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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kreta

nur darin liegt der Grund ihres "Einverständnisses," das lediglich darauf
hinausläuft, daß sie sich gegenseitig in Schach halten, also rein negativ ist,
denn sie wissen wohl alle, was sie nicht wollen, nämlich eine gefährliche Er¬
schütterung des Osmcmenreichs, aber nicht, was sie wollen, und darin sind die
schwachen Griechen im Vorteil, daß bei ihnen einmütiges Wollen herrscht und
nicht, wie bei den Großmächten, sechs oder sieben Willen. Es ist möglich, daß
sich diese noch über eine Flottendemvnstrcition oder über eine Blockade Griechen¬
lands vereinigen, aber es ist undenkbar, daß sie alle für die Aufrechterhaltung
der türkischen Herrschaft auf griechische Truppen oder Schiffe feuern lassen werden.
Das würde die immer deutlicher hervortretende Volksstimmung in England,
Frankreich und Italien, auf die diese Regierungen wesentlich Rücksicht nehmen
müssen, schwerlich dulden. Ja es erscheint selbst als nicht gut denkbar, daß sie,
trotz alles formellen Rechts, Griechenland auch nur der türkische", Übermacht und
den rohen Bauden der Baschi Boznks preisgeben, die, höchst bezeichnend für den
Charakter osmanischer Staatskunst, sich an der thessalischen Grenze zu Mord und
Plünderung sammeln. Es kann sogar bedenklich scheinen, das griechische Königtum
in einen scharfen Gegensatz zu seinem Volke hineinzuzwingen, denn die Antwort
könnte der Sturz dieses Königtums sein, womit weder der Sache der euro¬
päischen Monarchie, noch der Ordnung gedient wäre. Sind die Kreter klug, so
vermeiden sie jeden Zusammenstoß mit den Truppen der Großmächte, waffnen
sich aber, so stark sie können, und schließen sich aufs engste den griechischen
Truppen an, die überall schon die Verwaltung organisiren; und ist die
griechische Regierung klug, so beharrt sie fest auf dem Satze, daß nur die
Pazifikation der Insel ihr Ziel sei, und hütet sich vor jedem bewaffneten Konflikt
mit den Großmächten. Ob aber diese klug daran thun würden, auf der Wieder¬
herstellung des verletzten "Rechtszustands" durch Abberufung der griechischen
Truppen aus Kreta so unbedingt zu beharren, ist die Frage, denn der Rat
der Großmächte ist kein Gerichtshof, der reinlich zwischen Recht und Unrecht
scheiden könnte, und die kretische Frage ist keine Rechts-, sondern eine Macht¬
frage zwischen Kreuz und Halbmond, zwischen abendländischer Kultur und tür¬
kischer Barbarei.

Wir wünschen nicht, daß sich Deutschland auf der Seite des Halbmonds
finden lasse, und daß die Geschütze der "Kaiserin Augusta" auf Griechen ge¬
richtet würden. Schließlich wäre als eine vorläufige Lösung denkbar, daß man
Griechenland, das doch das allernatürlichfte und allernächste Interesse an Kreta
hat, die Teilnahme an der "Pazifikation" der Insel und an der Regelung
ihres Schicksals erlaubte. Die Türkei würde sich einer solcher Forderung
schwerlich entziehen können. Wie dem aber auch sei, beschämend ist wieder
einmal hervorgetreten, wie jämmerlich schwach Deutschland zur See ist. Wir
haben die größten Interessen im Mittelmeer, und wir haben vor allem das
Interesse, daß dort nichts wichtiges geschieht, ohne daß wir unsern Willen zur


Kreta

nur darin liegt der Grund ihres „Einverständnisses," das lediglich darauf
hinausläuft, daß sie sich gegenseitig in Schach halten, also rein negativ ist,
denn sie wissen wohl alle, was sie nicht wollen, nämlich eine gefährliche Er¬
schütterung des Osmcmenreichs, aber nicht, was sie wollen, und darin sind die
schwachen Griechen im Vorteil, daß bei ihnen einmütiges Wollen herrscht und
nicht, wie bei den Großmächten, sechs oder sieben Willen. Es ist möglich, daß
sich diese noch über eine Flottendemvnstrcition oder über eine Blockade Griechen¬
lands vereinigen, aber es ist undenkbar, daß sie alle für die Aufrechterhaltung
der türkischen Herrschaft auf griechische Truppen oder Schiffe feuern lassen werden.
Das würde die immer deutlicher hervortretende Volksstimmung in England,
Frankreich und Italien, auf die diese Regierungen wesentlich Rücksicht nehmen
müssen, schwerlich dulden. Ja es erscheint selbst als nicht gut denkbar, daß sie,
trotz alles formellen Rechts, Griechenland auch nur der türkische», Übermacht und
den rohen Bauden der Baschi Boznks preisgeben, die, höchst bezeichnend für den
Charakter osmanischer Staatskunst, sich an der thessalischen Grenze zu Mord und
Plünderung sammeln. Es kann sogar bedenklich scheinen, das griechische Königtum
in einen scharfen Gegensatz zu seinem Volke hineinzuzwingen, denn die Antwort
könnte der Sturz dieses Königtums sein, womit weder der Sache der euro¬
päischen Monarchie, noch der Ordnung gedient wäre. Sind die Kreter klug, so
vermeiden sie jeden Zusammenstoß mit den Truppen der Großmächte, waffnen
sich aber, so stark sie können, und schließen sich aufs engste den griechischen
Truppen an, die überall schon die Verwaltung organisiren; und ist die
griechische Regierung klug, so beharrt sie fest auf dem Satze, daß nur die
Pazifikation der Insel ihr Ziel sei, und hütet sich vor jedem bewaffneten Konflikt
mit den Großmächten. Ob aber diese klug daran thun würden, auf der Wieder¬
herstellung des verletzten „Rechtszustands" durch Abberufung der griechischen
Truppen aus Kreta so unbedingt zu beharren, ist die Frage, denn der Rat
der Großmächte ist kein Gerichtshof, der reinlich zwischen Recht und Unrecht
scheiden könnte, und die kretische Frage ist keine Rechts-, sondern eine Macht¬
frage zwischen Kreuz und Halbmond, zwischen abendländischer Kultur und tür¬
kischer Barbarei.

Wir wünschen nicht, daß sich Deutschland auf der Seite des Halbmonds
finden lasse, und daß die Geschütze der „Kaiserin Augusta" auf Griechen ge¬
richtet würden. Schließlich wäre als eine vorläufige Lösung denkbar, daß man
Griechenland, das doch das allernatürlichfte und allernächste Interesse an Kreta
hat, die Teilnahme an der „Pazifikation" der Insel und an der Regelung
ihres Schicksals erlaubte. Die Türkei würde sich einer solcher Forderung
schwerlich entziehen können. Wie dem aber auch sei, beschämend ist wieder
einmal hervorgetreten, wie jämmerlich schwach Deutschland zur See ist. Wir
haben die größten Interessen im Mittelmeer, und wir haben vor allem das
Interesse, daß dort nichts wichtiges geschieht, ohne daß wir unsern Willen zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/380>, abgerufen am 21.05.2024.