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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Vollkommenheit gebracht worden. Es giebt dort viele persönlich geistreiche
Männer, die zugleich wissenschaftliche Kenner ihres Gegenstandes sind, und die
sich nur in dieser Form einer an das große gebildete Publikum gerichteten
Mitteilung zu äußern pflegen. Bei uns sind Essayisten dieses Ranges sehr
selten -- Gustav Freytag und Riehl waren solche --, statt dessen nennen die
Fachgelehrten manchmal das, was sie nebenbei für ein größeres Publikum
schreiben, Essay; sie sehen es aber vielfach selbst als etwas geringeres an im
Verhältnis zu ihren Fachwerken, und dieselbe Vorstellung hat wohl gewöhnlich
auch das Publikum. So kann es bei uns kommen, daß es ein namhafter
Historiker förmlich übel nimmt, wenn er als Esfayist bezeichnet wird. Diesem
Umstände verdanken wir einen Band: Geschichtliche Bilder und Skizzen
von K. Th. Heigel München, Lehmann), in dessen Vorwort uns der bekannte
Historiker mitteilt, ein weniger wohlwollender als witziger Berichterstatter
auf einer der letzten Historikerversammlungen hätte ihn als den bekannten
Essayisten vorgestellt und ihm gewiß nichts freundliches damit sagen wollen.
Er selbst halte aber den Essay für etwas recht schönes, und neben den er¬
forderlichen Formvorzügen, die er erstrebe, könne er außerdem selbständige
Forschung verbürgen, und seine Leser dürften überzeugt sein, daß er sich nicht
nur auf die Ziselirung beschränkt, sondern auch das Material selbst geschürft
habe und wenigstens in den meisten Stücken wesentlich neues bieten könne.
Das soll also der Inhalt dieses Bandes bekräftige", und darnach hätten wir
jenem Berichterstatter dankbar zu sein, ohne dessen Bosheit das Buch vielleicht
nicht so schnell fertig geworden wäre.

Für unsern Geschmack ist zunächst der Inhalt des Bandes zu mcinnich-
faltig. Hervorragende Künstler können es sich erlauben, weit abliegende
Gegenstände in kleinen Ausschnitten zu zeigen, sie werden damit interessiren
und in dem Leser den Wunsch nach mehr erwecken. Übrigens wird jeder in:
Interesse seiner Belehrung gewiß eine Sammlung von Essays vorziehen, die
dem Stoffe nach enger zusammenhängen, als diese sechzehn, die nur zum
Teil durch Beziehungen auf München oder auf die bairische Geschichte zu¬
sammengehalten werden. Sodann finden wir es für "Essays" entschieden un¬
künstlerisch, wenn die zufällige Form der ersten Erscheinung, ob Vortrng, ob
Rezension, ob Gutachten oder was sonst, woran der Leser nicht das mindeste
Interesse hat, bei der Sammlung beibehalten wird und auf diese Weise ein
buntscheckiges Durcheinander entsteht. Und wenn jemand in der Beilage zur
Allgemeinen Zeitung ein Paar Novitäten bespricht und die Verleger ihm gütigst
deu Wiederabdruck gestatten, so wird daraus nach unsrer Auffassung auch noch
nicht jedesmal ein Essay. So geht z. B. "Die deutsche Politik während des
Krimkrieges" in der Sache lange nicht tief genug und hat doch auch als schön¬
geistige Unterhaltung gar keinen Wert oder Reiz. Der Verfasser hat ferner
nach dem Vorwort einen hohen Begriff von der formellen Eigenschaft eines


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Vollkommenheit gebracht worden. Es giebt dort viele persönlich geistreiche
Männer, die zugleich wissenschaftliche Kenner ihres Gegenstandes sind, und die
sich nur in dieser Form einer an das große gebildete Publikum gerichteten
Mitteilung zu äußern pflegen. Bei uns sind Essayisten dieses Ranges sehr
selten — Gustav Freytag und Riehl waren solche —, statt dessen nennen die
Fachgelehrten manchmal das, was sie nebenbei für ein größeres Publikum
schreiben, Essay; sie sehen es aber vielfach selbst als etwas geringeres an im
Verhältnis zu ihren Fachwerken, und dieselbe Vorstellung hat wohl gewöhnlich
auch das Publikum. So kann es bei uns kommen, daß es ein namhafter
Historiker förmlich übel nimmt, wenn er als Esfayist bezeichnet wird. Diesem
Umstände verdanken wir einen Band: Geschichtliche Bilder und Skizzen
von K. Th. Heigel München, Lehmann), in dessen Vorwort uns der bekannte
Historiker mitteilt, ein weniger wohlwollender als witziger Berichterstatter
auf einer der letzten Historikerversammlungen hätte ihn als den bekannten
Essayisten vorgestellt und ihm gewiß nichts freundliches damit sagen wollen.
Er selbst halte aber den Essay für etwas recht schönes, und neben den er¬
forderlichen Formvorzügen, die er erstrebe, könne er außerdem selbständige
Forschung verbürgen, und seine Leser dürften überzeugt sein, daß er sich nicht
nur auf die Ziselirung beschränkt, sondern auch das Material selbst geschürft
habe und wenigstens in den meisten Stücken wesentlich neues bieten könne.
Das soll also der Inhalt dieses Bandes bekräftige», und darnach hätten wir
jenem Berichterstatter dankbar zu sein, ohne dessen Bosheit das Buch vielleicht
nicht so schnell fertig geworden wäre.

