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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlime

machen. Ein Jahr später verbreitete er in badischen Blättern, ich sei um eine
schlesische Staatspfarre eingekommen und hätte sie nicht erhalten. Was dieser
Lüge zu Grunde lag, soll später mitgeteilt werden. Da konnte ich denn doch
nicht mehr daran zweifeln, daß er ein durch und durch illoyaler Mensch sei,
und brach den Verkehr mit ihm ab. Sein Blatt wurde mir immer wider¬
wärtiger; in jeder Nummer kamen alte und neue Skandalgeschichten von katho¬
lischen Geistlichen. In Konstanz sagte ich einmal: Ich schäme mich jeden Sonn¬
tag, auf der Kanzel und am Altare zu erscheinen. Denn Sonnabend Abend
lese ich jedesmal im Boten, daß die Pfaffen aller Religionen stets die schlech¬
testen aller Menschen gewesen sind, ich weiß, daß fast alle Gemeindemitglieder
ihn ebenfalls gelesen haben, und die müssen sich doch sagen, wenn alle Pfaffen
schlechte Kerle sind, wie käme denn da gerade der unsre dazu, eine Ausnahme
zu machen? Als Theologe und Historiker war Niecks in dem engen Gesichts¬
kreise des ältern Nationalismus befangen. Seiner Ansicht nach war jede
Religion ein Kunstprodukt ihrer Pfaffen, war das Christentum durch Gewalt
und uur durch Gewalt verbreitet worden, war demnach anch die Befreiung
des Volks von der Religion eine Aufgabe, die eine Regierung jederzeit mit
Leichtigkeit lösen konnte, wenn sie nur wollte. Daß das Volk eigne Neigungen,
einen eignen Willen, tief wurzelnde Überzeugungen haben könne, daß seine Liebe
und sein Haß, seine Bedürfnisse und seine Bestrebungen weltgeschichtliche Mächte
seien, das erkannte er nicht an; das Volk, schrieb er mir einmal, ist nichts als
ein Teig, den mau kneten muß. Er soll darauf ausgegangen sein, die badischen
Gemeinden vou Bonn loszureißen und für sich ein eignes Bistum zu stiften.
Ob das wahr ist, weiß ich nicht; jedenfalls hat er die Bonner Herren mit
Intriguen und öffentlichen groben Angriffen so lange gereizt, bis sie sich endlich
genötigt sahen, ihn aus der Altkatholikengemeinschast auszuschließen. Man ver¬
nahm dann, daß er uach Berlin gegangen und evangelisch geworden sei. Ob
er eine Pfarrstelle bekommen hat oder von Schriftstellerei lebt, weiß ich nicht.
Als ich vor ein Paar Jahren den Agrariern hinlänglichen Grund zum Gegen¬
teil von Liebe gegeben hatte, und man anfing zu fragen, was ich denn eigent¬
lich für ein Menschenkind sei, da brachte der Reichsbote einmal einen kurzen
Abriß meines Lebenslaufes, der ganz so aussah, als stamme er von Niecks.
Das hat mich veranlaßt, ein Bild von ihm zu entwerfen.

In Offenburg habe ich auch Sozialdemvkrciten kennen gelernt. Es waren
ihrer nicht viele, lauter anständige Leute, darunter der Besitzer einer kleinen
Maschinenbauanstalt; ich hatte bis dahin noch kein volkswirtschaftliches Buch
gelesen und war erstaunt zu finden, wie viel die Leute wußten, und wie ver¬
ständige Ansichten sie hatten; doch haben sie mich von der Richtigkeit ihrer
Grundansicht nicht überzeugt. An Ostern kehrte ich noch einmal nach Offen¬
burg zurück, um eine Anzahl von Kindern zur ersten Kommunion zu führen --
ein Nachfolger war noch nicht eingetroffen. Auch der Sohn des Maschinen-


Jenseits der Mainlime

machen. Ein Jahr später verbreitete er in badischen Blättern, ich sei um eine
schlesische Staatspfarre eingekommen und hätte sie nicht erhalten. Was dieser
Lüge zu Grunde lag, soll später mitgeteilt werden. Da konnte ich denn doch
nicht mehr daran zweifeln, daß er ein durch und durch illoyaler Mensch sei,
und brach den Verkehr mit ihm ab. Sein Blatt wurde mir immer wider¬
wärtiger; in jeder Nummer kamen alte und neue Skandalgeschichten von katho¬
lischen Geistlichen. In Konstanz sagte ich einmal: Ich schäme mich jeden Sonn¬
tag, auf der Kanzel und am Altare zu erscheinen. Denn Sonnabend Abend
lese ich jedesmal im Boten, daß die Pfaffen aller Religionen stets die schlech¬
testen aller Menschen gewesen sind, ich weiß, daß fast alle Gemeindemitglieder
ihn ebenfalls gelesen haben, und die müssen sich doch sagen, wenn alle Pfaffen
schlechte Kerle sind, wie käme denn da gerade der unsre dazu, eine Ausnahme
zu machen? Als Theologe und Historiker war Niecks in dem engen Gesichts¬
kreise des ältern Nationalismus befangen. Seiner Ansicht nach war jede
Religion ein Kunstprodukt ihrer Pfaffen, war das Christentum durch Gewalt
und uur durch Gewalt verbreitet worden, war demnach anch die Befreiung
des Volks von der Religion eine Aufgabe, die eine Regierung jederzeit mit
Leichtigkeit lösen konnte, wenn sie nur wollte. Daß das Volk eigne Neigungen,
einen eignen Willen, tief wurzelnde Überzeugungen haben könne, daß seine Liebe
und sein Haß, seine Bedürfnisse und seine Bestrebungen weltgeschichtliche Mächte
seien, das erkannte er nicht an; das Volk, schrieb er mir einmal, ist nichts als
ein Teig, den mau kneten muß. Er soll darauf ausgegangen sein, die badischen
Gemeinden vou Bonn loszureißen und für sich ein eignes Bistum zu stiften.
Ob das wahr ist, weiß ich nicht; jedenfalls hat er die Bonner Herren mit
Intriguen und öffentlichen groben Angriffen so lange gereizt, bis sie sich endlich
genötigt sahen, ihn aus der Altkatholikengemeinschast auszuschließen. Man ver¬
nahm dann, daß er uach Berlin gegangen und evangelisch geworden sei. Ob
er eine Pfarrstelle bekommen hat oder von Schriftstellerei lebt, weiß ich nicht.
Als ich vor ein Paar Jahren den Agrariern hinlänglichen Grund zum Gegen¬
teil von Liebe gegeben hatte, und man anfing zu fragen, was ich denn eigent¬
lich für ein Menschenkind sei, da brachte der Reichsbote einmal einen kurzen
Abriß meines Lebenslaufes, der ganz so aussah, als stamme er von Niecks.
Das hat mich veranlaßt, ein Bild von ihm zu entwerfen.

