Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Essays

und Geschichtsforschung." Das interessanteste Stück schien uns dem Titel
nach "Der geweihte Degen des Marschalls Dann" zu sein. Die Ultramontanen
bestreiten bekanntlich, daß Klemens XIII. nach der Schlacht bei Hochkirch den
Degen verliehen habe, und halten das Ganze für eine Erfindung des Königs.
Aber der König war fest davon wie von einer Thatsache überzeugt. Der Ver¬
fasser erzählt uns alles einzelne recht hübsch; wenn er das nun aber eine
"Untersuchung" nennt und nachträglich von einem "Ergebnis" spricht und die
fragliche Ansicht als "Fabel" bezeichnet, so müssen wir dazu, ohne Historiker
zu sein, doch unsre bescheidnen Fragezeichen setzen. Die Entscheidung soll
nämlich abhängen von einer vertraulichen Erklärung des Nuntius in Warschau
an den preußischen Gesandten aus dem Jahre 1764, die neuerdings bekannt
geworden ist. Der Nuntius erklärt, die Sache sei erfunden, und sein Herr
bedaure, daß die Meinung aufgekommen sei. Der König hat ihm nicht geglaubt,
der erste Herausgeber des Aktenstücks ebensowenig. Dagegen sagt Heigel:
"Solange dafür uicht ein ausreichender Gegenbeweis geführt werden kann,
ziemt es sich, dem Worte des Papstes zu glauben." Da thun wir allerdings
besser, wir schweigen still.

Studien und Kritiken heißt ein fein geschriebnes Buch von Alfred
von Verger (Wien, Litterarische Gesellschaft). Es enthält größere und kleinere
Aufsätze, die sich alle auf das Dramatische in der Litteratur und auf der Bühne
beziehen, weil diesem das Interesse des Verfassers vorzugsweise zugewandt ist.
Uns hat besonders eine Abhandlung über Dante gefallen, weil sie das, was
einem Leser, der nicht Kenner sein will, eigentümlich erscheint und Bewunderung
abnötigt, in ganz ausgezeichneter Weise darlegt. Ungewöhnlich und geistreich
ist auch, was der Verfasser über Shakespeare sagt. Zutreffend ist z. B., was
von den Shakespearepsychologen gewöhnlich übersehen wird, daß das Über¬
zeugende bei ihm nicht sowohl auf der Kenntnis der menschlichen Seele oder
der äußern Welt beruhe, als auf der meisterhaften Darstellung, also der
Kenntnis des Bühnenwesens. Hübsch ist seine Charakterisirung des "jungen
Engländers," aus der er über Shakespeares persönliche Art Aufschlüsse zu ge¬
winnen sucht; seine Auffassung erinnert oft an Rümelin, den wir für den
originellsten unter den ältern deutschen Shakespeareertlärern halten. Sehr
geschmackvoll ist ferner eine Betrachtung über das Drama des Äschhlus und
originell eine Beurteilung Schillers im Vergleiche mit Otto Ludwig. Aber das
Buch enthält noch viel mehr, und in jedem kleinen Beitrage stecken einige nette
Beobachtungen. Der Verfasser ist ein vornehmer und geistvoller Unterhalter,
aber in den Kreisen, sür die er zunächst schreibt, liebt man es wahrscheinlich
nicht, lange bei einem Gegenstande festgehalten zu werden. Ihm würden wir
es schon zutrauen, daß er ein ganzes Buch über Dante und Shakespeare hätte
schreiben können, aus dem wir noch sehr viel mehr hübsches gelernt hatten,
und das wäre mehr nach unserm Sinne gewesen als dieses Vielerlei. Aber


Essays

und Geschichtsforschung." Das interessanteste Stück schien uns dem Titel
nach „Der geweihte Degen des Marschalls Dann" zu sein. Die Ultramontanen
bestreiten bekanntlich, daß Klemens XIII. nach der Schlacht bei Hochkirch den
Degen verliehen habe, und halten das Ganze für eine Erfindung des Königs.
Aber der König war fest davon wie von einer Thatsache überzeugt. Der Ver¬
fasser erzählt uns alles einzelne recht hübsch; wenn er das nun aber eine
„Untersuchung" nennt und nachträglich von einem „Ergebnis" spricht und die
fragliche Ansicht als „Fabel" bezeichnet, so müssen wir dazu, ohne Historiker
zu sein, doch unsre bescheidnen Fragezeichen setzen. Die Entscheidung soll
nämlich abhängen von einer vertraulichen Erklärung des Nuntius in Warschau
an den preußischen Gesandten aus dem Jahre 1764, die neuerdings bekannt
geworden ist. Der Nuntius erklärt, die Sache sei erfunden, und sein Herr
bedaure, daß die Meinung aufgekommen sei. Der König hat ihm nicht geglaubt,
der erste Herausgeber des Aktenstücks ebensowenig. Dagegen sagt Heigel:
„Solange dafür uicht ein ausreichender Gegenbeweis geführt werden kann,
ziemt es sich, dem Worte des Papstes zu glauben." Da thun wir allerdings
besser, wir schweigen still.

