Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf

Fast immer entsteht ein Streik dadurch, daß eine höhere Lohnforderung
nicht bewilligt wird. Die Fülle, wo ihn andre Gründe schaffen, sind Aus¬
nahmen. Was ist nun der wirtschaftliche Grund für niedere Löhne? Der
Arbeiter sieht ihn in den Blutsnugerneignngen, die er dem Kapitalisten oder
doch dem "Kapital" zuschreibt, und doch liegt er viel mehr in dem Mangel
an Kapital als in dem Kapital. Ist wenig Nachfrage nach Arbeitskräften da
und viel Angebot, so sind die Löhne niedrig; ist es umgekehrt, so sind sie
hoch. Wenn, wie ja im allgemeinen anzunehmen ist, die Arbeiter gegen eine
Beschränkung der Arbeiterzahl sind, gleichviel wie sie hervorgerufen werden
soll, so bleibt, um die Löhne zu steigern, nur der Weg übrig, das vorhandne
Kapital nach Möglichkeit zu mehren. Denn ist viel Kapital da, so sucht auch
viel Kapital Anlage auf dem Arbeitsmarkt, es werden viel Arbeiter gebraucht,
da die vorhandnen Betriebe erweitert und neue gegründet werden. Es ist
seltsam, daß die Arbeiterschaft keines Landes diesen Zusammenhang zwischen
ihren Interessen und denen des Kapitals einsieht, sondern das Kapital für
ihren Feind hält. Das ist nur möglich, weil der Neid aus die behaglichen
Verhältnisse der wohlhabenden Klassen mindestens in demselben Maße die
Triebfeder der sozialen Bewegung ist wie der Wunsch nach Besserung der
eignen Lage.

Daß jeder Streik das Kapital schädigt, braucht wohl nicht bewiesen zu
werden. In der That bauen ja die Theoretiker, die wohl wissen, daß nur
wirklicher Arbeitermangel die Löhne in die Höhe treiben kann, darauf die
Wirkung des Streiks auf die Arbeitgeber. Um große Verluste zu vermeiden,
bequemt sich der Unternehmer sogar schließlich dazu, einen höhern Lohn zu
zahlen, als dem Konkurrenzwert der Arbeit zukommt. Aber diese Berechnung
ist falsch. Denn die durch einen einmaligen Streik entstehenden Verluste mögen
noch so groß sein; der dauernde Verlust, den der Arbeitgeber durch die
Zahlung vou Löhnen über den Konkurrenzwert der Arbeit hinaus erleidet,
muß, da er sich Woche sür Woche wiederholt, doch schließlich der größere
werden. Und wo sich Arbeitgeber trotzdem fügen, da werden sie eben ruinirt.
So haben die hohen Löhne der Spitzcnweber in Nottingham die Spitzen¬
weberei nach Schottland getrieben, und die hohen Löhne der Schiffbauer an
der Themse den Schiffbau nach der Clhde; dadurch siud jedesmal tausende
von tüchtigen Arbeitern brotlos geworden. Aber auch wo die Verluste der
Unternehmer nicht so bedeutend sind, drücken sie ans die Arbeitslöhne. Um
konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sich die Unternehmer mit einem kleinern
Unternehmergewinn begnügen. Und da das Kapital bekanntlich mit Vorliebe
die Industriezweige verläßt, in denen der Unternehmergewinn um kleinsten ist.
so sinkt auch in diesem Fall die Nachfrage nach Arbeitern dieses besondern
Gebietes, und das drückt auf die Löhne. Dabei soll nicht geleugnet werden,
daß Streiks immer weniger gefährlich für die Unternehmer werden, je


Gronzboten I 1897 28
Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf

Fast immer entsteht ein Streik dadurch, daß eine höhere Lohnforderung
nicht bewilligt wird. Die Fülle, wo ihn andre Gründe schaffen, sind Aus¬
nahmen. Was ist nun der wirtschaftliche Grund für niedere Löhne? Der
Arbeiter sieht ihn in den Blutsnugerneignngen, die er dem Kapitalisten oder
doch dem „Kapital" zuschreibt, und doch liegt er viel mehr in dem Mangel
an Kapital als in dem Kapital. Ist wenig Nachfrage nach Arbeitskräften da
und viel Angebot, so sind die Löhne niedrig; ist es umgekehrt, so sind sie
hoch. Wenn, wie ja im allgemeinen anzunehmen ist, die Arbeiter gegen eine
Beschränkung der Arbeiterzahl sind, gleichviel wie sie hervorgerufen werden
soll, so bleibt, um die Löhne zu steigern, nur der Weg übrig, das vorhandne
Kapital nach Möglichkeit zu mehren. Denn ist viel Kapital da, so sucht auch
viel Kapital Anlage auf dem Arbeitsmarkt, es werden viel Arbeiter gebraucht,
da die vorhandnen Betriebe erweitert und neue gegründet werden. Es ist
seltsam, daß die Arbeiterschaft keines Landes diesen Zusammenhang zwischen
ihren Interessen und denen des Kapitals einsieht, sondern das Kapital für
ihren Feind hält. Das ist nur möglich, weil der Neid aus die behaglichen
Verhältnisse der wohlhabenden Klassen mindestens in demselben Maße die
Triebfeder der sozialen Bewegung ist wie der Wunsch nach Besserung der
eignen Lage.

