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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

der Mitwirkung der Landesregierungen bei der Stellenbesetzung im Reichs¬
gericht bewenden. Freilich werden sich die Regierungen vor den von Henrici
angedeuteten Abweichungen von der vollen Objektivität zu hüten haben; dringend
erwünscht ist es außerdem, daß sie, obwohl neben hervorragendem Wissen auch
ausreichende praktische Bewährung der für das Reichsgericht Vorzuschlagenden
unentbehrlich ist,*) doch den Kreis, aus dem sie ihre Wahl treffen, nicht gar
zu eng ziehen, namentlich ihn nicht auf die Richter in höhern Stellungen und
auf die Staatsanwaltschaft beschränken. Auch der Verwaltungsdienst hat eine
Anzahl von Ämtern, die hervorragende Nechtskenntnisse erfordern und weiter¬
bilden, und es ist nur zu bedauern, daß noch kein Mitglied des Reichs¬
gerichts aus der Rechtsanwaltschaft gewählt worden ist. Die aus dieser und
aus den Gerichten erster Instanz hervorgegangnen Mitglieder des Reichsober¬
handelsgerichts waren wahrlich nicht die weniger bedeutenden. Wir haben es
auch nur als Geschmacklosigkeit bezeichnen können, als gegen den von einem
Staat beabsichtigten Vorschlag eines Landgerichtsrath, wie man vermutete, aus
Reichsgerichtskreisen selbst, ein Sturm der Entrüstung durch die Zeitungsblätter
ging, und es war befremdlich, daß jener Staat sich dadurch einschüchtern ließ
und nunmehr seinen jüngsten oder einen der jüngsten Oberlandesgerichtsräte
vorschlug, ^et absurcluin, geführt wurde die Idee, daß die Ernennung eines Land¬
gerichtsrath zum Mitgliede des Reichsgerichts eine Herabwürdigung dieses Ge¬
richts sei, als bald darauf ein andrer Staat, unter dessen wirklichen Oberlandes¬
gerichtsräten niemand zum Neichsgerichtsrat geeignet oder geneigt befunden wurde,
ein Mitglied eines Landgerichts zum Titular-Oberlandesgerichtsrat in xartibus
iuüäelwm ernannte, lediglich um ihn demnächst unangefochten ans Reichsgericht
bringen zu können.

Fast wichtiger als die Auswahl der zu ernennenden Mitglieder, die nie¬
mals frei von jedem Risiko fein wird, scheint es aber, daß die Neichsregierung
ernstlich darauf bedacht sei, dem Reichsgericht seine alterfahrnen und in der
Probe bewährten Mitglieder so lange zu erhalten, als es ihre Geistes- und
Körperkräfte erlauben. Wenn das mit großer Bestimmtheit aufgetretene und
ohne Widerspruch gebliebne Gerücht zutreffen sollte, daß an maßgebender Stelle
beschlossen sei, niemanden zum Senatspräsidcnten beim Reichsgericht zu be¬
fördern, der das fünfundsechzigste Lebensjahr überschritten habe, so würde sich
daraus die auffallend große Zahl von Rücktritten hervorragender älterer Räte
im Lauf des letzten Jahres zum großen Teil erklären. Gewiß kann ein zu
hohes Alter ein Hindernis der Ernennung zum Senatspräsidenten sein; dafür



Wie Henrici über diesen Punkt denkt, ist nicht ganz klar. Er wünscht nicht, daß be¬
sonders hervorragende Kräfte dein Reichsgericht erst zugeführt werden, nachdem die Jahre ihrer
besten Kraft vorüber sind, er will sogar bei solchen, die zu großen Erwartungen berechtigen,
auf Anciennität gar nicht sehen, aber vier Jahre als Amtsrichter scheinen ihm doch nicht zu
genügen.
Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts

der Mitwirkung der Landesregierungen bei der Stellenbesetzung im Reichs¬
gericht bewenden. Freilich werden sich die Regierungen vor den von Henrici
angedeuteten Abweichungen von der vollen Objektivität zu hüten haben; dringend
erwünscht ist es außerdem, daß sie, obwohl neben hervorragendem Wissen auch
ausreichende praktische Bewährung der für das Reichsgericht Vorzuschlagenden
unentbehrlich ist,*) doch den Kreis, aus dem sie ihre Wahl treffen, nicht gar
zu eng ziehen, namentlich ihn nicht auf die Richter in höhern Stellungen und
auf die Staatsanwaltschaft beschränken. Auch der Verwaltungsdienst hat eine
Anzahl von Ämtern, die hervorragende Nechtskenntnisse erfordern und weiter¬
bilden, und es ist nur zu bedauern, daß noch kein Mitglied des Reichs¬
gerichts aus der Rechtsanwaltschaft gewählt worden ist. Die aus dieser und
aus den Gerichten erster Instanz hervorgegangnen Mitglieder des Reichsober¬
handelsgerichts waren wahrlich nicht die weniger bedeutenden. Wir haben es
auch nur als Geschmacklosigkeit bezeichnen können, als gegen den von einem
Staat beabsichtigten Vorschlag eines Landgerichtsrath, wie man vermutete, aus
Reichsgerichtskreisen selbst, ein Sturm der Entrüstung durch die Zeitungsblätter
ging, und es war befremdlich, daß jener Staat sich dadurch einschüchtern ließ
und nunmehr seinen jüngsten oder einen der jüngsten Oberlandesgerichtsräte
vorschlug, ^et absurcluin, geführt wurde die Idee, daß die Ernennung eines Land¬
gerichtsrath zum Mitgliede des Reichsgerichts eine Herabwürdigung dieses Ge¬
richts sei, als bald darauf ein andrer Staat, unter dessen wirklichen Oberlandes¬
gerichtsräten niemand zum Neichsgerichtsrat geeignet oder geneigt befunden wurde,
ein Mitglied eines Landgerichts zum Titular-Oberlandesgerichtsrat in xartibus
iuüäelwm ernannte, lediglich um ihn demnächst unangefochten ans Reichsgericht
bringen zu können.