Studien und Kritiken heißt ein fein geschriebnes Buch von Alfred
von Verger (Wien, Litterarische Gesellschaft). Es enthält größere und kleinere
Aufsätze, die sich alle auf das Dramatische in der Litteratur und auf der Bühne
beziehen, weil diesem das Interesse des Verfassers vorzugsweise zugewandt ist.
Uns hat besonders eine Abhandlung über Dante gefallen, weil sie das, was
einem Leser, der nicht Kenner sein will, eigentümlich erscheint und Bewunderung
abnötigt, in ganz ausgezeichneter Weise darlegt. Ungewöhnlich und geistreich
ist auch, was der Verfasser über Shakespeare sagt. Zutreffend ist z. B., was
von den Shakespearepsychologen gewöhnlich übersehen wird, daß das Über¬
zeugende bei ihm nicht sowohl auf der Kenntnis der menschlichen Seele oder
der äußern Welt beruhe, als auf der meisterhaften Darstellung, also der
Kenntnis des Bühnenwesens. Hübsch ist seine Charakterisirung des „jungen
Engländers," aus der er über Shakespeares persönliche Art Aufschlüsse zu ge¬
winnen sucht; seine Auffassung erinnert oft an Rümelin, den wir für den
originellsten unter den ältern deutschen Shakespeareertlärern halten. Sehr
geschmackvoll ist ferner eine Betrachtung über das Drama des Äschhlus und
originell eine Beurteilung Schillers im Vergleiche mit Otto Ludwig. Aber das
Buch enthält noch viel mehr, und in jedem kleinen Beitrage stecken einige nette
Beobachtungen. Der Verfasser ist ein vornehmer und geistvoller Unterhalter,
aber in den Kreisen, sür die er zunächst schreibt, liebt man es wahrscheinlich
nicht, lange bei einem Gegenstande festgehalten zu werden. Ihm würden wir
es schon zutrauen, daß er ein ganzes Buch über Dante und Shakespeare hätte
schreiben können, aus dem wir noch sehr viel mehr hübsches gelernt hatten,
und das wäre mehr nach unserm Sinne gewesen als dieses Vielerlei. Aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224290"/>
          <fw type="header" place="top"> Essays</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_125" prev="#ID_124"> und Geschichtsforschung." Das interessanteste Stück schien uns dem Titel<lb/>
nach &#x201E;Der geweihte Degen des Marschalls Dann" zu sein. Die Ultramontanen<lb/>
bestreiten bekanntlich, daß Klemens XIII. nach der Schlacht bei Hochkirch den<lb/>
Degen verliehen habe, und halten das Ganze für eine Erfindung des Königs.<lb/>
Aber der König war fest davon wie von einer Thatsache überzeugt. Der Ver¬<lb/>
fasser erzählt uns alles einzelne recht hübsch; wenn er das nun aber eine<lb/>
&#x201E;Untersuchung" nennt und nachträglich von einem &#x201E;Ergebnis" spricht und die<lb/>
fragliche Ansicht als &#x201E;Fabel" bezeichnet, so müssen wir dazu, ohne Historiker<lb/>
zu sein, doch unsre bescheidnen Fragezeichen setzen. Die Entscheidung soll<lb/>
nämlich abhängen von einer vertraulichen Erklärung des Nuntius in Warschau<lb/>
an den preußischen Gesandten aus dem Jahre 1764, die neuerdings bekannt<lb/>
geworden ist. Der Nuntius erklärt, die Sache sei erfunden, und sein Herr<lb/>
bedaure, daß die Meinung aufgekommen sei. Der König hat ihm nicht geglaubt,<lb/>
der erste Herausgeber des Aktenstücks ebensowenig. Dagegen sagt Heigel:<lb/>
&#x201E;Solange dafür uicht ein ausreichender Gegenbeweis geführt werden kann,<lb/>
ziemt es sich, dem Worte des Papstes zu glauben." Da thun wir allerdings<lb/>
besser, wir schweigen still.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_126" next="#ID_127"> Studien und Kritiken heißt ein fein geschriebnes Buch von Alfred<lb/>
von Verger (Wien, Litterarische Gesellschaft). Es enthält größere und kleinere<lb/>
Aufsätze, die sich alle auf das Dramatische in der Litteratur und auf der Bühne<lb/>
beziehen, weil diesem das Interesse des Verfassers vorzugsweise zugewandt ist.<lb/>
Uns hat besonders eine Abhandlung über Dante gefallen, weil sie das, was<lb/>
einem Leser, der nicht Kenner sein will, eigentümlich erscheint und Bewunderung<lb/>
abnötigt, in ganz ausgezeichneter Weise darlegt. Ungewöhnlich und geistreich<lb/>
ist auch, was der Verfasser über Shakespeare sagt. Zutreffend ist z. B., was<lb/>
von den Shakespearepsychologen gewöhnlich übersehen wird, daß das Über¬<lb/>
zeugende bei ihm nicht sowohl auf der Kenntnis der menschlichen Seele oder<lb/>
der äußern Welt beruhe, als auf der meisterhaften Darstellung, also der<lb/>