Für unsern Geschmack ist zunächst der Inhalt des Bandes zu mcinnich-
faltig. Hervorragende Künstler können es sich erlauben, weit abliegende
Gegenstände in kleinen Ausschnitten zu zeigen, sie werden damit interessiren
und in dem Leser den Wunsch nach mehr erwecken. Übrigens wird jeder in:
Interesse seiner Belehrung gewiß eine Sammlung von Essays vorziehen, die
dem Stoffe nach enger zusammenhängen, als diese sechzehn, die nur zum
Teil durch Beziehungen auf München oder auf die bairische Geschichte zu¬
sammengehalten werden. Sodann finden wir es für „Essays" entschieden un¬
künstlerisch, wenn die zufällige Form der ersten Erscheinung, ob Vortrng, ob
Rezension, ob Gutachten oder was sonst, woran der Leser nicht das mindeste
Interesse hat, bei der Sammlung beibehalten wird und auf diese Weise ein
buntscheckiges Durcheinander entsteht. Und wenn jemand in der Beilage zur
Allgemeinen Zeitung ein Paar Novitäten bespricht und die Verleger ihm gütigst
deu Wiederabdruck gestatten, so wird daraus nach unsrer Auffassung auch noch
nicht jedesmal ein Essay. So geht z. B. „Die deutsche Politik während des
Krimkrieges" in der Sache lange nicht tief genug und hat doch auch als schön¬
geistige Unterhaltung gar keinen Wert oder Reiz. Der Verfasser hat ferner
nach dem Vorwort einen hohen Begriff von der formellen Eigenschaft eines


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[0042] Lssays Vollkommenheit gebracht worden. Es giebt dort viele persönlich geistreiche Männer, die zugleich wissenschaftliche Kenner ihres Gegenstandes sind, und die sich nur in dieser Form einer an das große gebildete Publikum gerichteten Mitteilung zu äußern pflegen. Bei uns sind Essayisten dieses Ranges sehr selten — Gustav Freytag und Riehl waren solche —, statt dessen nennen die Fachgelehrten manchmal das, was sie nebenbei für ein größeres Publikum schreiben, Essay; sie sehen es aber vielfach selbst als etwas geringeres an im Verhältnis zu ihren Fachwerken, und dieselbe Vorstellung hat wohl gewöhnlich auch das Publikum. So kann es bei uns kommen, daß es ein namhafter Historiker förmlich übel nimmt, wenn er als Esfayist bezeichnet wird. Diesem Umstände verdanken wir einen Band: Geschichtliche Bilder und Skizzen von K. Th. Heigel München, Lehmann), in dessen Vorwort uns der bekannte Historiker mitteilt, ein weniger wohlwollender als witziger Berichterstatter auf einer der letzten Historikerversammlungen hätte ihn als den bekannten Essayisten vorgestellt und ihm gewiß nichts freundliches damit sagen wollen. Er selbst halte aber den Essay für etwas recht schönes, und neben den er¬ forderlichen Formvorzügen, die er erstrebe, könne er außerdem selbständige Forschung verbürgen, und seine Leser dürften überzeugt sein, daß er sich nicht nur auf die Ziselirung beschränkt, sondern auch das Material selbst geschürft habe und wenigstens in den meisten Stücken wesentlich neues bieten könne. Das soll also der Inhalt dieses Bandes bekräftige», und darnach hätten wir jenem Berichterstatter dankbar zu sein, ohne dessen Bosheit das Buch vielleicht nicht so schnell fertig geworden wäre. Für unsern Geschmack ist zunächst der Inhalt des Bandes zu mcinnich- faltig. Hervorragende Künstler können es sich erlauben, weit abliegende Gegenstände in kleinen Ausschnitten zu zeigen, sie werden damit interessiren und in dem Leser den Wunsch nach mehr erwecken. Übrigens wird jeder in: Interesse seiner Belehrung gewiß eine Sammlung von Essays vorziehen, die dem Stoffe nach enger zusammenhängen, als diese sechzehn, die nur zum Teil durch Beziehungen auf München oder auf die bairische Geschichte zu¬ sammengehalten werden. Sodann finden wir es für „Essays" entschieden un¬ künstlerisch, wenn die zufällige Form der ersten Erscheinung, ob Vortrng, ob Rezension, ob Gutachten oder was sonst, woran der Leser nicht das mindeste Interesse hat, bei der Sammlung beibehalten wird und auf diese Weise ein buntscheckiges Durcheinander entsteht. Und wenn jemand in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung ein Paar Novitäten bespricht und die Verleger ihm gütigst deu Wiederabdruck gestatten, so wird daraus nach unsrer Auffassung auch noch nicht jedesmal ein Essay. So geht z. B. „Die deutsche Politik während des Krimkrieges" in der Sache lange nicht tief genug und hat doch auch als schön¬ geistige Unterhaltung gar keinen Wert oder Reiz. Der Verfasser hat ferner nach dem Vorwort einen hohen Begriff von der formellen Eigenschaft eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/42>, abgerufen am 21.05.2024.