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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zoll- und handelspolitische Aussichten

dadurch die Wirkuugsfühigkeit der Handelsvertrage. Ebenso ungerecht ist der
andre Vorwurf, daß Graf Posadowsky seine Erklärung ohne zwingende Ursache,
wie von der Linken behauptet wird, abgegeben habe. Aus unsrer Schilderung
der wirtschaftspolitischen Lage geht schon hervor, wie zwingend die Ursachen
waren, die den Staatssekretär zu solch einer Erklärung veranlaßten, ganz ab¬
gesehen davon, daß der Abgeordnete Freiherr von Stumm sie geradezu heraus¬
gefordert hatte. Hüben und drüben tobt fortgesetzt der Kampf für Erhöhung
dieser, für Beseitigung jener Zölle, für und gegen die Handelsverträge, ganz
ohne Rücksicht darauf, daß nach Lage der Dinge bis zum Jahre 1904 an den
Verträgen überhaupt nichts geändert werden kann.

Was hat denn nun der Staatssekretär des Neichsschatzcimts erklärt? Er
sagt, nach dem amtlichen stenographischen Berichte, zunächst über den Zoll auf
überseeische Gerbstoffe, daß diese Frage zur Zeit nicht gelöst werden könne,
weil uns dazu durch die Handelsverträge die Hände gebunden seien, daß sie aber,
sobald wir die Arme frei haben, d. h. nach Ablauf der Handelsverträge, einer
sehr ernsten und eingehenden Erwägung unterzogen werden sollen. Er setzt
ferner bestimmt voraus, daß wir 1904 neue Handelsverträge abschließen werden,
und macht dazu die Bemerkung, die -- nach dem, was wir anfangs ausgeführt
haben -- selbstverständlich ist, daß diese neuen Handelsverträge nicht einfach
die Abschrift der bisherigen sein werden, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen,
sondern auch vor allem aus rein zolltechnischen Gründen. Man kann sich eigentlich
nicht genauer, nicht klarer und unzweideutiger, uicht bestimmter die Stellung
der Reichsregierung bezeichnend ausdrücken. Hätten sich unsre Parteien und
unsre Presse auch nur ein wenig die Freiheit objektiver Auffassung und sachlichen
Urteils bewahrt, so müßten sie, auf welcher Seite sie auch stünden, dem Redner
unbedingt zustimmen, müßte seine Erklärung, anstatt den Kampf um die Zoll-
und Handelsvertragspolitik von neuem zu entfachen, sie zum Schweigen ge¬
bracht haben. Die Freunde und die Gegner der Verträge wie ihrer einzelnen
Bestimmungen müßten sich sagen, daß es darnach auch für sie Pflicht sei, ab¬
zuwarten bis zum Ablauf der bestehenden Verträge; die Gegner müßten, aus
Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen des Reichs, zu denen doch
auch das Parlament gehört, ihre Minirarbeit einstellen, wie sie es allerdings
schon nach den frühern Auseinandersetzungen des Staatssekretärs von Marschall
gemußt hätten.

Graf Posadowsky sprach sich dann weiter über den autonomen Tarif
aus, und zwar auch hier wieder an der Hand der gegebnen wirtschaftlichen
Verhältnisse. Mit Recht bezeichnete er es als einen Mangel unsers autonomen
Tarifs, daß er im Verhältnis zu denen andrer Staaten nicht gehörig spezifizirt
sei in seinen einzelnen Positionen. Infolgedessen würden für uns Handels-
^ertragsverhandlungen mit Staaten, die einen sehr spezifizirten Tarif haben,
durch einen solchen Tarif, der große Gruppen zusammenfasse, jedenfalls nicht er-


Zoll- und handelspolitische Aussichten

dadurch die Wirkuugsfühigkeit der Handelsvertrage. Ebenso ungerecht ist der
andre Vorwurf, daß Graf Posadowsky seine Erklärung ohne zwingende Ursache,
wie von der Linken behauptet wird, abgegeben habe. Aus unsrer Schilderung
der wirtschaftspolitischen Lage geht schon hervor, wie zwingend die Ursachen
waren, die den Staatssekretär zu solch einer Erklärung veranlaßten, ganz ab¬
gesehen davon, daß der Abgeordnete Freiherr von Stumm sie geradezu heraus¬
gefordert hatte. Hüben und drüben tobt fortgesetzt der Kampf für Erhöhung
dieser, für Beseitigung jener Zölle, für und gegen die Handelsverträge, ganz
ohne Rücksicht darauf, daß nach Lage der Dinge bis zum Jahre 1904 an den
Verträgen überhaupt nichts geändert werden kann.