Daß jeder Streik das Kapital schädigt, braucht wohl nicht bewiesen zu
werden. In der That bauen ja die Theoretiker, die wohl wissen, daß nur
wirklicher Arbeitermangel die Löhne in die Höhe treiben kann, darauf die
Wirkung des Streiks auf die Arbeitgeber. Um große Verluste zu vermeiden,
bequemt sich der Unternehmer sogar schließlich dazu, einen höhern Lohn zu
zahlen, als dem Konkurrenzwert der Arbeit zukommt. Aber diese Berechnung
ist falsch. Denn die durch einen einmaligen Streik entstehenden Verluste mögen
noch so groß sein; der dauernde Verlust, den der Arbeitgeber durch die
Zahlung vou Löhnen über den Konkurrenzwert der Arbeit hinaus erleidet,
muß, da er sich Woche sür Woche wiederholt, doch schließlich der größere
werden. Und wo sich Arbeitgeber trotzdem fügen, da werden sie eben ruinirt.
So haben die hohen Löhne der Spitzcnweber in Nottingham die Spitzen¬
weberei nach Schottland getrieben, und die hohen Löhne der Schiffbauer an
der Themse den Schiffbau nach der Clhde; dadurch siud jedesmal tausende
von tüchtigen Arbeitern brotlos geworden. Aber auch wo die Verluste der
Unternehmer nicht so bedeutend sind, drücken sie ans die Arbeitslöhne. Um
konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sich die Unternehmer mit einem kleinern
Unternehmergewinn begnügen. Und da das Kapital bekanntlich mit Vorliebe
die Industriezweige verläßt, in denen der Unternehmergewinn um kleinsten ist.
so sinkt auch in diesem Fall die Nachfrage nach Arbeitern dieses besondern
Gebietes, und das drückt auf die Löhne. Dabei soll nicht geleugnet werden,
daß Streiks immer weniger gefährlich für die Unternehmer werden, je


