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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Schillerpreisdramen

ästhetischen Konvente wird als strafwürdiges Verbrechen bezeichnet. Da man
Gegner, Verächter und Zweifler an der "einen, unteilbaren Kunst" (so wird
das ästhetische Koterieideal ans beiden Seiten genannt) einstweilen leider noch
nicht guillotiniren oder ächten kann, so schiebt man sie massenhaft an und unter
einen Pranger, zu dessen Häupten ein Eselskopf oder, wenn man besonders
geistreich sein will, el" Bildnis des hoch- und wohlseligen Herrn Buchhändlers
Christoph Friedrich Nicolai prangt. Nicolai war zwar auch ein Berliner, aber
er gehörte einer Zeit an, wo man sich in Berlin noch irrte, was jetzt bekanntlich
nicht mehr vorkommen kann.

Die äußern Vorgänge, die zu dem wunderbaren Schauspiel, mit dem nicht
zum erstenmal die Wiener "Hetz" nach Berlin verpflanzt worden ist, die Be¬
weggründe geliefert haben, sind ziemlich bekannt geworden. Ernst von Wilden-
bruch hat schon im vorigen Jahre die beiden Dramen, "König Heinrich," (mit
dem Vorspiel "Kind Heinrich") und "Kaiser Heinrich" als Tragödie in zwei
Abenden veröffentlicht. Das erste der beiden Dramen "König Heinrich" kam
dann um dieselbe Zeit mit rauschendem Erfolg zur Aufführung, wo Gerhart
Hauptmanns "Florian Geyer," der mit allen Mitteln der Reklame im voraus auf
schwindelnde Höhe gehoben und als Wiedergeburt großer historischer Kunst auf
der Basis des Naturalismus gepriesen worden war, eine empfindliche (übrigens
nach unserm Dafürhalten bis zu einem gewissen Grade ungerechtfertigte) Nieder¬
lage erlebte. Der gekränkte Dichter that, was eines Dichters vollkommen
würdig ist: er suchte sich durch eine Schöpfung von der Qual dieses Erlebnisses
und Eindrucks zu befreien und schrieb das Mürchenschauspiel "Die versunkne
Glocke." Bei der diesjährigen Erteilung des von Kaiser Wilhelm I. (durch
Patent vom 9. November 1859) gestifteten Schillcrpreises für ein hervor¬
ragendes Werk der deutschen poetischen Litteratur, in erster Reihe der drama¬
tischen Dichtung, bei der der ursprüngliche Preis von eintausend Thalern Gold
zweimal zu vergeben war, soll die zur Prüfung der Werke niedergesetzte Kom¬
mission die Erteilung des einen Preises an Ernst von Wildenbruch, des andern
an Gerhart Hauptmann beantragt haben. Der Kaiser, der von jeher für
Wildenbrnchs dramatische Poesie besonders lebhafte Teilnahme gehegt hat, und
dem vielleicht nahe gelegt wurde, daß nicht sowohl die in ihrer dramatischen
Wirkung uoch völlig unerprobte "Versunkne Glocke" als vielmehr das Drama
"Die Weber" preisgekrönt werden sollte, an dessen "starken Wirkungen" und
Hungerelcnd sich seit zwei Jahren die satte Plutokmtie der Reichshauptstadt weidlich
ergötzt hatte, versagte die Bestätigung des Preises für Gerhart Hauptmann und
erteilte beide vorhandnen Preise an Wildenbruch. Darauf schied Professor Erich
Schmidt aus der Preiskommission ans. Wildenbruch spendete die eine Hülste des
empfangner Doppelpreises an die "Deutsche Schillerstiftnng." Und die immer
rege Oppvsttionslust des Berliner Fortschritts aller Farben entlud sich in
einem Sturm voraus entschiednen Beifalls und Entzückens bei der ersten Anf-


Grenzbotcn I 1M7 4
Die Berliner Schillerpreisdramen

ästhetischen Konvente wird als strafwürdiges Verbrechen bezeichnet. Da man
Gegner, Verächter und Zweifler an der „einen, unteilbaren Kunst" (so wird
das ästhetische Koterieideal ans beiden Seiten genannt) einstweilen leider noch
nicht guillotiniren oder ächten kann, so schiebt man sie massenhaft an und unter
einen Pranger, zu dessen Häupten ein Eselskopf oder, wenn man besonders
geistreich sein will, el» Bildnis des hoch- und wohlseligen Herrn Buchhändlers
Christoph Friedrich Nicolai prangt. Nicolai war zwar auch ein Berliner, aber
er gehörte einer Zeit an, wo man sich in Berlin noch irrte, was jetzt bekanntlich
nicht mehr vorkommen kann.

