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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

zu entziehen. Der Chef der Reichsjustizverwaltung bleibt also für seine Aus¬
wahl stets auf fremden Rat angewiesen, und da doch gelegentliche Erkundigung
bei guten Freunden mißlich und ungenügend ist, so bleiben als seine einzigen
Ratgeber die Landeszentralbehörden. Daß auch durch diese nicht unbedingte
Gewähr geschaffen werden kann, versteht sich von selbst; Schwächen des Er-
kennens und Wollens mögen auch ihnen anhaften, wie den ihnen Nachgeordneten
Organen, auf die wieder sie sich verlassen müssen. Insbesondre dürfte die
Neigung, unbequeme Beamte "fvrtzuloben" und "nach oben abzustoßen" noch
nicht überall ganz verschwunden sein; eines Zu- und Abneigungen aus Gründen,
die mit der Fähigkeit der auszuwählenden Männer wenig zu thun haben, sind
hie und da erkennbar. Diese allgemein menschlichen Schwächen werden stets
ertragen werden müssen.

Wird nun aber der Chef des Neichsjustizamts durch die Landeszentral¬
stellen besser als bisher bedient werden, wenn ihre Nennungen nicht mehr die
Bedeutung eines unter gewöhnlichen Umständen der Berücksichtigung sichern
Vorschlags") haben sollen? Auch das ist nicht wahrscheinlich. Der Ge¬
fahr, daß die Neigung, einen Mann fvrtzuloben, oder ein andres Sonder-
interesse mitspreche, wird dadurch nicht gesteuert. Dagegen muß befürchtet
werden, daß die Geneigtheit der Landesregierungen zu wirklich geeigneten Vor¬
schlägen abnehmen wird, wenn diese Vorschläge an Bedeutuug verlieren. Die
Landesregierungen haben ein sehr berechtigtes Interesse, zu wissen, ob ihre Vor¬
schlüge leidliche Aussicht auf Erfolg haben. Sie sind sonst in ihren eignen
Verfügungen wegen der Besetzung höherer Stellen beengt; sie müssen Wert
darauf legen, ihren Beamten die Beförderung ans Reichsgericht als An¬
erkennung hervorragender Leistungen bieten zu können, es kann ihnen also
nicht gleichgiltig sein, wen die Reichsregierung aus der Liste der "Tauglichen"
aufwühlen wird, und wann etwa die Vorgeschlngnen an die Reihe kommen werden.
Sie werden sich auch, schon um die Reichsregierung nicht in die Lage zu
bringen, sich Körbe zu holen, irgendwie vergewissern müssen, ob die als taug¬
lich Anzupreisenden auch die Neigung haben, in das Reichsgericht einzutreten,
und es würde nur zur Förderung eines bedenklichen Strebertums führen, wenn
aus diesem Grunde die Beamten schon lange voraus erführen, daß sie, wenn
auch mit recht unsichern Aussichten, für das Reichsgericht vorgemerkt seien.
Weiter würde auf dem von Henrici vorgeschlagnen Wege die Aufgabe der
Neichszentralstelle über deren Kräfte erschwert werden. Die Einzelstaaten werden
sicherlich nicht zu wenig Namen auf die Liste bringen; jeder Einzelstaat kann
aber nur seine tüchtigsten Juristen nennen. Und wie soll dann die Reichs¬
zentralstelle aus diesen relativ Tüchtigsten den absolut Tüchtigsten finden, wie



Das! much jetzt ein unbedingt zu beachtendes Borschlagsrecht nicht besteht, zeigt der von
Henrici S. 491 berichtete Vorfall.
Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

zu entziehen. Der Chef der Reichsjustizverwaltung bleibt also für seine Aus¬
wahl stets auf fremden Rat angewiesen, und da doch gelegentliche Erkundigung
bei guten Freunden mißlich und ungenügend ist, so bleiben als seine einzigen
Ratgeber die Landeszentralbehörden. Daß auch durch diese nicht unbedingte
Gewähr geschaffen werden kann, versteht sich von selbst; Schwächen des Er-
kennens und Wollens mögen auch ihnen anhaften, wie den ihnen Nachgeordneten
Organen, auf die wieder sie sich verlassen müssen. Insbesondre dürfte die
Neigung, unbequeme Beamte „fvrtzuloben" und „nach oben abzustoßen" noch
nicht überall ganz verschwunden sein; eines Zu- und Abneigungen aus Gründen,
die mit der Fähigkeit der auszuwählenden Männer wenig zu thun haben, sind
hie und da erkennbar. Diese allgemein menschlichen Schwächen werden stets
ertragen werden müssen.

