Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Griechenland und Areta

Sprache bei allen Beamten; 7. Anstellung von Christen im Zollwesen. Diesen
Vertrag, der durch zwei Fermcine von 1884 und 1887 noch ergänzt wurde,
beseitigte die türkische Regierung nach dem Aufstande der Kreter von 1889-
der bezügliche Fernau bestimmte: Dem Militärgonverneur können gleichzeitig
die Obliegenheiten des Zivilgouvernenrs übertragen werden; die fünfjährige
Amtsdauer des Generalgonvernenrs wird aufgehoben; die Kenntnis der tür¬
kischen Sprache ist bei den Beamten obligatorisch;^) für den Erlaß neuer Ge¬
setze genügt nicht mehr die einfache Stimmenmehrheit der Nationalversammlung,
sondern es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich; die Beschlüsse der National¬
versammlung siud nicht mehr vom Generalgouverueur, sondern von der Pforte
zu bestätigen; die Wahl der Richter ist vom türkischen Justizminister zu be¬
stätigen; die Gendarmerie ist aus allen Provinzen des Reichs -- nicht mehr
vorzugsweise aus Einheimischen -- zu ergänzen; die Hälfte der Zölle, nach
der Konvention von Haleppa für öffentliche Arbeiten und Volksbildung be¬
stimmt, fließt von nun an in den kaiserlichen Schatz. Auf diese Beschränkungen
antworteten die Kreter damit, daß sie keine Wahlen zur Nationalversammlung
mehr vornahmen, sodaß die Pforte deren Thätigkeit einfach durch den Erlaß
von Fermans für die einzelnen Fülle ersetzte. Im Mai 1895 baten die Kreter
endlich wieder um die Einberufung der Nationalversammlung; die Pforte kam
auch diesem Wunsche ebenso wohl nach wie den weitern Bitten um Reorgani¬
sation der Gendarmerie und des Stenerwesens. Aber die vollständige Wieder¬
herstellung der Konvention von Haleppa soll, nach türkischen Angaben, damals
dadurch verhindert worden sein, daß sich die Kreter kurz darauf, durch das
Beispiel der Armenier verleitet, wieder zum offnen Aufstand hinreißen ließen.
Größere Ausdehnung nahm der Aufstand im Frühjahr 1896 an, und im
Mai bildete sich ein "Komitee für Reformen," obgleich die Pforte für den¬
selben Monat die Einberufung der Nationalversammlung versprochen hatte.
Jetzt wurde als Bedingung dafür die Auflösung des genannten Komitees
verlangt, während dieses andrerseits die Ansicht vertrat, daß die Beseitigung
des Vertrags von Haleppa die Kreter aller Verpflichtungen gegen die Türkei
entbinde, und thatsächlich die Bevölkerung aufforderte, keine Steuern mehr zu
bezahlen. Diese Meinungsverschiedenheiten erzeugten vielfache Zusammenstöße
zwischen Christen und Mohammedanern, die wieder die Pforte veranlaßten, die
Garnisonen auf Kreta zu verstärken. Angesichts dieser Verhältnisse erklärten
die fremden Konsuln den Schutz ihrer Staatsangehörigen für nicht durchführbar,
wenn nicht ihre Autorität durch das Erscheinen von Kriegsschiffen vor Kreta
unterstützt würde, ein Verlangen, das noch in den letzten Tagen des Monats
Mai zunächst Frankreich, dann auch England erfüllte, sodaß eine gewisse Be¬
ruhigung eintrat. Gleichzeitig ernannte die Pforte einen neuen Gouverneur



*) Hierdurch waren die Kreter, da sie meist nur griechisch sprechen, ausgeschlossen.
Griechenland und Areta

Sprache bei allen Beamten; 7. Anstellung von Christen im Zollwesen. Diesen
Vertrag, der durch zwei Fermcine von 1884 und 1887 noch ergänzt wurde,
beseitigte die türkische Regierung nach dem Aufstande der Kreter von 1889-
der bezügliche Fernau bestimmte: Dem Militärgonverneur können gleichzeitig
die Obliegenheiten des Zivilgouvernenrs übertragen werden; die fünfjährige
Amtsdauer des Generalgonvernenrs wird aufgehoben; die Kenntnis der tür¬
kischen Sprache ist bei den Beamten obligatorisch;^) für den Erlaß neuer Ge¬
setze genügt nicht mehr die einfache Stimmenmehrheit der Nationalversammlung,
sondern es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich; die Beschlüsse der National¬
versammlung siud nicht mehr vom Generalgouverueur, sondern von der Pforte
zu bestätigen; die Wahl der Richter ist vom türkischen Justizminister zu be¬
stätigen; die Gendarmerie ist aus allen Provinzen des Reichs — nicht mehr
vorzugsweise aus Einheimischen — zu ergänzen; die Hälfte der Zölle, nach
der Konvention von Haleppa für öffentliche Arbeiten und Volksbildung be¬
stimmt, fließt von nun an in den kaiserlichen Schatz. Auf diese Beschränkungen
antworteten die Kreter damit, daß sie keine Wahlen zur Nationalversammlung
mehr vornahmen, sodaß die Pforte deren Thätigkeit einfach durch den Erlaß
von Fermans für die einzelnen Fülle ersetzte. Im Mai 1895 baten die Kreter
endlich wieder um die Einberufung der Nationalversammlung; die Pforte kam
auch diesem Wunsche ebenso wohl nach wie den weitern Bitten um Reorgani¬
sation der Gendarmerie und des Stenerwesens. Aber die vollständige Wieder¬
herstellung der Konvention von Haleppa soll, nach türkischen Angaben, damals
dadurch verhindert worden sein, daß sich die Kreter kurz darauf, durch das
Beispiel der Armenier verleitet, wieder zum offnen Aufstand hinreißen ließen.