Die äußern Vorgänge, die zu dem wunderbaren Schauspiel, mit dem nicht
zum erstenmal die Wiener „Hetz" nach Berlin verpflanzt worden ist, die Be¬
weggründe geliefert haben, sind ziemlich bekannt geworden. Ernst von Wilden-
bruch hat schon im vorigen Jahre die beiden Dramen, „König Heinrich," (mit
dem Vorspiel „Kind Heinrich") und „Kaiser Heinrich" als Tragödie in zwei
Abenden veröffentlicht. Das erste der beiden Dramen „König Heinrich" kam
dann um dieselbe Zeit mit rauschendem Erfolg zur Aufführung, wo Gerhart
Hauptmanns „Florian Geyer," der mit allen Mitteln der Reklame im voraus auf
schwindelnde Höhe gehoben und als Wiedergeburt großer historischer Kunst auf
der Basis des Naturalismus gepriesen worden war, eine empfindliche (übrigens
nach unserm Dafürhalten bis zu einem gewissen Grade ungerechtfertigte) Nieder¬
lage erlebte. Der gekränkte Dichter that, was eines Dichters vollkommen
würdig ist: er suchte sich durch eine Schöpfung von der Qual dieses Erlebnisses
und Eindrucks zu befreien und schrieb das Mürchenschauspiel „Die versunkne
Glocke." Bei der diesjährigen Erteilung des von Kaiser Wilhelm I. (durch
Patent vom 9. November 1859) gestifteten Schillcrpreises für ein hervor¬
ragendes Werk der deutschen poetischen Litteratur, in erster Reihe der drama¬
tischen Dichtung, bei der der ursprüngliche Preis von eintausend Thalern Gold
zweimal zu vergeben war, soll die zur Prüfung der Werke niedergesetzte Kom¬
mission die Erteilung des einen Preises an Ernst von Wildenbruch, des andern
an Gerhart Hauptmann beantragt haben. Der Kaiser, der von jeher für
Wildenbrnchs dramatische Poesie besonders lebhafte Teilnahme gehegt hat, und
dem vielleicht nahe gelegt wurde, daß nicht sowohl die in ihrer dramatischen
Wirkung uoch völlig unerprobte „Versunkne Glocke" als vielmehr das Drama
„Die Weber" preisgekrönt werden sollte, an dessen „starken Wirkungen" und
Hungerelcnd sich seit zwei Jahren die satte Plutokmtie der Reichshauptstadt weidlich
ergötzt hatte, versagte die Bestätigung des Preises für Gerhart Hauptmann und
erteilte beide vorhandnen Preise an Wildenbruch. Darauf schied Professor Erich
Schmidt aus der Preiskommission ans. Wildenbruch spendete die eine Hülste des
empfangner Doppelpreises an die „Deutsche Schillerstiftnng." Und die immer
rege Oppvsttionslust des Berliner Fortschritts aller Farben entlud sich in
einem Sturm voraus entschiednen Beifalls und Entzückens bei der ersten Anf-


Grenzbotcn I 1M7 4
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[0033] Die Berliner Schillerpreisdramen ästhetischen Konvente wird als strafwürdiges Verbrechen bezeichnet. Da man Gegner, Verächter und Zweifler an der „einen, unteilbaren Kunst" (so wird das ästhetische Koterieideal ans beiden Seiten genannt) einstweilen leider noch nicht guillotiniren oder ächten kann, so schiebt man sie massenhaft an und unter einen Pranger, zu dessen Häupten ein Eselskopf oder, wenn man besonders geistreich sein will, el» Bildnis des hoch- und wohlseligen Herrn Buchhändlers Christoph Friedrich Nicolai prangt. Nicolai war zwar auch ein Berliner, aber er gehörte einer Zeit an, wo man sich in Berlin noch irrte, was jetzt bekanntlich nicht mehr vorkommen kann. Die äußern Vorgänge, die zu dem wunderbaren Schauspiel, mit dem nicht zum erstenmal die Wiener „Hetz" nach Berlin verpflanzt worden ist, die Be¬ weggründe geliefert haben, sind ziemlich bekannt geworden. Ernst von Wilden- bruch hat schon im vorigen Jahre die beiden Dramen, „König Heinrich," (mit dem Vorspiel „Kind Heinrich") und „Kaiser Heinrich" als Tragödie in zwei Abenden veröffentlicht. Das erste der beiden Dramen „König Heinrich" kam dann um dieselbe Zeit mit rauschendem Erfolg zur Aufführung, wo Gerhart Hauptmanns „Florian Geyer," der mit allen Mitteln der Reklame im voraus auf schwindelnde Höhe gehoben und als Wiedergeburt großer historischer Kunst auf der Basis des Naturalismus gepriesen worden war, eine empfindliche (übrigens nach unserm Dafürhalten bis zu einem gewissen Grade ungerechtfertigte) Nieder¬ lage erlebte. Der gekränkte Dichter that, was eines Dichters vollkommen würdig ist: er suchte sich durch eine Schöpfung von der Qual dieses Erlebnisses und Eindrucks zu befreien und schrieb das Mürchenschauspiel „Die versunkne Glocke." Bei der diesjährigen Erteilung des von Kaiser Wilhelm I. (durch Patent vom 9. November 1859) gestifteten Schillcrpreises für ein hervor¬ ragendes Werk der deutschen poetischen Litteratur, in erster Reihe der drama¬ tischen Dichtung, bei der der ursprüngliche Preis von eintausend Thalern Gold zweimal zu vergeben war, soll die zur Prüfung der Werke niedergesetzte Kom¬ mission die Erteilung des einen Preises an Ernst von Wildenbruch, des andern an Gerhart Hauptmann beantragt haben. Der Kaiser, der von jeher für Wildenbrnchs dramatische Poesie besonders lebhafte Teilnahme gehegt hat, und dem vielleicht nahe gelegt wurde, daß nicht sowohl die in ihrer dramatischen Wirkung uoch völlig unerprobte „Versunkne Glocke" als vielmehr das Drama „Die Weber" preisgekrönt werden sollte, an dessen „starken Wirkungen" und Hungerelcnd sich seit zwei Jahren die satte Plutokmtie der Reichshauptstadt weidlich ergötzt hatte, versagte die Bestätigung des Preises für Gerhart Hauptmann und erteilte beide vorhandnen Preise an Wildenbruch. Darauf schied Professor Erich Schmidt aus der Preiskommission ans. Wildenbruch spendete die eine Hülste des empfangner Doppelpreises an die „Deutsche Schillerstiftnng." Und die immer rege Oppvsttionslust des Berliner Fortschritts aller Farben entlud sich in einem Sturm voraus entschiednen Beifalls und Entzückens bei der ersten Anf- Grenzbotcn I 1M7 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/33>, abgerufen am 22.05.2024.