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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Sir Wort zum deutsch-dänischen Streit

dänischen Schriftsprache nicht so bedeutend sind, wie sie behaupten. Aber eben
diese Befangenheit des Urteils, diese Abneigung gegen das Deutsche sind
Kennzeichen einer Stimmung, die wir durch Zwangsmaßregeln auf dem Ge¬
biete der Schule nie beseitigen werden, ebenso wenig durch den ganz unfrucht¬
baren Streit um den Begriff der Muttersprache. Nirgends wird im Ernst
verlangt, daß eine Mundart zur Schulsprache gemacht werde. Wenn daher
von dem Unterricht in der Muttersprache die Rede ist, so kann darunter nur
die Schriftsprache verstanden werden, die der von der Bevölkerung gesprochnen
Mundart am nächsten kommt, und das ist für die Nordschleswiger unstreitig
das Dünische. Wir wollen den Nordschleswigern das natürliche Recht jedes
Menschen verwehren, sich als Bildungssprache der Sprache zu bedienen, die
ihm am liebsten und vertrautesten ist. Das allein ist hier entscheidend.
Andrerseits unterschütze man doch nicht die oben hervorgehobnen trotz der
nahen Verwandtschaft beider Sprachen gar nicht so geringen Schwierigkeiten.
Es giebt Nordschleswiger, deren Bildungsstandpunkt den des Dorfschulkindes
weit überragt, und die doch nicht fehlerfrei Deutsch sprechen und schreiben
können. Ich selbst habe als Kind dänischen Sprachunterricht genossen, später
auch viel mit Dänen verkehrt, aber ich getraue mir doch nicht, einen dänischen
Bries zu schreiben, und meine dänische Unterhaltung ist wahrscheinlich für den
gebornen Dünen wenig angenehm zu hören; ich habe es darin nie zu tadel¬
loser Aussprache und vollkommner Fähigkeit des Ausdrucks der Gedanken
gebracht.

Daß die Dünen deutsch denken, dahin bringen wir es durch den deutschen
Schulunterricht trotz seiner gepriesenen Vorzüglichkeit nimmermehr. Und darum
wird ihnen auch das Dänische die Sprache der Empfindung bleiben, werden
sie ihre Erbauung auch ferner in dieser Sprache suchen. Auf kirchlichem Ge¬
biete sind die Germanisirungsbestrebungen noch viel verfehlter und wirkungs¬
loser, als auf dem der Schule. Man kann die Schule verdeutschen, aber man
kann nicht die Erwachsenen in die deutsche Kirche kommandiren. Durch die
Bemühungen, auch auf kirchlichem Gebiete das Deutsche allmählich vorzuschieben,
wird nur die Abneigung der Dünen gegen die Staatskirche bestärkt. Es ist
bemerkenswert, daß die Führer des Deutschtums den eignen Parteigenossen in
dieser Hinsicht zu viel thun. Mitglieder eines deutschen Kriegervereins, an
deren deutscher Gesinnung kein Zweifel sein kann, haben sich gegen die be¬
antragte Abschaffung des dänischen Gottesdienstes in einem an der Sprach¬
grenze liegenden Kirchspiel erklärt. Und wie unheilvoll die nationale Ver¬
seindung auf das Verhalten der Dänen zur Landeskirche einwirkt, dafür liefern
mehrere Vorgänge der letzten Zeit den Beweis. Ein dänischgesinnter Land¬
mann ließ die Trauung seiner Tochter in seinem Hause durch einen dänischen
Freigemeindeprediger vollziehen. Er hatte dies ursprünglich nicht beabsichtigt,
wurde aber dazu veranlaßt durch eine von dem Ortsprediger am Sedantage


Sir Wort zum deutsch-dänischen Streit

dänischen Schriftsprache nicht so bedeutend sind, wie sie behaupten. Aber eben
diese Befangenheit des Urteils, diese Abneigung gegen das Deutsche sind
Kennzeichen einer Stimmung, die wir durch Zwangsmaßregeln auf dem Ge¬
biete der Schule nie beseitigen werden, ebenso wenig durch den ganz unfrucht¬
baren Streit um den Begriff der Muttersprache. Nirgends wird im Ernst
verlangt, daß eine Mundart zur Schulsprache gemacht werde. Wenn daher
von dem Unterricht in der Muttersprache die Rede ist, so kann darunter nur
die Schriftsprache verstanden werden, die der von der Bevölkerung gesprochnen
Mundart am nächsten kommt, und das ist für die Nordschleswiger unstreitig
das Dünische. Wir wollen den Nordschleswigern das natürliche Recht jedes
Menschen verwehren, sich als Bildungssprache der Sprache zu bedienen, die
ihm am liebsten und vertrautesten ist. Das allein ist hier entscheidend.
Andrerseits unterschütze man doch nicht die oben hervorgehobnen trotz der
nahen Verwandtschaft beider Sprachen gar nicht so geringen Schwierigkeiten.
Es giebt Nordschleswiger, deren Bildungsstandpunkt den des Dorfschulkindes
weit überragt, und die doch nicht fehlerfrei Deutsch sprechen und schreiben
können. Ich selbst habe als Kind dänischen Sprachunterricht genossen, später
auch viel mit Dänen verkehrt, aber ich getraue mir doch nicht, einen dänischen
Bries zu schreiben, und meine dänische Unterhaltung ist wahrscheinlich für den
gebornen Dünen wenig angenehm zu hören; ich habe es darin nie zu tadel¬
loser Aussprache und vollkommner Fähigkeit des Ausdrucks der Gedanken
gebracht.

