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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

war, von denen sie anch wieder durch fiskalischen Druck vernichtet wurde.
Großes Aufsehen machte im Jahre 1555 jene große Anleihe (1s g'rg.un xarti),
zu der jedermann eingeladen wurde, und die daher als die erste Subskriptions¬
anleihe bezeichnet werden muß. Der König hatte das uneingeschränkte Be¬
steuerungsrecht, aber seine Finanzkünstler hatten doch schon die Wahrnehmung
gemacht, daß sich das Geld vor dem mit Drohung und Zwang arbeitenden,
Furcht erregenden Steuerheber verkriecht, durch die Aussicht auf Gewinn da¬
gegen aus allen Winkeln hervorgelockt wird. Und die Berechnung täuschte
nicht; es kamen die Dienstboten mit ihren Sparpfennigen gerannt, und unter
den großen Hansen erschienen sogar die türkischen Paschas.

Nach dem Niedergange Antwerpens, Lyons und Augsburgs zogen die
Genueser auf ein halbes Jahrhundert, bis 1627, das Geldgeschäft an sich.
Sie organisirten, nicht in Genua selbst, sondern an kleinern savoyischen und
oberitalienischen Orten, zuletzt in Piacenza, einen Mcßverkehr, der als Clearing-
house für ganz Europa diente und einen Mittelpunkt der Zahlungsaus¬
gleichungen gebildet hat, wie, nach Ehrenberg, seitdem keiner mehr dagewesen
ist. "Nicht die Silbergruben Potosis, sondern die Genueser Wechselmessen er¬
möglichten es demi Könige Philipp II. in erster Linie, noch jahrzehntelang
Weltmachtpolitik zu treiben, als ihm die sonstige Berechtigung hierzu schon
abhanden gekommen war; sie ermöglichten es seinen Nachfolgern noch mehrere
weitere Jahrzehnte hindurch, Kriege zu führen, Subventionen zu zahlen, Italien
zu beherrschen, kurz, aktive Politik zu treiben." In einer Zeit, wo "die enorme
Steigerung der Silberproduktion überall das Gold, und außerdem massenhafte
fürstliche Falschmünzerei überall das gute Geld, Silber wie Gold, verdrängte,"
gelang den Genueser Messen das Unerhörte, was bis dahin noch keinem Fürsten
gelungen war, eine feste Währung, und zwar Goldwährung zu schaffen. Allen
Geschäften wurde der Markenseudo (Leuäo as ps' oder Zi?^ Ng.r"In) zu Grunde
gelegt, eine imaginäre Werteinheit, von der hundert soviel galten wie neun¬
undneunzig Gvldscudi der fünf besten Prägungen: Spanien, Neapel, Venedig,
Genua, Florenz. Die Barzahlungen spielten auf diesen Messen selbstverständlich
nur eine untergeordnete Rolle, aber wer solche zu leisten hatte, der mußte seine
Scudi vorher von dem beeidigten Wäger prüfen und in Söckchen einsiegeln
lassen.

Das Erbe Antwerpens verteilte sich auf viele Städte, die sich sämtlich
Börsen schufen und sie meistens heute noch haben. Haupterbin war zunächst
natürlich Amsterdam. Auch Frankfurt a. M. erhielt eine Börse, und während
die Begründung des modernen Finanz- und Bvrsenwesens ganz ohne Be¬
teiligung der Juden vor sich gegangen war, wurde hier zuerst, und zwar im
Jahre 1685, die Klage laut, die Juden hätten das ganze Wechselgeschäft und
die Maklerthätigkeit an sich gezogen.




Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

war, von denen sie anch wieder durch fiskalischen Druck vernichtet wurde.
Großes Aufsehen machte im Jahre 1555 jene große Anleihe (1s g'rg.un xarti),
zu der jedermann eingeladen wurde, und die daher als die erste Subskriptions¬
anleihe bezeichnet werden muß. Der König hatte das uneingeschränkte Be¬
steuerungsrecht, aber seine Finanzkünstler hatten doch schon die Wahrnehmung
gemacht, daß sich das Geld vor dem mit Drohung und Zwang arbeitenden,
Furcht erregenden Steuerheber verkriecht, durch die Aussicht auf Gewinn da¬
gegen aus allen Winkeln hervorgelockt wird. Und die Berechnung täuschte
nicht; es kamen die Dienstboten mit ihren Sparpfennigen gerannt, und unter
den großen Hansen erschienen sogar die türkischen Paschas.

Nach dem Niedergange Antwerpens, Lyons und Augsburgs zogen die
Genueser auf ein halbes Jahrhundert, bis 1627, das Geldgeschäft an sich.
Sie organisirten, nicht in Genua selbst, sondern an kleinern savoyischen und
oberitalienischen Orten, zuletzt in Piacenza, einen Mcßverkehr, der als Clearing-
house für ganz Europa diente und einen Mittelpunkt der Zahlungsaus¬
gleichungen gebildet hat, wie, nach Ehrenberg, seitdem keiner mehr dagewesen
ist. „Nicht die Silbergruben Potosis, sondern die Genueser Wechselmessen er¬
möglichten es demi Könige Philipp II. in erster Linie, noch jahrzehntelang
Weltmachtpolitik zu treiben, als ihm die sonstige Berechtigung hierzu schon
abhanden gekommen war; sie ermöglichten es seinen Nachfolgern noch mehrere
weitere Jahrzehnte hindurch, Kriege zu führen, Subventionen zu zahlen, Italien
zu beherrschen, kurz, aktive Politik zu treiben." In einer Zeit, wo „die enorme
Steigerung der Silberproduktion überall das Gold, und außerdem massenhafte
fürstliche Falschmünzerei überall das gute Geld, Silber wie Gold, verdrängte,"
gelang den Genueser Messen das Unerhörte, was bis dahin noch keinem Fürsten
gelungen war, eine feste Währung, und zwar Goldwährung zu schaffen. Allen
Geschäften wurde der Markenseudo (Leuäo as ps' oder Zi?^ Ng.r«In) zu Grunde
gelegt, eine imaginäre Werteinheit, von der hundert soviel galten wie neun¬
undneunzig Gvldscudi der fünf besten Prägungen: Spanien, Neapel, Venedig,
Genua, Florenz. Die Barzahlungen spielten auf diesen Messen selbstverständlich
nur eine untergeordnete Rolle, aber wer solche zu leisten hatte, der mußte seine
Scudi vorher von dem beeidigten Wäger prüfen und in Söckchen einsiegeln
lassen.

Das Erbe Antwerpens verteilte sich auf viele Städte, die sich sämtlich
Börsen schufen und sie meistens heute noch haben. Haupterbin war zunächst
natürlich Amsterdam. Auch Frankfurt a. M. erhielt eine Börse, und während
die Begründung des modernen Finanz- und Bvrsenwesens ganz ohne Be¬
teiligung der Juden vor sich gegangen war, wurde hier zuerst, und zwar im
Jahre 1685, die Klage laut, die Juden hätten das ganze Wechselgeschäft und
die Maklerthätigkeit an sich gezogen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/288>, abgerufen am 21.05.2024.