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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

dem zehnfachen, in Basel mit dem zwanzigfachen Betrage abgelöst wurde, was
so viel bedeutet, als daß das auf Grundstücke ausgeliehene Geld im Süd-
westen Deutschlands nur fünf, im Nordosten dagegen zehn Prozent brachte,
so haben wir eine neue Bestätigung der Regel, daß die Geldwirtschaft im
Verlauf ihrer natürlichen Entwicklung die Übel selbst heilt, die sie hervor¬
bringt, indem das Wachstum des Geldverkehrs den Zinsfuß drückt. Erst
allmählich bildete sich der Brauch, Renten zu kaufen, die durch den Kauf
erst entstanden (wenn z. B. ein Gutsbesitzer Geld zu Meliorationen oder zur
Auszahlung von Miterben aufnahm) und auch Hausrenten zu veräußern.

Die zweite Art rechtmäßiger Zinsgewinnung war die Teilhaberschaft. Ein
Kaufmann schickte einen <Z0wen<znäi>.tAriu8 oder trace^lor mit einer Summe
Geldes oder einer Menge Waren über See, an einem entlegnen Orte Geschäfte
zu betreiben. Außer einer festen Besoldung, die ehrlich verdiente Belohnung
kaufmännischer Arbeit war, erhielt der Mann gewöhnlich noch einen Anteil
am Gewinn. Hatte er Glück, so kam er zu Vermögen, schoß bei fernern
Unternehmungen selbst Geld ein und hatte nun außer seinem Arbeitslohn auch
als Geschäftsteilhaber seineu Anteil am Gewinn zu beanspruchen; aus dieser
oommoncia oder sooiötas ist die moderne Kommanditgesellschaft hervorgegangen.
Schließlich wurde aus dem traotator der eigentliche Unternehmer, und die
Leute, die daheim bleibend in sein Geschäft Geld einschossen, wurden Kapita¬
listen im modernen Sinne, die Unternehmungen durch Produktivkredit unter¬
stützen. Die Kirche erklärte diese Art von Zinsenbezug für erlaubt, aber nur
unter der dreifachen Bedingung, daß nicht ohne Rücksicht auf den Erfolg des
Unternehmens ein fester Zins gefordert werde, daß beim gänzlichen Scheitern,
z. B. wenn das Schiff samt der Ladung verloren ging, das Kapital nicht
zurückgefordert würde, und daß der Teilnehmer überhaupt das Risiko teile.
Versicherungsverträge sorgten beizeiten für die Verminderung des Risikos,
auch die öffentliche Sicherheit wuchs in den europäische" Staaten, und in dem
Maße, als die Großhändler aufhörten, werolmnts g.ävsnwrei'8 zu sein, als
sich für alle am Handel beteiligten ein bescheidner, aber ziemlich sicherer Durch¬
schnittsgewinn ergab, in demselben Maße wurden auch jene kanonischen Be¬
dingungen gegenstandslos, und am Ausgange des Mittelalters durften in
London schon Mündelgelder gegen Zins in Kaufmannsgeschüfte gegeben werden.
Doch hatte Eck, der bekannte Gegner Luthers, noch keinen durchschlagenden
Erfolg, als er im Auftrage des Bankhauses Fugger 1515 nach Bologna reiste,
um die dortigen Rechtslehrer, die höchsten juristischem Autoritäten der Zeit,
davon zu überzeugen, daß folgende Frage in seinem Sinne beantwortet werden
müsse: "Titius, der eine gewisse Summe Geldes, aber keine Geschäftskenntnis
besitzt, wagt nicht, sich in Geschäfte einzulassen, aus Furcht, sein väterliches
Erbe zu verlieren. Überdies gelingt es ihm nicht, eine Rente auf Grundbesitz
zu erwerben. So vertraut deun der Maun die Summe, einem gewissen Gajus,


Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

dem zehnfachen, in Basel mit dem zwanzigfachen Betrage abgelöst wurde, was
so viel bedeutet, als daß das auf Grundstücke ausgeliehene Geld im Süd-
westen Deutschlands nur fünf, im Nordosten dagegen zehn Prozent brachte,
so haben wir eine neue Bestätigung der Regel, daß die Geldwirtschaft im
Verlauf ihrer natürlichen Entwicklung die Übel selbst heilt, die sie hervor¬
bringt, indem das Wachstum des Geldverkehrs den Zinsfuß drückt. Erst
allmählich bildete sich der Brauch, Renten zu kaufen, die durch den Kauf
erst entstanden (wenn z. B. ein Gutsbesitzer Geld zu Meliorationen oder zur
Auszahlung von Miterben aufnahm) und auch Hausrenten zu veräußern.