Gronzboten I 1897 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224471"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_601"> Fast immer entsteht ein Streik dadurch, daß eine höhere Lohnforderung<lb/>
nicht bewilligt wird. Die Fülle, wo ihn andre Gründe schaffen, sind Aus¬<lb/>
nahmen. Was ist nun der wirtschaftliche Grund für niedere Löhne? Der<lb/>
Arbeiter sieht ihn in den Blutsnugerneignngen, die er dem Kapitalisten oder<lb/>
doch dem &#x201E;Kapital" zuschreibt, und doch liegt er viel mehr in dem Mangel<lb/>
an Kapital als in dem Kapital. Ist wenig Nachfrage nach Arbeitskräften da<lb/>
und viel Angebot, so sind die Löhne niedrig; ist es umgekehrt, so sind sie<lb/>
hoch. Wenn, wie ja im allgemeinen anzunehmen ist, die Arbeiter gegen eine<lb/>
Beschränkung der Arbeiterzahl sind, gleichviel wie sie hervorgerufen werden<lb/>
soll, so bleibt, um die Löhne zu steigern, nur der Weg übrig, das vorhandne<lb/>
Kapital nach Möglichkeit zu mehren. Denn ist viel Kapital da, so sucht auch<lb/>
viel Kapital Anlage auf dem Arbeitsmarkt, es werden viel Arbeiter gebraucht,<lb/>
da die vorhandnen Betriebe erweitert und neue gegründet werden. Es ist<lb/>
seltsam, daß die Arbeiterschaft keines Landes diesen Zusammenhang zwischen<lb/>
ihren Interessen und denen des Kapitals einsieht, sondern das Kapital für<lb/>
ihren Feind hält. Das ist nur möglich, weil der Neid aus die behaglichen<lb/>
Verhältnisse der wohlhabenden Klassen mindestens in demselben Maße die<lb/>
Triebfeder der sozialen Bewegung ist wie der Wunsch nach Besserung der<lb/>
eignen Lage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_602" next="#ID_603"> Daß jeder Streik das Kapital schädigt, braucht wohl nicht bewiesen zu<lb/>
werden. In der That bauen ja die Theoretiker, die wohl wissen, daß nur<lb/>
wirklicher Arbeitermangel die Löhne in die Höhe treiben kann, darauf die<lb/>
Wirkung des Streiks auf die Arbeitgeber. Um große Verluste zu vermeiden,<lb/>
bequemt sich der Unternehmer sogar schließlich dazu, einen höhern Lohn zu<lb/>
zahlen, als dem Konkurrenzwert der Arbeit zukommt. Aber diese Berechnung<lb/>
ist falsch. Denn die durch einen einmaligen Streik entstehenden Verluste mögen<lb/>
noch so groß sein; der dauernde Verlust, den der Arbeitgeber durch die<lb/>
Zahlung vou Löhnen über den Konkurrenzwert der Arbeit hinaus erleidet,<lb/>
muß, da er sich Woche sür Woche wiederholt, doch schließlich der größere<lb/>
werden. Und wo sich Arbeitgeber trotzdem fügen, da werden sie eben ruinirt.<lb/>
So haben die hohen Löhne der Spitzcnweber in Nottingham die Spitzen¬<lb/>
weberei nach Schottland getrieben, und die hohen Löhne der Schiffbauer an<lb/>
der Themse den Schiffbau nach der Clhde; dadurch siud jedesmal tausende<lb/>
von tüchtigen Arbeitern brotlos geworden. Aber auch wo die Verluste der<lb/>
Unternehmer nicht so bedeutend sind, drücken sie ans die Arbeitslöhne. Um<lb/>
konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sich die Unternehmer mit einem kleinern<lb/>
Unternehmergewinn begnügen. Und da das Kapital bekanntlich mit Vorliebe<lb/>
die Industriezweige verläßt, in denen der Unternehmergewinn um kleinsten ist.<lb/>
so sinkt auch in diesem Fall die Nachfrage nach Arbeitern dieses besondern<lb/>
Gebietes, und das drückt auf die Löhne. Dabei soll nicht geleugnet werden,<lb/>
daß Streiks immer weniger gefährlich für die Unternehmer werden, je</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gronzboten I 1897 28</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0225] Der Aufstand als Waffe im Lohnkampf Fast immer entsteht ein Streik dadurch, daß eine höhere Lohnforderung nicht bewilligt wird. Die Fülle, wo ihn andre Gründe schaffen, sind Aus¬ nahmen. Was ist nun der wirtschaftliche Grund für niedere Löhne? Der Arbeiter sieht ihn in den Blutsnugerneignngen, die er dem Kapitalisten oder doch dem „Kapital" zuschreibt, und doch liegt er viel mehr in dem Mangel an Kapital als in dem Kapital. Ist wenig Nachfrage nach Arbeitskräften da und viel Angebot, so sind die Löhne niedrig; ist es umgekehrt, so sind sie hoch. Wenn, wie ja im allgemeinen anzunehmen ist, die Arbeiter gegen eine Beschränkung der Arbeiterzahl sind, gleichviel wie sie hervorgerufen werden soll, so bleibt, um die Löhne zu steigern, nur der Weg übrig, das vorhandne Kapital nach Möglichkeit zu mehren. Denn ist viel Kapital da, so sucht auch viel Kapital Anlage auf dem Arbeitsmarkt, es werden viel Arbeiter gebraucht, da die vorhandnen Betriebe erweitert und neue gegründet werden. Es ist seltsam, daß die Arbeiterschaft keines Landes diesen Zusammenhang zwischen ihren Interessen und denen des Kapitals einsieht, sondern das Kapital für ihren Feind hält. Das ist nur möglich, weil der Neid aus die behaglichen Verhältnisse der wohlhabenden Klassen mindestens in demselben Maße die Triebfeder der sozialen Bewegung ist wie der Wunsch nach Besserung der eignen Lage. Daß jeder Streik das Kapital schädigt, braucht wohl nicht bewiesen zu werden. In der That bauen ja die Theoretiker, die wohl wissen, daß nur wirklicher Arbeitermangel die Löhne in die Höhe treiben kann, darauf die Wirkung des Streiks auf die Arbeitgeber. Um große Verluste zu vermeiden, bequemt sich der Unternehmer sogar schließlich dazu, einen höhern Lohn zu zahlen, als dem Konkurrenzwert der Arbeit zukommt. Aber diese Berechnung ist falsch. Denn die durch einen einmaligen Streik entstehenden Verluste mögen noch so groß sein; der dauernde Verlust, den der Arbeitgeber durch die Zahlung vou Löhnen über den Konkurrenzwert der Arbeit hinaus erleidet, muß, da er sich Woche sür Woche wiederholt, doch schließlich der größere werden. Und wo sich Arbeitgeber trotzdem fügen, da werden sie eben ruinirt. So haben die hohen Löhne der Spitzcnweber in Nottingham die Spitzen¬ weberei nach Schottland getrieben, und die hohen Löhne der Schiffbauer an der Themse den Schiffbau nach der Clhde; dadurch siud jedesmal tausende von tüchtigen Arbeitern brotlos geworden. Aber auch wo die Verluste der Unternehmer nicht so bedeutend sind, drücken sie ans die Arbeitslöhne. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen sich die Unternehmer mit einem kleinern Unternehmergewinn begnügen. Und da das Kapital bekanntlich mit Vorliebe die Industriezweige verläßt, in denen der Unternehmergewinn um kleinsten ist. so sinkt auch in diesem Fall die Nachfrage nach Arbeitern dieses besondern Gebietes, und das drückt auf die Löhne. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß Streiks immer weniger gefährlich für die Unternehmer werden, je Gronzboten I 1897 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/225
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/225>, abgerufen am 21.05.2024.