Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

ohne sie fertig, und je länger der Streik währt, um so mehr verringert sich
die Aussicht der Streitenden, von den Reedern wieder angenommen zu werden.
Auf das Ansinnen obiger Herren einzugehen, wäre nur möglich, wenn sie die
Garantie dafür übernehmen konnten, daß die gesammelten Gelder nicht ganz
einfach zur Fortsetzung des Streiks verwendet werden. Das können sie aber
gar nicht, denn die sozialdemokratischen Führer werden schon dafür sorgen, daß
der Kampf fortgesetzt wird, so lange das Pulver vorhält. Das liegt nun
einmal "im Interesse des Klassenkampfes." Wer etwas für die Arbeiter thun
will, der suche durch Vermittlung zuverlässiger Personen das Elend in den
Familien zu lindern. In dieser Richtung wird es auch noch viel Gelegenheit
zur Bethätigung christlicher Nächstenliebe nach Beendigung des Streiks geben.
Aber mau hüte sich doch ja durch Unterstützung des Streiks dies Elend noch
größer zu machen."

Doch wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß auch die schönsten, treffendsten
Ausführungen einen der Unterzeichner des Ausrufs bekehren könnten, einen der
Theoretiker, die den "andern" Anschauungen über Recht und Billigkeit huldigen,
der Wirkung des Ausrufs entziehen könnte. Auf was der deutsche Professor
einmal hineingefallen ist, dafür läßt er sich tot schlagen, und wenn es das
dümmste wäre. Der Aufruf und seine verhängnisvolle Wirkung ist als ge¬
gebne Thatsache hinzunehmen.

Aber wie ist in der Sache zu helfen? Daß es so nicht weiter geht, das
muß doch jetzt auch der Blinde und vollends die Reichsregierung sehen. Zu¬
nächst ist der dringenden Gefahr vorzubeugen, die aus dem neu gekräftigten
Ansturm der plumpen Reaktion dem Gemeinwohl droht. Wir können da nur
die oft ausgesprochne Mahnung wiederholen, daß das gebildete Deutschland
sich einmütig aufraffe zur bündigen Absage an die Sozialdemokratie und ihre
Bundesgenossen, andrerseits geschlossen und hilfsbereit den Verbündeten Re¬
gierungen den ihnen leider fehlenden Halt gebe gegen die vereinigten Heerhaufen
des Rückschritts.

Vor allem aber ist es nun endlich Zeit, daß sich die Verbündeten Regie¬
rungen aus dem unbegreiflichen Nichtsthun in der Ausstandsfrage aufraffen.
Einen schweren Vorwurf wird ihnen die Geschichte vielleicht schon aus dem
bisherigen Verlauf des Hamburger Ausstands machen. Noch heute sind wir
ohne jede amtliche Feststellung des Thatbestands. Unmöglich können die Ver¬
bündeten Regierungen jetzt noch der Ansicht huldigen, daß die Staatsgewalt
in solchen Fällen den müßigen Zuschauer spielen dürfe. Die Schädigung des
Hamburger Handels, der Hamburger Arbeitgeber und Arbeiter ist das wenigste.
Auch der große materielle Schade für das nationale Wirtschaftsleben als un¬
mittelbare Folge dieses Ausstands ist von untergeordneter Bedeutung. Es
handelt sich vor allem um die tiefgehende, dauernde Verwirrung der An¬
schauungen von Recht und Billigkeit im Volke, die solche Trauerspiele größten


Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

ohne sie fertig, und je länger der Streik währt, um so mehr verringert sich
die Aussicht der Streitenden, von den Reedern wieder angenommen zu werden.
Auf das Ansinnen obiger Herren einzugehen, wäre nur möglich, wenn sie die
Garantie dafür übernehmen konnten, daß die gesammelten Gelder nicht ganz
einfach zur Fortsetzung des Streiks verwendet werden. Das können sie aber
gar nicht, denn die sozialdemokratischen Führer werden schon dafür sorgen, daß
der Kampf fortgesetzt wird, so lange das Pulver vorhält. Das liegt nun
einmal »im Interesse des Klassenkampfes.« Wer etwas für die Arbeiter thun
will, der suche durch Vermittlung zuverlässiger Personen das Elend in den
Familien zu lindern. In dieser Richtung wird es auch noch viel Gelegenheit
zur Bethätigung christlicher Nächstenliebe nach Beendigung des Streiks geben.
Aber mau hüte sich doch ja durch Unterstützung des Streiks dies Elend noch
größer zu machen."