Daß die Dünen deutsch denken, dahin bringen wir es durch den deutschen
Schulunterricht trotz seiner gepriesenen Vorzüglichkeit nimmermehr. Und darum
wird ihnen auch das Dänische die Sprache der Empfindung bleiben, werden
sie ihre Erbauung auch ferner in dieser Sprache suchen. Auf kirchlichem Ge¬
biete sind die Germanisirungsbestrebungen noch viel verfehlter und wirkungs¬
loser, als auf dem der Schule. Man kann die Schule verdeutschen, aber man
kann nicht die Erwachsenen in die deutsche Kirche kommandiren. Durch die
Bemühungen, auch auf kirchlichem Gebiete das Deutsche allmählich vorzuschieben,
wird nur die Abneigung der Dünen gegen die Staatskirche bestärkt. Es ist
bemerkenswert, daß die Führer des Deutschtums den eignen Parteigenossen in
dieser Hinsicht zu viel thun. Mitglieder eines deutschen Kriegervereins, an
deren deutscher Gesinnung kein Zweifel sein kann, haben sich gegen die be¬
antragte Abschaffung des dänischen Gottesdienstes in einem an der Sprach¬
grenze liegenden Kirchspiel erklärt. Und wie unheilvoll die nationale Ver¬
seindung auf das Verhalten der Dänen zur Landeskirche einwirkt, dafür liefern
mehrere Vorgänge der letzten Zeit den Beweis. Ein dänischgesinnter Land¬
mann ließ die Trauung seiner Tochter in seinem Hause durch einen dänischen
Freigemeindeprediger vollziehen. Er hatte dies ursprünglich nicht beabsichtigt,
wurde aber dazu veranlaßt durch eine von dem Ortsprediger am Sedantage


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[0607] Sir Wort zum deutsch-dänischen Streit dänischen Schriftsprache nicht so bedeutend sind, wie sie behaupten. Aber eben diese Befangenheit des Urteils, diese Abneigung gegen das Deutsche sind Kennzeichen einer Stimmung, die wir durch Zwangsmaßregeln auf dem Ge¬ biete der Schule nie beseitigen werden, ebenso wenig durch den ganz unfrucht¬ baren Streit um den Begriff der Muttersprache. Nirgends wird im Ernst verlangt, daß eine Mundart zur Schulsprache gemacht werde. Wenn daher von dem Unterricht in der Muttersprache die Rede ist, so kann darunter nur die Schriftsprache verstanden werden, die der von der Bevölkerung gesprochnen Mundart am nächsten kommt, und das ist für die Nordschleswiger unstreitig das Dünische. Wir wollen den Nordschleswigern das natürliche Recht jedes Menschen verwehren, sich als Bildungssprache der Sprache zu bedienen, die ihm am liebsten und vertrautesten ist. Das allein ist hier entscheidend. Andrerseits unterschütze man doch nicht die oben hervorgehobnen trotz der nahen Verwandtschaft beider Sprachen gar nicht so geringen Schwierigkeiten. Es giebt Nordschleswiger, deren Bildungsstandpunkt den des Dorfschulkindes weit überragt, und die doch nicht fehlerfrei Deutsch sprechen und schreiben können. Ich selbst habe als Kind dänischen Sprachunterricht genossen, später auch viel mit Dänen verkehrt, aber ich getraue mir doch nicht, einen dänischen Bries zu schreiben, und meine dänische Unterhaltung ist wahrscheinlich für den gebornen Dünen wenig angenehm zu hören; ich habe es darin nie zu tadel¬ loser Aussprache und vollkommner Fähigkeit des Ausdrucks der Gedanken gebracht. Daß die Dünen deutsch denken, dahin bringen wir es durch den deutschen Schulunterricht trotz seiner gepriesenen Vorzüglichkeit nimmermehr. Und darum wird ihnen auch das Dänische die Sprache der Empfindung bleiben, werden sie ihre Erbauung auch ferner in dieser Sprache suchen. Auf kirchlichem Ge¬ biete sind die Germanisirungsbestrebungen noch viel verfehlter und wirkungs¬ loser, als auf dem der Schule. Man kann die Schule verdeutschen, aber man kann nicht die Erwachsenen in die deutsche Kirche kommandiren. Durch die Bemühungen, auch auf kirchlichem Gebiete das Deutsche allmählich vorzuschieben, wird nur die Abneigung der Dünen gegen die Staatskirche bestärkt. Es ist bemerkenswert, daß die Führer des Deutschtums den eignen Parteigenossen in dieser Hinsicht zu viel thun. Mitglieder eines deutschen Kriegervereins, an deren deutscher Gesinnung kein Zweifel sein kann, haben sich gegen die be¬ antragte Abschaffung des dänischen Gottesdienstes in einem an der Sprach¬ grenze liegenden Kirchspiel erklärt. Und wie unheilvoll die nationale Ver¬ seindung auf das Verhalten der Dänen zur Landeskirche einwirkt, dafür liefern mehrere Vorgänge der letzten Zeit den Beweis. Ein dänischgesinnter Land¬ mann ließ die Trauung seiner Tochter in seinem Hause durch einen dänischen Freigemeindeprediger vollziehen. Er hatte dies ursprünglich nicht beabsichtigt, wurde aber dazu veranlaßt durch eine von dem Ortsprediger am Sedantage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/607>, abgerufen am 11.05.2024.