine Rede mehr. Der Wunsch der Selbständigkeit aber, der in den Huldigungen für den Augustenburgcr so beredten Ausdruck fand, war doch nur ein kurzer Traum, der keine bleibenden Spuren im Volksgemüt hinterlassen hat. Heute wünscht kein verständiger und politisch zurechnungsfähiger Schleswig-Holsteiuer mehr, daß auf Schloß Gottorp ein selbständiger Fürst seinen Sitz haben möge. Wo der Fürstenhof sehlt, dn stellt sich eben viel leichter das Gefühl der Gleichberechtigung ein, da wird nicht die doch so notwendige und unvermeidliche Unterordnung unter die Zentralgewalt als drückende Demütigung empfunden. Wenn dem Provinzialen alle Wege offen stehen, wie sollte er nicht lieber der Angehörige eines Gro߬ staates als der eines Kleinstaates sein wollen, und welcher Anlaß wäre für ihn zum Neid auf eine Größe und Bedeutung, woran er selbst mit Anteil nimmt? Ganz anders ist es bei dem Trüger einer königlichen Würde, dem der Verzicht ans Gleichberechtigung mit dem Beherrscher des im Staatenbunde führenden Staates schwer fallen mag, und der doch der Natur der Dinge nach unter den heutigen Verhältnissen gar nicht eine selbständige unabhängige Stellung beanspruchen kann. Wann wären denn in der Neuzeit die deutscheu Kleinstaaten Verbündete im Sinne eines internationalen Bündnisvertrags zwischen gleichberechtigten Mächten gewesen? Sie waren Vasallen des ersten Napoleon, sie folgten 1866 der Führung Preußens oder Österreichs, und sie würden in Zukunft die Oberhoheit Preußens nur abschütteln können, um in eine andre, aber für das Nationalgefühl schmachvolle Abhängigkeit zu geraten. Aber wie allbekannt dies auch ist, so mag es doch, wie die Thatsachen lehren, für deu, der das Bewußtsein fürstlicher Würde im Busen trügt, nicht immer augenehm sein, sich die Stellung eines Kleinstaats zu vergegenwärtigen und hieraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen. Was soll nun geschehen? Sollte die im Jahre 1866 unvollständig ge- bliebne Revolution von oben nachträglich vollendet, die Einigung vollständig durchgeführt werden? Daran kann im Ernst nicht gedacht werden. Was ein¬ treten könnte, wenn in Zukunft jemals ein deutscher Fürst seiue Pflicht ver¬ säumen sollte, entzieht sich jeder Berechnung. Für die Gegenwart aber ist unsre Aufgabe klar genug gegeben. Wir sollen diese Erscheinungen sorgfältig beachten und daraus zu lernen suchen. Anstatt die süddeutschen Brüder zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/587>, abgerufen am 26.05.2024.