Fast wichtiger als die Auswahl der zu ernennenden Mitglieder, die nie¬
mals frei von jedem Risiko fein wird, scheint es aber, daß die Neichsregierung
ernstlich darauf bedacht sei, dem Reichsgericht seine alterfahrnen und in der
Probe bewährten Mitglieder so lange zu erhalten, als es ihre Geistes- und
Körperkräfte erlauben. Wenn das mit großer Bestimmtheit aufgetretene und
ohne Widerspruch gebliebne Gerücht zutreffen sollte, daß an maßgebender Stelle
beschlossen sei, niemanden zum Senatspräsidcnten beim Reichsgericht zu be¬
fördern, der das fünfundsechzigste Lebensjahr überschritten habe, so würde sich
daraus die auffallend große Zahl von Rücktritten hervorragender älterer Räte
im Lauf des letzten Jahres zum großen Teil erklären. Gewiß kann ein zu
hohes Alter ein Hindernis der Ernennung zum Senatspräsidenten sein; dafür



Wie Henrici über diesen Punkt denkt, ist nicht ganz klar. Er wünscht nicht, daß be¬
sonders hervorragende Kräfte dein Reichsgericht erst zugeführt werden, nachdem die Jahre ihrer
besten Kraft vorüber sind, er will sogar bei solchen, die zu großen Erwartungen berechtigen,
auf Anciennität gar nicht sehen, aber vier Jahre als Amtsrichter scheinen ihm doch nicht zu
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[0234] Die Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichts der Mitwirkung der Landesregierungen bei der Stellenbesetzung im Reichs¬ gericht bewenden. Freilich werden sich die Regierungen vor den von Henrici angedeuteten Abweichungen von der vollen Objektivität zu hüten haben; dringend erwünscht ist es außerdem, daß sie, obwohl neben hervorragendem Wissen auch ausreichende praktische Bewährung der für das Reichsgericht Vorzuschlagenden unentbehrlich ist,*) doch den Kreis, aus dem sie ihre Wahl treffen, nicht gar zu eng ziehen, namentlich ihn nicht auf die Richter in höhern Stellungen und auf die Staatsanwaltschaft beschränken. Auch der Verwaltungsdienst hat eine Anzahl von Ämtern, die hervorragende Nechtskenntnisse erfordern und weiter¬ bilden, und es ist nur zu bedauern, daß noch kein Mitglied des Reichs¬ gerichts aus der Rechtsanwaltschaft gewählt worden ist. Die aus dieser und aus den Gerichten erster Instanz hervorgegangnen Mitglieder des Reichsober¬ handelsgerichts waren wahrlich nicht die weniger bedeutenden. Wir haben es auch nur als Geschmacklosigkeit bezeichnen können, als gegen den von einem Staat beabsichtigten Vorschlag eines Landgerichtsrath, wie man vermutete, aus Reichsgerichtskreisen selbst, ein Sturm der Entrüstung durch die Zeitungsblätter ging, und es war befremdlich, daß jener Staat sich dadurch einschüchtern ließ und nunmehr seinen jüngsten oder einen der jüngsten Oberlandesgerichtsräte vorschlug, ^et absurcluin, geführt wurde die Idee, daß die Ernennung eines Land¬ gerichtsrath zum Mitgliede des Reichsgerichts eine Herabwürdigung dieses Ge¬ richts sei, als bald darauf ein andrer Staat, unter dessen wirklichen Oberlandes¬ gerichtsräten niemand zum Neichsgerichtsrat geeignet oder geneigt befunden wurde, ein Mitglied eines Landgerichts zum Titular-Oberlandesgerichtsrat in xartibus iuüäelwm ernannte, lediglich um ihn demnächst unangefochten ans Reichsgericht bringen zu können. Fast wichtiger als die Auswahl der zu ernennenden Mitglieder, die nie¬ mals frei von jedem Risiko fein wird, scheint es aber, daß die Neichsregierung ernstlich darauf bedacht sei, dem Reichsgericht seine alterfahrnen und in der Probe bewährten Mitglieder so lange zu erhalten, als es ihre Geistes- und Körperkräfte erlauben. Wenn das mit großer Bestimmtheit aufgetretene und ohne Widerspruch gebliebne Gerücht zutreffen sollte, daß an maßgebender Stelle beschlossen sei, niemanden zum Senatspräsidcnten beim Reichsgericht zu be¬ fördern, der das fünfundsechzigste Lebensjahr überschritten habe, so würde sich daraus die auffallend große Zahl von Rücktritten hervorragender älterer Räte im Lauf des letzten Jahres zum großen Teil erklären. Gewiß kann ein zu hohes Alter ein Hindernis der Ernennung zum Senatspräsidenten sein; dafür Wie Henrici über diesen Punkt denkt, ist nicht ganz klar. Er wünscht nicht, daß be¬ sonders hervorragende Kräfte dein Reichsgericht erst zugeführt werden, nachdem die Jahre ihrer besten Kraft vorüber sind, er will sogar bei solchen, die zu großen Erwartungen berechtigen, auf Anciennität gar nicht sehen, aber vier Jahre als Amtsrichter scheinen ihm doch nicht zu genügen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/234>, abgerufen am 03.06.2024.