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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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England in Ägypten

Engländer das unglückliche Ägypten in den Sumpf geritten haben und es durch
die seit 1882 betriebne planmäßige Aussaugung in möglichst knappen Geld¬
verhältnissen zu erhalten bemüht gewesen sind, so ist das eine schamlose
Heuchelei und eine der englischen Unverfrorenheiten, wie sie sich die europäische
Welt seit einer Reihe von Jahren von der Ag,11eine> nation mit beispielloser
Langmut bieten läßt.

Am 25. Juni 1882 unterschrieb der englische Gesandte Dufferin gleich
den Vertretern der übrigen Großmächte in Therapia das sogenannte 3s1t-
DsuMA?rotooo1. Darin heißt es: "Die durch die Unterzeichneten vertretenen
Regierungen verpflichten sich, in keinem Arrangement, wie es sich infolge ihres
vereinigten Vorgehens in der Regelung der ägyptischen Angelegenheiten ent¬
wickeln könnte, weder irgend einen territorialen Vorteil, noch die Bewilligung
eines andern ausschließlichen Vorrechts, noch irgend einen kommerziellen Vorteil
sür ihre Unterthanen zu suchen als den, den nicht auch jede andre Nation in
gleicher Weise erlangen könnte."

Etwa vierzehn Tage später (11. Juli) schoß der englische Admiral
Seymour ohne die geringste Veranlassung, soweit sie nicht von englischer
Seite erfabelt war, Alexandria in Trümmer, wobei Hunderte von Ahnungs¬
losen getötet wurden. Und seitdem lastet die englische Okkupation auf dem
Nilthale wie ein riesenhafter Polyp, der seine Fangarme immer weiter aus¬
streckt. Derselbe Staat, der in feierlicher Urkunde mit den andern Gro߬
mächten vereint jeder selbstsüchtigen Absicht fernzustehen erklärte, hat sich durch
zahllose Intriguen -- bei denen entstellte Zeitungsnachrichten, die auf dem
Kontinent gläubig nachgedruckt werden, die Hauptrolle spielen -- in den
Besitz fast aller wichtigern Ämter gesetzt. Kein Ägypter kann in der ägyp¬
tischen Armee mehr als Hauptmann werden, die Minister, die nicht nach der
Flöte der englischen Rate und Unterstaatssekretäre tanzen, werden wegintriguirt.
Dabei beziehen alle Engländer märchenhaften Gehalt, natürlich zur Wohlfahrt
des Landes und der ägyptischen Rasse. 20 bis 30000 Mark das Jahr ist
nichts außergewöhnliches; ein simpler Leutnant hat etwa 10000 Mark (440
ägyptische Pfund), der Generalissimus Kitchener Pascha erfreut sich eines
Gehalts von über 50000 Mark. Die in denselben Chargen stehenden Ägypter
bekommen weniger, angeblich weil sie mit weniger auskommen; warum aber
auch ein deutscher Polizeihauptmcmn mit weniger fertig werden soll als ein
englischer, dürfte schwieriger nachzuweisen sein.

Und warum hält England Ägypten besetzt? Angeblich um die dortigen
Europäer vor dem beständig drohenden Fanatismus der Bevölkerung zu schützen,
bis ruhigere Zustände eingetreten sein würden. Das ist aber schon längst der
Fall. Kein Volk ist geduldiger und ruhiger in sozialem Sinne als der Ägypter.
Die niedern Klassen, die Fellachen, arbeiten wie die Tiere. Und wer Gelegenheit
hat, mit Ägyptern der höhern Stände zusammenzukommen, der lernt in vielen


England in Ägypten

Engländer das unglückliche Ägypten in den Sumpf geritten haben und es durch
die seit 1882 betriebne planmäßige Aussaugung in möglichst knappen Geld¬
verhältnissen zu erhalten bemüht gewesen sind, so ist das eine schamlose
Heuchelei und eine der englischen Unverfrorenheiten, wie sie sich die europäische
Welt seit einer Reihe von Jahren von der Ag,11eine> nation mit beispielloser
Langmut bieten läßt.

Am 25. Juni 1882 unterschrieb der englische Gesandte Dufferin gleich
den Vertretern der übrigen Großmächte in Therapia das sogenannte 3s1t-
DsuMA?rotooo1. Darin heißt es: „Die durch die Unterzeichneten vertretenen
Regierungen verpflichten sich, in keinem Arrangement, wie es sich infolge ihres
vereinigten Vorgehens in der Regelung der ägyptischen Angelegenheiten ent¬
wickeln könnte, weder irgend einen territorialen Vorteil, noch die Bewilligung
eines andern ausschließlichen Vorrechts, noch irgend einen kommerziellen Vorteil
sür ihre Unterthanen zu suchen als den, den nicht auch jede andre Nation in
gleicher Weise erlangen könnte."