Doch wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß auch die schönsten, treffendsten
Ausführungen einen der Unterzeichner des Ausrufs bekehren könnten, einen der
Theoretiker, die den „andern" Anschauungen über Recht und Billigkeit huldigen,
der Wirkung des Ausrufs entziehen könnte. Auf was der deutsche Professor
einmal hineingefallen ist, dafür läßt er sich tot schlagen, und wenn es das
dümmste wäre. Der Aufruf und seine verhängnisvolle Wirkung ist als ge¬
gebne Thatsache hinzunehmen.

Aber wie ist in der Sache zu helfen? Daß es so nicht weiter geht, das
muß doch jetzt auch der Blinde und vollends die Reichsregierung sehen. Zu¬
nächst ist der dringenden Gefahr vorzubeugen, die aus dem neu gekräftigten
Ansturm der plumpen Reaktion dem Gemeinwohl droht. Wir können da nur
die oft ausgesprochne Mahnung wiederholen, daß das gebildete Deutschland
sich einmütig aufraffe zur bündigen Absage an die Sozialdemokratie und ihre
Bundesgenossen, andrerseits geschlossen und hilfsbereit den Verbündeten Re¬
gierungen den ihnen leider fehlenden Halt gebe gegen die vereinigten Heerhaufen
des Rückschritts.