Größere Ausdehnung nahm der Aufstand im Frühjahr 1896 an, und im
Mai bildete sich ein „Komitee für Reformen," obgleich die Pforte für den¬
selben Monat die Einberufung der Nationalversammlung versprochen hatte.
Jetzt wurde als Bedingung dafür die Auflösung des genannten Komitees
verlangt, während dieses andrerseits die Ansicht vertrat, daß die Beseitigung
des Vertrags von Haleppa die Kreter aller Verpflichtungen gegen die Türkei
entbinde, und thatsächlich die Bevölkerung aufforderte, keine Steuern mehr zu
bezahlen. Diese Meinungsverschiedenheiten erzeugten vielfache Zusammenstöße
zwischen Christen und Mohammedanern, die wieder die Pforte veranlaßten, die
Garnisonen auf Kreta zu verstärken. Angesichts dieser Verhältnisse erklärten
die fremden Konsuln den Schutz ihrer Staatsangehörigen für nicht durchführbar,
wenn nicht ihre Autorität durch das Erscheinen von Kriegsschiffen vor Kreta
unterstützt würde, ein Verlangen, das noch in den letzten Tagen des Monats
Mai zunächst Frankreich, dann auch England erfüllte, sodaß eine gewisse Be¬
ruhigung eintrat. Gleichzeitig ernannte die Pforte einen neuen Gouverneur



*) Hierdurch waren die Kreter, da sie meist nur griechisch sprechen, ausgeschlossen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224720"/>
          <fw type="header" place="top"> Griechenland und Areta</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1396" prev="#ID_1395" next="#ID_1397"> Sprache bei allen Beamten; 7. Anstellung von Christen im Zollwesen. Diesen<lb/>
Vertrag, der durch zwei Fermcine von 1884 und 1887 noch ergänzt wurde,<lb/>
beseitigte die türkische Regierung nach dem Aufstande der Kreter von 1889-<lb/>
der bezügliche Fernau bestimmte: Dem Militärgonverneur können gleichzeitig<lb/>
die Obliegenheiten des Zivilgouvernenrs übertragen werden; die fünfjährige<lb/>
Amtsdauer des Generalgonvernenrs wird aufgehoben; die Kenntnis der tür¬<lb/>
kischen Sprache ist bei den Beamten obligatorisch;^) für den Erlaß neuer Ge¬<lb/>
setze genügt nicht mehr die einfache Stimmenmehrheit der Nationalversammlung,<lb/>
sondern es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich; die Beschlüsse der National¬<lb/>
versammlung siud nicht mehr vom Generalgouverueur, sondern von der Pforte<lb/>
zu bestätigen; die Wahl der Richter ist vom türkischen Justizminister zu be¬<lb/>
stätigen; die Gendarmerie ist aus allen Provinzen des Reichs &#x2014; nicht mehr<lb/>
vorzugsweise aus Einheimischen &#x2014; zu ergänzen; die Hälfte der Zölle, nach<lb/>
der Konvention von Haleppa für öffentliche Arbeiten und Volksbildung be¬<lb/>
stimmt, fließt von nun an in den kaiserlichen Schatz. Auf diese Beschränkungen<lb/>
antworteten die Kreter damit, daß sie keine Wahlen zur Nationalversammlung<lb/>
mehr vornahmen, sodaß die Pforte deren Thätigkeit einfach durch den Erlaß<lb/>
von Fermans für die einzelnen Fülle ersetzte. Im Mai 1895 baten die Kreter<lb/>
endlich wieder um die Einberufung der Nationalversammlung; die Pforte kam<lb/>
auch diesem Wunsche ebenso wohl nach wie den weitern Bitten um Reorgani¬<lb/>
sation der Gendarmerie und des Stenerwesens. Aber die vollständige Wieder¬<lb/>
herstellung der Konvention von Haleppa soll, nach türkischen Angaben, damals<lb/>
dadurch verhindert worden sein, daß sich die Kreter kurz darauf, durch das<lb/>
Beispiel der Armenier verleitet, wieder zum offnen Aufstand hinreißen ließen.<lb/>
Größere Ausdehnung nahm der Aufstand im Frühjahr 1896 an, und im<lb/>
Mai bildete sich ein &#x201E;Komitee für Reformen," obgleich die Pforte für den¬<lb/>
selben Monat die Einberufung der Nationalversammlung versprochen hatte.<lb/>
Jetzt wurde als Bedingung dafür die Auflösung des genannten Komitees<lb/>
verlangt, während dieses andrerseits die Ansicht vertrat, daß die Beseitigung<lb/>
des Vertrags von Haleppa die Kreter aller Verpflichtungen gegen die Türkei<lb/>
entbinde, und thatsächlich die Bevölkerung aufforderte, keine Steuern mehr zu<lb/>