Was hat denn nun der Staatssekretär des Neichsschatzcimts erklärt? Er
sagt, nach dem amtlichen stenographischen Berichte, zunächst über den Zoll auf
überseeische Gerbstoffe, daß diese Frage zur Zeit nicht gelöst werden könne,
weil uns dazu durch die Handelsverträge die Hände gebunden seien, daß sie aber,
sobald wir die Arme frei haben, d. h. nach Ablauf der Handelsverträge, einer
sehr ernsten und eingehenden Erwägung unterzogen werden sollen. Er setzt
ferner bestimmt voraus, daß wir 1904 neue Handelsverträge abschließen werden,
und macht dazu die Bemerkung, die — nach dem, was wir anfangs ausgeführt
haben — selbstverständlich ist, daß diese neuen Handelsverträge nicht einfach
die Abschrift der bisherigen sein werden, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen,
sondern auch vor allem aus rein zolltechnischen Gründen. Man kann sich eigentlich
nicht genauer, nicht klarer und unzweideutiger, uicht bestimmter die Stellung
der Reichsregierung bezeichnend ausdrücken. Hätten sich unsre Parteien und
unsre Presse auch nur ein wenig die Freiheit objektiver Auffassung und sachlichen
Urteils bewahrt, so müßten sie, auf welcher Seite sie auch stünden, dem Redner
unbedingt zustimmen, müßte seine Erklärung, anstatt den Kampf um die Zoll-
und Handelsvertragspolitik von neuem zu entfachen, sie zum Schweigen ge¬
bracht haben. Die Freunde und die Gegner der Verträge wie ihrer einzelnen
Bestimmungen müßten sich sagen, daß es darnach auch für sie Pflicht sei, ab¬
zuwarten bis zum Ablauf der bestehenden Verträge; die Gegner müßten, aus
Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen des Reichs, zu denen doch
auch das Parlament gehört, ihre Minirarbeit einstellen, wie sie es allerdings
schon nach den frühern Auseinandersetzungen des Staatssekretärs von Marschall
gemußt hätten.

Graf Posadowsky sprach sich dann weiter über den autonomen Tarif
aus, und zwar auch hier wieder an der Hand der gegebnen wirtschaftlichen
Verhältnisse. Mit Recht bezeichnete er es als einen Mangel unsers autonomen
Tarifs, daß er im Verhältnis zu denen andrer Staaten nicht gehörig spezifizirt
sei in seinen einzelnen Positionen. Infolgedessen würden für uns Handels-
^ertragsverhandlungen mit Staaten, die einen sehr spezifizirten Tarif haben,
durch einen solchen Tarif, der große Gruppen zusammenfasse, jedenfalls nicht er-


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[0341] Zoll- und handelspolitische Aussichten dadurch die Wirkuugsfühigkeit der Handelsvertrage. Ebenso ungerecht ist der andre Vorwurf, daß Graf Posadowsky seine Erklärung ohne zwingende Ursache, wie von der Linken behauptet wird, abgegeben habe. Aus unsrer Schilderung der wirtschaftspolitischen Lage geht schon hervor, wie zwingend die Ursachen waren, die den Staatssekretär zu solch einer Erklärung veranlaßten, ganz ab¬ gesehen davon, daß der Abgeordnete Freiherr von Stumm sie geradezu heraus¬ gefordert hatte. Hüben und drüben tobt fortgesetzt der Kampf für Erhöhung dieser, für Beseitigung jener Zölle, für und gegen die Handelsverträge, ganz ohne Rücksicht darauf, daß nach Lage der Dinge bis zum Jahre 1904 an den Verträgen überhaupt nichts geändert werden kann. Was hat denn nun der Staatssekretär des Neichsschatzcimts erklärt? Er sagt, nach dem amtlichen stenographischen Berichte, zunächst über den Zoll auf überseeische Gerbstoffe, daß diese Frage zur Zeit nicht gelöst werden könne, weil uns dazu durch die Handelsverträge die Hände gebunden seien, daß sie aber, sobald wir die Arme frei haben, d. h. nach Ablauf der Handelsverträge, einer sehr ernsten und eingehenden Erwägung unterzogen werden sollen. Er setzt ferner bestimmt voraus, daß wir 1904 neue Handelsverträge abschließen werden, und macht dazu die Bemerkung, die — nach dem, was wir anfangs ausgeführt haben — selbstverständlich ist, daß diese neuen Handelsverträge nicht einfach die Abschrift der bisherigen sein werden, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch vor allem aus rein zolltechnischen Gründen. Man kann sich eigentlich nicht genauer, nicht klarer und unzweideutiger, uicht bestimmter die Stellung der Reichsregierung bezeichnend ausdrücken. Hätten sich unsre Parteien und unsre Presse auch nur ein wenig die Freiheit objektiver Auffassung und sachlichen Urteils bewahrt, so müßten sie, auf welcher Seite sie auch stünden, dem Redner unbedingt zustimmen, müßte seine Erklärung, anstatt den Kampf um die Zoll- und Handelsvertragspolitik von neuem zu entfachen, sie zum Schweigen ge¬ bracht haben. Die Freunde und die Gegner der Verträge wie ihrer einzelnen Bestimmungen müßten sich sagen, daß es darnach auch für sie Pflicht sei, ab¬ zuwarten bis zum Ablauf der bestehenden Verträge; die Gegner müßten, aus Achtung vor den konstitutionellen Einrichtungen des Reichs, zu denen doch auch das Parlament gehört, ihre Minirarbeit einstellen, wie sie es allerdings schon nach den frühern Auseinandersetzungen des Staatssekretärs von Marschall gemußt hätten. Graf Posadowsky sprach sich dann weiter über den autonomen Tarif aus, und zwar auch hier wieder an der Hand der gegebnen wirtschaftlichen Verhältnisse. Mit Recht bezeichnete er es als einen Mangel unsers autonomen Tarifs, daß er im Verhältnis zu denen andrer Staaten nicht gehörig spezifizirt sei in seinen einzelnen Positionen. Infolgedessen würden für uns Handels- ^ertragsverhandlungen mit Staaten, die einen sehr spezifizirten Tarif haben, durch einen solchen Tarif, der große Gruppen zusammenfasse, jedenfalls nicht er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/341>, abgerufen am 15.06.2024.