Etwa vierzehn Tage später (11. Juli) schoß der englische Admiral
Seymour ohne die geringste Veranlassung, soweit sie nicht von englischer
Seite erfabelt war, Alexandria in Trümmer, wobei Hunderte von Ahnungs¬
losen getötet wurden. Und seitdem lastet die englische Okkupation auf dem
Nilthale wie ein riesenhafter Polyp, der seine Fangarme immer weiter aus¬
streckt. Derselbe Staat, der in feierlicher Urkunde mit den andern Gro߬
mächten vereint jeder selbstsüchtigen Absicht fernzustehen erklärte, hat sich durch
zahllose Intriguen — bei denen entstellte Zeitungsnachrichten, die auf dem
Kontinent gläubig nachgedruckt werden, die Hauptrolle spielen — in den
Besitz fast aller wichtigern Ämter gesetzt. Kein Ägypter kann in der ägyp¬
tischen Armee mehr als Hauptmann werden, die Minister, die nicht nach der
Flöte der englischen Rate und Unterstaatssekretäre tanzen, werden wegintriguirt.
Dabei beziehen alle Engländer märchenhaften Gehalt, natürlich zur Wohlfahrt
des Landes und der ägyptischen Rasse. 20 bis 30000 Mark das Jahr ist
nichts außergewöhnliches; ein simpler Leutnant hat etwa 10000 Mark (440
ägyptische Pfund), der Generalissimus Kitchener Pascha erfreut sich eines
Gehalts von über 50000 Mark. Die in denselben Chargen stehenden Ägypter
bekommen weniger, angeblich weil sie mit weniger auskommen; warum aber
auch ein deutscher Polizeihauptmcmn mit weniger fertig werden soll als ein
englischer, dürfte schwieriger nachzuweisen sein.

Und warum hält England Ägypten besetzt? Angeblich um die dortigen
Europäer vor dem beständig drohenden Fanatismus der Bevölkerung zu schützen,
bis ruhigere Zustände eingetreten sein würden. Das ist aber schon längst der
Fall. Kein Volk ist geduldiger und ruhiger in sozialem Sinne als der Ägypter.
Die niedern Klassen, die Fellachen, arbeiten wie die Tiere. Und wer Gelegenheit
hat, mit Ägyptern der höhern Stände zusammenzukommen, der lernt in vielen


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[0114] England in Ägypten Engländer das unglückliche Ägypten in den Sumpf geritten haben und es durch die seit 1882 betriebne planmäßige Aussaugung in möglichst knappen Geld¬ verhältnissen zu erhalten bemüht gewesen sind, so ist das eine schamlose Heuchelei und eine der englischen Unverfrorenheiten, wie sie sich die europäische Welt seit einer Reihe von Jahren von der Ag,11eine> nation mit beispielloser Langmut bieten läßt. Am 25. Juni 1882 unterschrieb der englische Gesandte Dufferin gleich den Vertretern der übrigen Großmächte in Therapia das sogenannte 3s1t- DsuMA?rotooo1. Darin heißt es: „Die durch die Unterzeichneten vertretenen Regierungen verpflichten sich, in keinem Arrangement, wie es sich infolge ihres vereinigten Vorgehens in der Regelung der ägyptischen Angelegenheiten ent¬ wickeln könnte, weder irgend einen territorialen Vorteil, noch die Bewilligung eines andern ausschließlichen Vorrechts, noch irgend einen kommerziellen Vorteil sür ihre Unterthanen zu suchen als den, den nicht auch jede andre Nation in gleicher Weise erlangen könnte." Etwa vierzehn Tage später (11. Juli) schoß der englische Admiral Seymour ohne die geringste Veranlassung, soweit sie nicht von englischer Seite erfabelt war, Alexandria in Trümmer, wobei Hunderte von Ahnungs¬ losen getötet wurden. Und seitdem lastet die englische Okkupation auf dem Nilthale wie ein riesenhafter Polyp, der seine Fangarme immer weiter aus¬ streckt. Derselbe Staat, der in feierlicher Urkunde mit den andern Gro߬ mächten vereint jeder selbstsüchtigen Absicht fernzustehen erklärte, hat sich durch zahllose Intriguen — bei denen entstellte Zeitungsnachrichten, die auf dem Kontinent gläubig nachgedruckt werden, die Hauptrolle spielen — in den Besitz fast aller wichtigern Ämter gesetzt. Kein Ägypter kann in der ägyp¬ tischen Armee mehr als Hauptmann werden, die Minister, die nicht nach der Flöte der englischen Rate und Unterstaatssekretäre tanzen, werden wegintriguirt. Dabei beziehen alle Engländer märchenhaften Gehalt, natürlich zur Wohlfahrt des Landes und der ägyptischen Rasse. 20 bis 30000 Mark das Jahr ist nichts außergewöhnliches; ein simpler Leutnant hat etwa 10000 Mark (440 ägyptische Pfund), der Generalissimus Kitchener Pascha erfreut sich eines Gehalts von über 50000 Mark. Die in denselben Chargen stehenden Ägypter bekommen weniger, angeblich weil sie mit weniger auskommen; warum aber auch ein deutscher Polizeihauptmcmn mit weniger fertig werden soll als ein englischer, dürfte schwieriger nachzuweisen sein. Und warum hält England Ägypten besetzt? Angeblich um die dortigen Europäer vor dem beständig drohenden Fanatismus der Bevölkerung zu schützen, bis ruhigere Zustände eingetreten sein würden. Das ist aber schon längst der Fall. Kein Volk ist geduldiger und ruhiger in sozialem Sinne als der Ägypter. Die niedern Klassen, die Fellachen, arbeiten wie die Tiere. Und wer Gelegenheit hat, mit Ägyptern der höhern Stände zusammenzukommen, der lernt in vielen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/114>, abgerufen am 22.05.2024.