Vor allem aber ist es nun endlich Zeit, daß sich die Verbündeten Regie¬
rungen aus dem unbegreiflichen Nichtsthun in der Ausstandsfrage aufraffen.
Einen schweren Vorwurf wird ihnen die Geschichte vielleicht schon aus dem
bisherigen Verlauf des Hamburger Ausstands machen. Noch heute sind wir
ohne jede amtliche Feststellung des Thatbestands. Unmöglich können die Ver¬
bündeten Regierungen jetzt noch der Ansicht huldigen, daß die Staatsgewalt
in solchen Fällen den müßigen Zuschauer spielen dürfe. Die Schädigung des
Hamburger Handels, der Hamburger Arbeitgeber und Arbeiter ist das wenigste.
Auch der große materielle Schade für das nationale Wirtschaftsleben als un¬
mittelbare Folge dieses Ausstands ist von untergeordneter Bedeutung. Es
handelt sich vor allem um die tiefgehende, dauernde Verwirrung der An¬
schauungen von Recht und Billigkeit im Volke, die solche Trauerspiele größten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224448"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_533" prev="#ID_532"> ohne sie fertig, und je länger der Streik währt, um so mehr verringert sich<lb/>
die Aussicht der Streitenden, von den Reedern wieder angenommen zu werden.<lb/>
Auf das Ansinnen obiger Herren einzugehen, wäre nur möglich, wenn sie die<lb/>
Garantie dafür übernehmen konnten, daß die gesammelten Gelder nicht ganz<lb/>
einfach zur Fortsetzung des Streiks verwendet werden. Das können sie aber<lb/>
gar nicht, denn die sozialdemokratischen Führer werden schon dafür sorgen, daß<lb/>
der Kampf fortgesetzt wird, so lange das Pulver vorhält. Das liegt nun<lb/>
einmal »im Interesse des Klassenkampfes.« Wer etwas für die Arbeiter thun<lb/>
will, der suche durch Vermittlung zuverlässiger Personen das Elend in den<lb/>
Familien zu lindern. In dieser Richtung wird es auch noch viel Gelegenheit<lb/>
zur Bethätigung christlicher Nächstenliebe nach Beendigung des Streiks geben.<lb/>
Aber mau hüte sich doch ja durch Unterstützung des Streiks dies Elend noch<lb/>
größer zu machen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_534"> Doch wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß auch die schönsten, treffendsten<lb/>
Ausführungen einen der Unterzeichner des Ausrufs bekehren könnten, einen der<lb/>
Theoretiker, die den &#x201E;andern" Anschauungen über Recht und Billigkeit huldigen,<lb/>
der Wirkung des Ausrufs entziehen könnte. Auf was der deutsche Professor<lb/>
einmal hineingefallen ist, dafür läßt er sich tot schlagen, und wenn es das<lb/>
dümmste wäre. Der Aufruf und seine verhängnisvolle Wirkung ist als ge¬<lb/>
gebne Thatsache hinzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Aber wie ist in der Sache zu helfen? Daß es so nicht weiter geht, das<lb/>
muß doch jetzt auch der Blinde und vollends die Reichsregierung sehen. Zu¬<lb/>
nächst ist der dringenden Gefahr vorzubeugen, die aus dem neu gekräftigten<lb/>
Ansturm der plumpen Reaktion dem Gemeinwohl droht. Wir können da nur<lb/>
die oft ausgesprochne Mahnung wiederholen, daß das gebildete Deutschland<lb/>
sich einmütig aufraffe zur bündigen Absage an die Sozialdemokratie und ihre<lb/>
Bundesgenossen, andrerseits geschlossen und hilfsbereit den Verbündeten Re¬<lb/>
gierungen den ihnen leider fehlenden Halt gebe gegen die vereinigten Heerhaufen<lb/>
des Rückschritts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Vor allem aber ist es nun endlich Zeit, daß sich die Verbündeten Regie¬<lb/>
rungen aus dem unbegreiflichen Nichtsthun in der Ausstandsfrage aufraffen.<lb/>
Einen schweren Vorwurf wird ihnen die Geschichte vielleicht schon aus dem<lb/>
bisherigen Verlauf des Hamburger Ausstands machen. Noch heute sind wir<lb/>
ohne jede amtliche Feststellung des Thatbestands. Unmöglich können die Ver¬<lb/>
bündeten Regierungen jetzt noch der Ansicht huldigen, daß die Staatsgewalt<lb/>
in solchen Fällen den müßigen Zuschauer spielen dürfe. Die Schädigung des<lb/>
Hamburger Handels, der Hamburger Arbeitgeber und Arbeiter ist das wenigste.<lb/>
Auch der große materielle Schade für das nationale Wirtschaftsleben als un¬<lb/>
mittelbare Folge dieses Ausstands ist von untergeordneter Bedeutung. Es<lb/>
handelt sich vor allem um die tiefgehende, dauernde Verwirrung der An¬<lb/>
schauungen von Recht und Billigkeit im Volke, die solche Trauerspiele größten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand ohne sie fertig, und je länger der Streik währt, um so mehr verringert sich die Aussicht der Streitenden, von den Reedern wieder angenommen zu werden. Auf das Ansinnen obiger Herren einzugehen, wäre nur möglich, wenn sie die Garantie dafür übernehmen konnten, daß die gesammelten Gelder nicht ganz einfach zur Fortsetzung des Streiks verwendet werden. Das können sie aber gar nicht, denn die sozialdemokratischen Führer werden schon dafür sorgen, daß der Kampf fortgesetzt wird, so lange das Pulver vorhält. Das liegt nun einmal »im Interesse des Klassenkampfes.« Wer etwas für die Arbeiter thun will, der suche durch Vermittlung zuverlässiger Personen das Elend in den Familien zu lindern. In dieser Richtung wird es auch noch viel Gelegenheit zur Bethätigung christlicher Nächstenliebe nach Beendigung des Streiks geben. Aber mau hüte sich doch ja durch Unterstützung des Streiks dies Elend noch größer zu machen." Doch wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß auch die schönsten, treffendsten Ausführungen einen der Unterzeichner des Ausrufs bekehren könnten, einen der Theoretiker, die den „andern" Anschauungen über Recht und Billigkeit huldigen, der Wirkung des Ausrufs entziehen könnte. Auf was der deutsche Professor einmal hineingefallen ist, dafür läßt er sich tot schlagen, und wenn es das dümmste wäre. Der Aufruf und seine verhängnisvolle Wirkung ist als ge¬ gebne Thatsache hinzunehmen. Aber wie ist in der Sache zu helfen? Daß es so nicht weiter geht, das muß doch jetzt auch der Blinde und vollends die Reichsregierung sehen. Zu¬ nächst ist der dringenden Gefahr vorzubeugen, die aus dem neu gekräftigten Ansturm der plumpen Reaktion dem Gemeinwohl droht. Wir können da nur die oft ausgesprochne Mahnung wiederholen, daß das gebildete Deutschland sich einmütig aufraffe zur bündigen Absage an die Sozialdemokratie und ihre Bundesgenossen, andrerseits geschlossen und hilfsbereit den Verbündeten Re¬ gierungen den ihnen leider fehlenden Halt gebe gegen die vereinigten Heerhaufen des Rückschritts. Vor allem aber ist es nun endlich Zeit, daß sich die Verbündeten Regie¬ rungen aus dem unbegreiflichen Nichtsthun in der Ausstandsfrage aufraffen. Einen schweren Vorwurf wird ihnen die Geschichte vielleicht schon aus dem bisherigen Verlauf des Hamburger Ausstands machen. Noch heute sind wir ohne jede amtliche Feststellung des Thatbestands. Unmöglich können die Ver¬ bündeten Regierungen jetzt noch der Ansicht huldigen, daß die Staatsgewalt in solchen Fällen den müßigen Zuschauer spielen dürfe. Die Schädigung des Hamburger Handels, der Hamburger Arbeitgeber und Arbeiter ist das wenigste. Auch der große materielle Schade für das nationale Wirtschaftsleben als un¬ mittelbare Folge dieses Ausstands ist von untergeordneter Bedeutung. Es handelt sich vor allem um die tiefgehende, dauernde Verwirrung der An¬ schauungen von Recht und Billigkeit im Volke, die solche Trauerspiele größten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/202>, abgerufen am 21.05.2024.