Kenntnis des Bühnenwesens. Hübsch ist seine Charakterisirung des &#x201E;jungen<lb/>
Engländers," aus der er über Shakespeares persönliche Art Aufschlüsse zu ge¬<lb/>
winnen sucht; seine Auffassung erinnert oft an Rümelin, den wir für den<lb/>
originellsten unter den ältern deutschen Shakespeareertlärern halten. Sehr<lb/>
geschmackvoll ist ferner eine Betrachtung über das Drama des Äschhlus und<lb/>
originell eine Beurteilung Schillers im Vergleiche mit Otto Ludwig. Aber das<lb/>
Buch enthält noch viel mehr, und in jedem kleinen Beitrage stecken einige nette<lb/>
Beobachtungen. Der Verfasser ist ein vornehmer und geistvoller Unterhalter,<lb/>
aber in den Kreisen, sür die er zunächst schreibt, liebt man es wahrscheinlich<lb/>
nicht, lange bei einem Gegenstande festgehalten zu werden. Ihm würden wir<lb/>
es schon zutrauen, daß er ein ganzes Buch über Dante und Shakespeare hätte<lb/>
schreiben können, aus dem wir noch sehr viel mehr hübsches gelernt hatten,<lb/>
und das wäre mehr nach unserm Sinne gewesen als dieses Vielerlei. Aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] Essays und Geschichtsforschung." Das interessanteste Stück schien uns dem Titel nach „Der geweihte Degen des Marschalls Dann" zu sein. Die Ultramontanen bestreiten bekanntlich, daß Klemens XIII. nach der Schlacht bei Hochkirch den Degen verliehen habe, und halten das Ganze für eine Erfindung des Königs. Aber der König war fest davon wie von einer Thatsache überzeugt. Der Ver¬ fasser erzählt uns alles einzelne recht hübsch; wenn er das nun aber eine „Untersuchung" nennt und nachträglich von einem „Ergebnis" spricht und die fragliche Ansicht als „Fabel" bezeichnet, so müssen wir dazu, ohne Historiker zu sein, doch unsre bescheidnen Fragezeichen setzen. Die Entscheidung soll nämlich abhängen von einer vertraulichen Erklärung des Nuntius in Warschau an den preußischen Gesandten aus dem Jahre 1764, die neuerdings bekannt geworden ist. Der Nuntius erklärt, die Sache sei erfunden, und sein Herr bedaure, daß die Meinung aufgekommen sei. Der König hat ihm nicht geglaubt, der erste Herausgeber des Aktenstücks ebensowenig. Dagegen sagt Heigel: „Solange dafür uicht ein ausreichender Gegenbeweis geführt werden kann, ziemt es sich, dem Worte des Papstes zu glauben." Da thun wir allerdings besser, wir schweigen still. Studien und Kritiken heißt ein fein geschriebnes Buch von Alfred von Verger (Wien, Litterarische Gesellschaft). Es enthält größere und kleinere Aufsätze, die sich alle auf das Dramatische in der Litteratur und auf der Bühne beziehen, weil diesem das Interesse des Verfassers vorzugsweise zugewandt ist. Uns hat besonders eine Abhandlung über Dante gefallen, weil sie das, was einem Leser, der nicht Kenner sein will, eigentümlich erscheint und Bewunderung abnötigt, in ganz ausgezeichneter Weise darlegt. Ungewöhnlich und geistreich ist auch, was der Verfasser über Shakespeare sagt. Zutreffend ist z. B., was von den Shakespearepsychologen gewöhnlich übersehen wird, daß das Über¬ zeugende bei ihm nicht sowohl auf der Kenntnis der menschlichen Seele oder der äußern Welt beruhe, als auf der meisterhaften Darstellung, also der Kenntnis des Bühnenwesens. Hübsch ist seine Charakterisirung des „jungen Engländers," aus der er über Shakespeares persönliche Art Aufschlüsse zu ge¬ winnen sucht; seine Auffassung erinnert oft an Rümelin, den wir für den originellsten unter den ältern deutschen Shakespeareertlärern halten. Sehr geschmackvoll ist ferner eine Betrachtung über das Drama des Äschhlus und originell eine Beurteilung Schillers im Vergleiche mit Otto Ludwig. Aber das Buch enthält noch viel mehr, und in jedem kleinen Beitrage stecken einige nette Beobachtungen. Der Verfasser ist ein vornehmer und geistvoller Unterhalter, aber in den Kreisen, sür die er zunächst schreibt, liebt man es wahrscheinlich nicht, lange bei einem Gegenstande festgehalten zu werden. Ihm würden wir es schon zutrauen, daß er ein ganzes Buch über Dante und Shakespeare hätte schreiben können, aus dem wir noch sehr viel mehr hübsches gelernt hatten, und das wäre mehr nach unserm Sinne gewesen als dieses Vielerlei. Aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/44
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/44>, abgerufen am 21.05.2024.