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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Liukommensteuerveraulcigung in Preußen

Vergegenwärtigt man sich das alles, so kann man in der Beanstandung
der Steuererklärung an und für sich in der That kein Mißtrauen, noch viel
weniger aber eine Kränkung finden, wie es in den ersten Jahren aus Mi߬
behagen und in der Meinung, die Einkommenserklärnng sei "auf Ehre und
Gewissen" abgegeben, vielfach geschehen ist. Die Ansicht aber, daß durch die
Beanstandungen soviel Mißmut und Ärger gesät werde, daß dadurch der
Staat an Anerkennung und Zuneigung bei seinen Angehörigen mehr verliere,
als die ganze finanzielle Wirkung wert sei, und daß man deshalb ganz auf
die Beanstandung verzichten solle, diese Ansicht kann doch nicht ohne weiteres
gebilligt werden: einerseits würde von sehr vielen die Steuererklärung sehr leicht
genommen werden, sobald sie unanfechtbar und maßgebend gemacht, oder wenn
auch nur das Vcanstandungsverfahren lax gehandhabt würde; andrerseits spricht
die mit dem Gesetze gemachte Erfahrung vollständig dagegen, da gerade die
finanzielle Wirkung sehr bedeutend gewesen ist.

Im großen und ganzen wird man aber auch sage" dürfen, daß von allen,
die den Dingen näher getreten und zur Mitarbeit berufen gewesen sind, das
Beanstandnngsverfahren als solches als berechtigt und unentbehrlich anerkannt
wird, und daß die Unzufriedenheit nur dadurch entstanden ist, daß vielfach der
Grundsatz Ninnrui. von ourat pra-Stör nußer Acht gelassen worden ist und ein
tieferes, belästigendes Eindringen in die persönlichen Verhältnisse stattgefunden
hat, das zur Zeit der frühern Klassen- und Einkommensteuer verpönt war,
und das auch von dem neuen, doch uuter lebhafter Zustimmung der weitesten
Kreise zustande gekommnen Gesetz nicht vorausgesetzt worden war. Es kommt
aber weiter hinzu, daß die Erklärungen vieler Zensiten Jahr für Jahr beanstandet
worden sind, ohne daß sich der Beweis unrichtiger Deklaration hätte führen
lasten, ohne daß ferner ein wesentlicher Umschwung in den allgemeinen oder
persönlichen Verhältnissen eingetreten war. Und doch glaubt billigerweise das
Publikum erwarten zu können, daß den Verwaltungsbehörden, in deren Kette
die Steuerveranlagungsbehördeu nur ein Glied bilden, die Verhältnisse so
bekannt sind, daß sie zutreffend beurteilen können, ob sich die Lage einzelner
Erwerbszweige, sei es des Handels und der Industrie, sei es der Landwirt¬
schaft, in einer Weise zum Vesfern gewandt haben, daß der Ertrag eines einzigen
Jahres den dreijährigen Durchschnitt wesentlich erhöht haben könnte, oder ob
nicht umgekehrt eher eine Wendung zum Schlechter" vorliege, die von Einfluß
auf diesen Durchschnitt sein könnte. Daß es befremdet und verstimmt, wenn
etwa von einunddemselben Gewerbetreibenden bei gleicher Lage des Marktes
drei Jahre hintereinander die Vorlegung seiner Handelsbücher gefordert wird,
ohne daß sich seine Steuererklärung als unrichtig erwiesen hätte, und nun das¬
selbe zum vierten male geschieht, darüber kann mau sich nicht wundern, zumal in
einer Zeit fast allgemeiner Unzufriedenheit, wo man dem Beamtentum ohnehin
mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Verhältnisse und ungenügendes Ein-