Die zweite Art rechtmäßiger Zinsgewinnung war die Teilhaberschaft. Ein
Kaufmann schickte einen <Z0wen<znäi>.tAriu8 oder trace^lor mit einer Summe
Geldes oder einer Menge Waren über See, an einem entlegnen Orte Geschäfte
zu betreiben. Außer einer festen Besoldung, die ehrlich verdiente Belohnung
kaufmännischer Arbeit war, erhielt der Mann gewöhnlich noch einen Anteil
am Gewinn. Hatte er Glück, so kam er zu Vermögen, schoß bei fernern
Unternehmungen selbst Geld ein und hatte nun außer seinem Arbeitslohn auch
als Geschäftsteilhaber seineu Anteil am Gewinn zu beanspruchen; aus dieser
oommoncia oder sooiötas ist die moderne Kommanditgesellschaft hervorgegangen.
Schließlich wurde aus dem traotator der eigentliche Unternehmer, und die
Leute, die daheim bleibend in sein Geschäft Geld einschossen, wurden Kapita¬
listen im modernen Sinne, die Unternehmungen durch Produktivkredit unter¬
stützen. Die Kirche erklärte diese Art von Zinsenbezug für erlaubt, aber nur
unter der dreifachen Bedingung, daß nicht ohne Rücksicht auf den Erfolg des
Unternehmens ein fester Zins gefordert werde, daß beim gänzlichen Scheitern,
z. B. wenn das Schiff samt der Ladung verloren ging, das Kapital nicht
zurückgefordert würde, und daß der Teilnehmer überhaupt das Risiko teile.
Versicherungsverträge sorgten beizeiten für die Verminderung des Risikos,
auch die öffentliche Sicherheit wuchs in den europäische» Staaten, und in dem
Maße, als die Großhändler aufhörten, werolmnts g.ävsnwrei'8 zu sein, als
sich für alle am Handel beteiligten ein bescheidner, aber ziemlich sicherer Durch¬
schnittsgewinn ergab, in demselben Maße wurden auch jene kanonischen Be¬
dingungen gegenstandslos, und am Ausgange des Mittelalters durften in
London schon Mündelgelder gegen Zins in Kaufmannsgeschüfte gegeben werden.
Doch hatte Eck, der bekannte Gegner Luthers, noch keinen durchschlagenden
Erfolg, als er im Auftrage des Bankhauses Fugger 1515 nach Bologna reiste,
um die dortigen Rechtslehrer, die höchsten juristischem Autoritäten der Zeit,
davon zu überzeugen, daß folgende Frage in seinem Sinne beantwortet werden
müsse: „Titius, der eine gewisse Summe Geldes, aber keine Geschäftskenntnis
besitzt, wagt nicht, sich in Geschäfte einzulassen, aus Furcht, sein väterliches
Erbe zu verlieren. Überdies gelingt es ihm nicht, eine Rente auf Grundbesitz
zu erwerben. So vertraut deun der Maun die Summe, einem gewissen Gajus,


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[0176] Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte dem zehnfachen, in Basel mit dem zwanzigfachen Betrage abgelöst wurde, was so viel bedeutet, als daß das auf Grundstücke ausgeliehene Geld im Süd- westen Deutschlands nur fünf, im Nordosten dagegen zehn Prozent brachte, so haben wir eine neue Bestätigung der Regel, daß die Geldwirtschaft im Verlauf ihrer natürlichen Entwicklung die Übel selbst heilt, die sie hervor¬ bringt, indem das Wachstum des Geldverkehrs den Zinsfuß drückt. Erst allmählich bildete sich der Brauch, Renten zu kaufen, die durch den Kauf erst entstanden (wenn z. B. ein Gutsbesitzer Geld zu Meliorationen oder zur Auszahlung von Miterben aufnahm) und auch Hausrenten zu veräußern. Die zweite Art rechtmäßiger Zinsgewinnung war die Teilhaberschaft. Ein Kaufmann schickte einen <Z0wen<znäi>.tAriu8 oder trace^lor mit einer Summe Geldes oder einer Menge Waren über See, an einem entlegnen Orte Geschäfte zu betreiben. Außer einer festen Besoldung, die ehrlich verdiente Belohnung kaufmännischer Arbeit war, erhielt der Mann gewöhnlich noch einen Anteil am Gewinn. Hatte er Glück, so kam er zu Vermögen, schoß bei fernern Unternehmungen selbst Geld ein und hatte nun außer seinem Arbeitslohn auch als Geschäftsteilhaber seineu Anteil am Gewinn zu beanspruchen; aus dieser oommoncia oder sooiötas ist die moderne Kommanditgesellschaft hervorgegangen. Schließlich wurde aus dem traotator der eigentliche Unternehmer, und die Leute, die daheim bleibend in sein Geschäft Geld einschossen, wurden Kapita¬ listen im modernen Sinne, die Unternehmungen durch Produktivkredit unter¬ stützen. Die Kirche erklärte diese Art von Zinsenbezug für erlaubt, aber nur unter der dreifachen Bedingung, daß nicht ohne Rücksicht auf den Erfolg des Unternehmens ein fester Zins gefordert werde, daß beim gänzlichen Scheitern, z. B. wenn das Schiff samt der Ladung verloren ging, das Kapital nicht zurückgefordert würde, und daß der Teilnehmer überhaupt das Risiko teile. Versicherungsverträge sorgten beizeiten für die Verminderung des Risikos, auch die öffentliche Sicherheit wuchs in den europäische» Staaten, und in dem Maße, als die Großhändler aufhörten, werolmnts g.ävsnwrei'8 zu sein, als sich für alle am Handel beteiligten ein bescheidner, aber ziemlich sicherer Durch¬ schnittsgewinn ergab, in demselben Maße wurden auch jene kanonischen Be¬ dingungen gegenstandslos, und am Ausgange des Mittelalters durften in London schon Mündelgelder gegen Zins in Kaufmannsgeschüfte gegeben werden. Doch hatte Eck, der bekannte Gegner Luthers, noch keinen durchschlagenden Erfolg, als er im Auftrage des Bankhauses Fugger 1515 nach Bologna reiste, um die dortigen Rechtslehrer, die höchsten juristischem Autoritäten der Zeit, davon zu überzeugen, daß folgende Frage in seinem Sinne beantwortet werden müsse: „Titius, der eine gewisse Summe Geldes, aber keine Geschäftskenntnis besitzt, wagt nicht, sich in Geschäfte einzulassen, aus Furcht, sein väterliches Erbe zu verlieren. Überdies gelingt es ihm nicht, eine Rente auf Grundbesitz zu erwerben. So vertraut deun der Maun die Summe, einem gewissen Gajus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/176>, abgerufen am 15.06.2024.