In Offenburg habe ich auch Sozialdemvkrciten kennen gelernt. Es waren
ihrer nicht viele, lauter anständige Leute, darunter der Besitzer einer kleinen
Maschinenbauanstalt; ich hatte bis dahin noch kein volkswirtschaftliches Buch
gelesen und war erstaunt zu finden, wie viel die Leute wußten, und wie ver¬
ständige Ansichten sie hatten; doch haben sie mich von der Richtigkeit ihrer
Grundansicht nicht überzeugt. An Ostern kehrte ich noch einmal nach Offen¬
burg zurück, um eine Anzahl von Kindern zur ersten Kommunion zu führen —
ein Nachfolger war noch nicht eingetroffen. Auch der Sohn des Maschinen-


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[0400] Jenseits der Mainlime machen. Ein Jahr später verbreitete er in badischen Blättern, ich sei um eine schlesische Staatspfarre eingekommen und hätte sie nicht erhalten. Was dieser Lüge zu Grunde lag, soll später mitgeteilt werden. Da konnte ich denn doch nicht mehr daran zweifeln, daß er ein durch und durch illoyaler Mensch sei, und brach den Verkehr mit ihm ab. Sein Blatt wurde mir immer wider¬ wärtiger; in jeder Nummer kamen alte und neue Skandalgeschichten von katho¬ lischen Geistlichen. In Konstanz sagte ich einmal: Ich schäme mich jeden Sonn¬ tag, auf der Kanzel und am Altare zu erscheinen. Denn Sonnabend Abend lese ich jedesmal im Boten, daß die Pfaffen aller Religionen stets die schlech¬ testen aller Menschen gewesen sind, ich weiß, daß fast alle Gemeindemitglieder ihn ebenfalls gelesen haben, und die müssen sich doch sagen, wenn alle Pfaffen schlechte Kerle sind, wie käme denn da gerade der unsre dazu, eine Ausnahme zu machen? Als Theologe und Historiker war Niecks in dem engen Gesichts¬ kreise des ältern Nationalismus befangen. Seiner Ansicht nach war jede Religion ein Kunstprodukt ihrer Pfaffen, war das Christentum durch Gewalt und uur durch Gewalt verbreitet worden, war demnach anch die Befreiung des Volks von der Religion eine Aufgabe, die eine Regierung jederzeit mit Leichtigkeit lösen konnte, wenn sie nur wollte. Daß das Volk eigne Neigungen, einen eignen Willen, tief wurzelnde Überzeugungen haben könne, daß seine Liebe und sein Haß, seine Bedürfnisse und seine Bestrebungen weltgeschichtliche Mächte seien, das erkannte er nicht an; das Volk, schrieb er mir einmal, ist nichts als ein Teig, den mau kneten muß. Er soll darauf ausgegangen sein, die badischen Gemeinden vou Bonn loszureißen und für sich ein eignes Bistum zu stiften. Ob das wahr ist, weiß ich nicht; jedenfalls hat er die Bonner Herren mit Intriguen und öffentlichen groben Angriffen so lange gereizt, bis sie sich endlich genötigt sahen, ihn aus der Altkatholikengemeinschast auszuschließen. Man ver¬ nahm dann, daß er uach Berlin gegangen und evangelisch geworden sei. Ob er eine Pfarrstelle bekommen hat oder von Schriftstellerei lebt, weiß ich nicht. Als ich vor ein Paar Jahren den Agrariern hinlänglichen Grund zum Gegen¬ teil von Liebe gegeben hatte, und man anfing zu fragen, was ich denn eigent¬ lich für ein Menschenkind sei, da brachte der Reichsbote einmal einen kurzen Abriß meines Lebenslaufes, der ganz so aussah, als stamme er von Niecks. Das hat mich veranlaßt, ein Bild von ihm zu entwerfen. In Offenburg habe ich auch Sozialdemvkrciten kennen gelernt. Es waren ihrer nicht viele, lauter anständige Leute, darunter der Besitzer einer kleinen Maschinenbauanstalt; ich hatte bis dahin noch kein volkswirtschaftliches Buch gelesen und war erstaunt zu finden, wie viel die Leute wußten, und wie ver¬ ständige Ansichten sie hatten; doch haben sie mich von der Richtigkeit ihrer Grundansicht nicht überzeugt. An Ostern kehrte ich noch einmal nach Offen¬ burg zurück, um eine Anzahl von Kindern zur ersten Kommunion zu führen — ein Nachfolger war noch nicht eingetroffen. Auch der Sohn des Maschinen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/400>, abgerufen am 22.05.2024.