bezahlen. Diese Meinungsverschiedenheiten erzeugten vielfache Zusammenstöße<lb/>
zwischen Christen und Mohammedanern, die wieder die Pforte veranlaßten, die<lb/>
Garnisonen auf Kreta zu verstärken. Angesichts dieser Verhältnisse erklärten<lb/>
die fremden Konsuln den Schutz ihrer Staatsangehörigen für nicht durchführbar,<lb/>
wenn nicht ihre Autorität durch das Erscheinen von Kriegsschiffen vor Kreta<lb/>
unterstützt würde, ein Verlangen, das noch in den letzten Tagen des Monats<lb/>
Mai zunächst Frankreich, dann auch England erfüllte, sodaß eine gewisse Be¬<lb/>
ruhigung eintrat.  Gleichzeitig ernannte die Pforte einen neuen Gouverneur</p><lb/>
          <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Hierdurch waren die Kreter, da sie meist nur griechisch sprechen, ausgeschlossen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] Griechenland und Areta Sprache bei allen Beamten; 7. Anstellung von Christen im Zollwesen. Diesen Vertrag, der durch zwei Fermcine von 1884 und 1887 noch ergänzt wurde, beseitigte die türkische Regierung nach dem Aufstande der Kreter von 1889- der bezügliche Fernau bestimmte: Dem Militärgonverneur können gleichzeitig die Obliegenheiten des Zivilgouvernenrs übertragen werden; die fünfjährige Amtsdauer des Generalgonvernenrs wird aufgehoben; die Kenntnis der tür¬ kischen Sprache ist bei den Beamten obligatorisch;^) für den Erlaß neuer Ge¬ setze genügt nicht mehr die einfache Stimmenmehrheit der Nationalversammlung, sondern es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich; die Beschlüsse der National¬ versammlung siud nicht mehr vom Generalgouverueur, sondern von der Pforte zu bestätigen; die Wahl der Richter ist vom türkischen Justizminister zu be¬ stätigen; die Gendarmerie ist aus allen Provinzen des Reichs — nicht mehr vorzugsweise aus Einheimischen — zu ergänzen; die Hälfte der Zölle, nach der Konvention von Haleppa für öffentliche Arbeiten und Volksbildung be¬ stimmt, fließt von nun an in den kaiserlichen Schatz. Auf diese Beschränkungen antworteten die Kreter damit, daß sie keine Wahlen zur Nationalversammlung mehr vornahmen, sodaß die Pforte deren Thätigkeit einfach durch den Erlaß von Fermans für die einzelnen Fülle ersetzte. Im Mai 1895 baten die Kreter endlich wieder um die Einberufung der Nationalversammlung; die Pforte kam auch diesem Wunsche ebenso wohl nach wie den weitern Bitten um Reorgani¬ sation der Gendarmerie und des Stenerwesens. Aber die vollständige Wieder¬ herstellung der Konvention von Haleppa soll, nach türkischen Angaben, damals dadurch verhindert worden sein, daß sich die Kreter kurz darauf, durch das Beispiel der Armenier verleitet, wieder zum offnen Aufstand hinreißen ließen. Größere Ausdehnung nahm der Aufstand im Frühjahr 1896 an, und im Mai bildete sich ein „Komitee für Reformen," obgleich die Pforte für den¬ selben Monat die Einberufung der Nationalversammlung versprochen hatte. Jetzt wurde als Bedingung dafür die Auflösung des genannten Komitees verlangt, während dieses andrerseits die Ansicht vertrat, daß die Beseitigung des Vertrags von Haleppa die Kreter aller Verpflichtungen gegen die Türkei entbinde, und thatsächlich die Bevölkerung aufforderte, keine Steuern mehr zu bezahlen. Diese Meinungsverschiedenheiten erzeugten vielfache Zusammenstöße zwischen Christen und Mohammedanern, die wieder die Pforte veranlaßten, die Garnisonen auf Kreta zu verstärken. Angesichts dieser Verhältnisse erklärten die fremden Konsuln den Schutz ihrer Staatsangehörigen für nicht durchführbar, wenn nicht ihre Autorität durch das Erscheinen von Kriegsschiffen vor Kreta unterstützt würde, ein Verlangen, das noch in den letzten Tagen des Monats Mai zunächst Frankreich, dann auch England erfüllte, sodaß eine gewisse Be¬ ruhigung eintrat. Gleichzeitig ernannte die Pforte einen neuen Gouverneur *) Hierdurch waren die Kreter, da sie meist nur griechisch sprechen, ausgeschlossen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/474>, abgerufen am 21.05.2024.