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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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weiß, besonders aber bei uns, wo die Gerechtigkeit immer eklatanter nach jeder
Verfinsterung auf dem gesetzlichen Wege sieht.

Für die revolutionäre Bewegung in Deutschland 1848 interessirte er sich
lebhaft, doch war er nicht davon befriedigt. "Es weht, schreibt er, ein rauher,
unfreundlicher Hauch überall durch den Geistesfrühling dieses jungen Jahres.
Das Göttliche ist erwacht auf Erden und bricht in tausend goldnen Flammen
hervor; aber zugleich sammelt sich alle menschliche Schwachheit und UnVoll¬
kommenheit in eine qualmende Staubwolke, und wenn jene Flammen nicht zu¬
sammenschlagen können, so scheint diese dunkle, dämonische Wolke sich um so
leichter zu verdichten und den Schatten auf die irrenden Augen zu legen."
Mit dem bekannten schweizerischen Selbstbewußtsein schreibt er in einem Briefe:
"Wie überlegen, ruhig, wie wahrhaft vom Gebirge herab können wir armen
kleinen Schweizer dem Spektakel zusehen!" Die Revolution gefällt ihm, aber
die Revolutionäre nicht, die er 1849 in Heidelberg sah. "Ein roheres und
schlechteres Proletariat, schreibt er an einen Freund, habe ich noch nirgends
gesehen als hier. Man ist nachts seines Lebens nicht sicher, wenn man allein
über die Straße geht. Die sogenannten Führer sind aber auch darnach, nämlich
die Redakteure der Winkel- und Lokalblätter usw. Vornirtere und brutalere
Kerle sind mir noch nicht vorgekommen, als die deutschen Republikaner zweiten
und dritten Ranges; alle bösen Leidenschaften: Neid, Rachsucht, Vlutgierde,
Lügenhaftigkeit nähren und pflegen sie sorgfältig im niedern Volke."

Seine religiöse Entwicklung fand ihren Abschluß in Heidelberg, wohin er
im Herbst 1848 mit einem Stipendium seiner Regierung zu weiterer Aus¬
bildung ging. "Schon näherte er sich seinem dreißigsten Jahre, und noch
immer streckte er die Füße unter den Tisch der Mutter, ohne einen eigentlichen
Lebensberuf ergriffen zu haben. Daß man in dieser Welt nicht bloß Dichter
sein könne, sah er bereits ein. Die Züricher Jahre seit seiner Heimkehr aus
München beklagte er stets als Verlorne. Auch seine Umgebung bemerkte mit
Bedauern, daß ein prächtiger Mensch und ein reiches Talent in dem regellosen
Treiben Schaden zu nehmen, ja zu verwildern in Gefahr stand."

(Fortsetzung folgt)




weiß, besonders aber bei uns, wo die Gerechtigkeit immer eklatanter nach jeder
Verfinsterung auf dem gesetzlichen Wege sieht.

Für die revolutionäre Bewegung in Deutschland 1848 interessirte er sich
lebhaft, doch war er nicht davon befriedigt. „Es weht, schreibt er, ein rauher,
unfreundlicher Hauch überall durch den Geistesfrühling dieses jungen Jahres.
Das Göttliche ist erwacht auf Erden und bricht in tausend goldnen Flammen
hervor; aber zugleich sammelt sich alle menschliche Schwachheit und UnVoll¬
kommenheit in eine qualmende Staubwolke, und wenn jene Flammen nicht zu¬
sammenschlagen können, so scheint diese dunkle, dämonische Wolke sich um so
leichter zu verdichten und den Schatten auf die irrenden Augen zu legen."
Mit dem bekannten schweizerischen Selbstbewußtsein schreibt er in einem Briefe:
„Wie überlegen, ruhig, wie wahrhaft vom Gebirge herab können wir armen
kleinen Schweizer dem Spektakel zusehen!" Die Revolution gefällt ihm, aber
die Revolutionäre nicht, die er 1849 in Heidelberg sah. „Ein roheres und
schlechteres Proletariat, schreibt er an einen Freund, habe ich noch nirgends
gesehen als hier. Man ist nachts seines Lebens nicht sicher, wenn man allein
über die Straße geht. Die sogenannten Führer sind aber auch darnach, nämlich
die Redakteure der Winkel- und Lokalblätter usw. Vornirtere und brutalere
Kerle sind mir noch nicht vorgekommen, als die deutschen Republikaner zweiten
und dritten Ranges; alle bösen Leidenschaften: Neid, Rachsucht, Vlutgierde,
Lügenhaftigkeit nähren und pflegen sie sorgfältig im niedern Volke."