Wird nun aber der Chef des Neichsjustizamts durch die Landeszentral¬
stellen besser als bisher bedient werden, wenn ihre Nennungen nicht mehr die
Bedeutung eines unter gewöhnlichen Umständen der Berücksichtigung sichern
Vorschlags") haben sollen? Auch das ist nicht wahrscheinlich. Der Ge¬
fahr, daß die Neigung, einen Mann fvrtzuloben, oder ein andres Sonder-
interesse mitspreche, wird dadurch nicht gesteuert. Dagegen muß befürchtet
werden, daß die Geneigtheit der Landesregierungen zu wirklich geeigneten Vor¬
schlägen abnehmen wird, wenn diese Vorschläge an Bedeutuug verlieren. Die
Landesregierungen haben ein sehr berechtigtes Interesse, zu wissen, ob ihre Vor¬
schlüge leidliche Aussicht auf Erfolg haben. Sie sind sonst in ihren eignen
Verfügungen wegen der Besetzung höherer Stellen beengt; sie müssen Wert
darauf legen, ihren Beamten die Beförderung ans Reichsgericht als An¬
erkennung hervorragender Leistungen bieten zu können, es kann ihnen also
nicht gleichgiltig sein, wen die Reichsregierung aus der Liste der „Tauglichen"
aufwühlen wird, und wann etwa die Vorgeschlngnen an die Reihe kommen werden.
Sie werden sich auch, schon um die Reichsregierung nicht in die Lage zu
bringen, sich Körbe zu holen, irgendwie vergewissern müssen, ob die als taug¬
lich Anzupreisenden auch die Neigung haben, in das Reichsgericht einzutreten,
und es würde nur zur Förderung eines bedenklichen Strebertums führen, wenn
aus diesem Grunde die Beamten schon lange voraus erführen, daß sie, wenn
auch mit recht unsichern Aussichten, für das Reichsgericht vorgemerkt seien.
Weiter würde auf dem von Henrici vorgeschlagnen Wege die Aufgabe der
Neichszentralstelle über deren Kräfte erschwert werden. Die Einzelstaaten werden
sicherlich nicht zu wenig Namen auf die Liste bringen; jeder Einzelstaat kann
aber nur seine tüchtigsten Juristen nennen. Und wie soll dann die Reichs¬
zentralstelle aus diesen relativ Tüchtigsten den absolut Tüchtigsten finden, wie



Das! much jetzt ein unbedingt zu beachtendes Borschlagsrecht nicht besteht, zeigt der von
Henrici S. 491 berichtete Vorfall.
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[0231] Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts zu entziehen. Der Chef der Reichsjustizverwaltung bleibt also für seine Aus¬ wahl stets auf fremden Rat angewiesen, und da doch gelegentliche Erkundigung bei guten Freunden mißlich und ungenügend ist, so bleiben als seine einzigen Ratgeber die Landeszentralbehörden. Daß auch durch diese nicht unbedingte Gewähr geschaffen werden kann, versteht sich von selbst; Schwächen des Er- kennens und Wollens mögen auch ihnen anhaften, wie den ihnen Nachgeordneten Organen, auf die wieder sie sich verlassen müssen. Insbesondre dürfte die Neigung, unbequeme Beamte „fvrtzuloben" und „nach oben abzustoßen" noch nicht überall ganz verschwunden sein; eines Zu- und Abneigungen aus Gründen, die mit der Fähigkeit der auszuwählenden Männer wenig zu thun haben, sind hie und da erkennbar. Diese allgemein menschlichen Schwächen werden stets ertragen werden müssen. Wird nun aber der Chef des Neichsjustizamts durch die Landeszentral¬ stellen besser als bisher bedient werden, wenn ihre Nennungen nicht mehr die Bedeutung eines unter gewöhnlichen Umständen der Berücksichtigung sichern Vorschlags") haben sollen? Auch das ist nicht wahrscheinlich. Der Ge¬ fahr, daß die Neigung, einen Mann fvrtzuloben, oder ein andres Sonder- interesse mitspreche, wird dadurch nicht gesteuert. Dagegen muß befürchtet werden, daß die Geneigtheit der Landesregierungen zu wirklich geeigneten Vor¬ schlägen abnehmen wird, wenn diese Vorschläge an Bedeutuug verlieren. Die Landesregierungen haben ein sehr berechtigtes Interesse, zu wissen, ob ihre Vor¬ schlüge leidliche Aussicht auf Erfolg haben. Sie sind sonst in ihren eignen Verfügungen wegen der Besetzung höherer Stellen beengt; sie müssen Wert darauf legen, ihren Beamten die Beförderung ans Reichsgericht als An¬ erkennung hervorragender Leistungen bieten zu können, es kann ihnen also nicht gleichgiltig sein, wen die Reichsregierung aus der Liste der „Tauglichen" aufwühlen wird, und wann etwa die Vorgeschlngnen an die Reihe kommen werden. Sie werden sich auch, schon um die Reichsregierung nicht in die Lage zu bringen, sich Körbe zu holen, irgendwie vergewissern müssen, ob die als taug¬ lich Anzupreisenden auch die Neigung haben, in das Reichsgericht einzutreten, und es würde nur zur Förderung eines bedenklichen Strebertums führen, wenn aus diesem Grunde die Beamten schon lange voraus erführen, daß sie, wenn auch mit recht unsichern Aussichten, für das Reichsgericht vorgemerkt seien. Weiter würde auf dem von Henrici vorgeschlagnen Wege die Aufgabe der Neichszentralstelle über deren Kräfte erschwert werden. Die Einzelstaaten werden sicherlich nicht zu wenig Namen auf die Liste bringen; jeder Einzelstaat kann aber nur seine tüchtigsten Juristen nennen. Und wie soll dann die Reichs¬ zentralstelle aus diesen relativ Tüchtigsten den absolut Tüchtigsten finden, wie Das! much jetzt ein unbedingt zu beachtendes Borschlagsrecht nicht besteht, zeigt der von Henrici S. 491 berichtete Vorfall.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/231>, abgerufen am 21.05.2024.