Seine religiöse Entwicklung fand ihren Abschluß in Heidelberg, wohin er
im Herbst 1848 mit einem Stipendium seiner Regierung zu weiterer Aus¬
bildung ging. „Schon näherte er sich seinem dreißigsten Jahre, und noch
immer streckte er die Füße unter den Tisch der Mutter, ohne einen eigentlichen
Lebensberuf ergriffen zu haben. Daß man in dieser Welt nicht bloß Dichter
sein könne, sah er bereits ein. Die Züricher Jahre seit seiner Heimkehr aus
München beklagte er stets als Verlorne. Auch seine Umgebung bemerkte mit
Bedauern, daß ein prächtiger Mensch und ein reiches Talent in dem regellosen
Treiben Schaden zu nehmen, ja zu verwildern in Gefahr stand."

(Fortsetzung folgt)




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[0459] weiß, besonders aber bei uns, wo die Gerechtigkeit immer eklatanter nach jeder Verfinsterung auf dem gesetzlichen Wege sieht. Für die revolutionäre Bewegung in Deutschland 1848 interessirte er sich lebhaft, doch war er nicht davon befriedigt. „Es weht, schreibt er, ein rauher, unfreundlicher Hauch überall durch den Geistesfrühling dieses jungen Jahres. Das Göttliche ist erwacht auf Erden und bricht in tausend goldnen Flammen hervor; aber zugleich sammelt sich alle menschliche Schwachheit und UnVoll¬ kommenheit in eine qualmende Staubwolke, und wenn jene Flammen nicht zu¬ sammenschlagen können, so scheint diese dunkle, dämonische Wolke sich um so leichter zu verdichten und den Schatten auf die irrenden Augen zu legen." Mit dem bekannten schweizerischen Selbstbewußtsein schreibt er in einem Briefe: „Wie überlegen, ruhig, wie wahrhaft vom Gebirge herab können wir armen kleinen Schweizer dem Spektakel zusehen!" Die Revolution gefällt ihm, aber die Revolutionäre nicht, die er 1849 in Heidelberg sah. „Ein roheres und schlechteres Proletariat, schreibt er an einen Freund, habe ich noch nirgends gesehen als hier. Man ist nachts seines Lebens nicht sicher, wenn man allein über die Straße geht. Die sogenannten Führer sind aber auch darnach, nämlich die Redakteure der Winkel- und Lokalblätter usw. Vornirtere und brutalere Kerle sind mir noch nicht vorgekommen, als die deutschen Republikaner zweiten und dritten Ranges; alle bösen Leidenschaften: Neid, Rachsucht, Vlutgierde, Lügenhaftigkeit nähren und pflegen sie sorgfältig im niedern Volke." Seine religiöse Entwicklung fand ihren Abschluß in Heidelberg, wohin er im Herbst 1848 mit einem Stipendium seiner Regierung zu weiterer Aus¬ bildung ging. „Schon näherte er sich seinem dreißigsten Jahre, und noch immer streckte er die Füße unter den Tisch der Mutter, ohne einen eigentlichen Lebensberuf ergriffen zu haben. Daß man in dieser Welt nicht bloß Dichter sein könne, sah er bereits ein. Die Züricher Jahre seit seiner Heimkehr aus München beklagte er stets als Verlorne. Auch seine Umgebung bemerkte mit Bedauern, daß ein prächtiger Mensch und ein reiches Talent in dem regellosen Treiben Schaden zu nehmen, ja zu verwildern in Gefahr stand." (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/459>, abgerufen am 21.05.2024.