Grenzbotcn I 1897 6V
Zur Liukommensteuerveraulcigung in Preußen

Vergegenwärtigt man sich das alles, so kann man in der Beanstandung
der Steuererklärung an und für sich in der That kein Mißtrauen, noch viel
weniger aber eine Kränkung finden, wie es in den ersten Jahren aus Mi߬
behagen und in der Meinung, die Einkommenserklärnng sei „auf Ehre und
Gewissen" abgegeben, vielfach geschehen ist. Die Ansicht aber, daß durch die
Beanstandungen soviel Mißmut und Ärger gesät werde, daß dadurch der
Staat an Anerkennung und Zuneigung bei seinen Angehörigen mehr verliere,
als die ganze finanzielle Wirkung wert sei, und daß man deshalb ganz auf
die Beanstandung verzichten solle, diese Ansicht kann doch nicht ohne weiteres
gebilligt werden: einerseits würde von sehr vielen die Steuererklärung sehr leicht
genommen werden, sobald sie unanfechtbar und maßgebend gemacht, oder wenn
auch nur das Vcanstandungsverfahren lax gehandhabt würde; andrerseits spricht
die mit dem Gesetze gemachte Erfahrung vollständig dagegen, da gerade die
finanzielle Wirkung sehr bedeutend gewesen ist.

Im großen und ganzen wird man aber auch sage» dürfen, daß von allen,
die den Dingen näher getreten und zur Mitarbeit berufen gewesen sind, das
Beanstandnngsverfahren als solches als berechtigt und unentbehrlich anerkannt
wird, und daß die Unzufriedenheit nur dadurch entstanden ist, daß vielfach der
Grundsatz Ninnrui. von ourat pra-Stör nußer Acht gelassen worden ist und ein
tieferes, belästigendes Eindringen in die persönlichen Verhältnisse stattgefunden
hat, das zur Zeit der frühern Klassen- und Einkommensteuer verpönt war,
und das auch von dem neuen, doch uuter lebhafter Zustimmung der weitesten
Kreise zustande gekommnen Gesetz nicht vorausgesetzt worden war. Es kommt
aber weiter hinzu, daß die Erklärungen vieler Zensiten Jahr für Jahr beanstandet
worden sind, ohne daß sich der Beweis unrichtiger Deklaration hätte führen
lasten, ohne daß ferner ein wesentlicher Umschwung in den allgemeinen oder
persönlichen Verhältnissen eingetreten war. Und doch glaubt billigerweise das
Publikum erwarten zu können, daß den Verwaltungsbehörden, in deren Kette
die Steuerveranlagungsbehördeu nur ein Glied bilden, die Verhältnisse so
bekannt sind, daß sie zutreffend beurteilen können, ob sich die Lage einzelner
Erwerbszweige, sei es des Handels und der Industrie, sei es der Landwirt¬
schaft, in einer Weise zum Vesfern gewandt haben, daß der Ertrag eines einzigen
Jahres den dreijährigen Durchschnitt wesentlich erhöht haben könnte, oder ob
nicht umgekehrt eher eine Wendung zum Schlechter« vorliege, die von Einfluß
auf diesen Durchschnitt sein könnte. Daß es befremdet und verstimmt, wenn
etwa von einunddemselben Gewerbetreibenden bei gleicher Lage des Marktes
drei Jahre hintereinander die Vorlegung seiner Handelsbücher gefordert wird,
ohne daß sich seine Steuererklärung als unrichtig erwiesen hätte, und nun das¬
selbe zum vierten male geschieht, darüber kann mau sich nicht wundern, zumal in
einer Zeit fast allgemeiner Unzufriedenheit, wo man dem Beamtentum ohnehin
mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Verhältnisse und ungenügendes Ein-


Grenzbotcn I 1897 6V
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[0481] Zur Liukommensteuerveraulcigung in Preußen Vergegenwärtigt man sich das alles, so kann man in der Beanstandung der Steuererklärung an und für sich in der That kein Mißtrauen, noch viel weniger aber eine Kränkung finden, wie es in den ersten Jahren aus Mi߬ behagen und in der Meinung, die Einkommenserklärnng sei „auf Ehre und Gewissen" abgegeben, vielfach geschehen ist. Die Ansicht aber, daß durch die Beanstandungen soviel Mißmut und Ärger gesät werde, daß dadurch der Staat an Anerkennung und Zuneigung bei seinen Angehörigen mehr verliere, als die ganze finanzielle Wirkung wert sei, und daß man deshalb ganz auf die Beanstandung verzichten solle, diese Ansicht kann doch nicht ohne weiteres gebilligt werden: einerseits würde von sehr vielen die Steuererklärung sehr leicht genommen werden, sobald sie unanfechtbar und maßgebend gemacht, oder wenn auch nur das Vcanstandungsverfahren lax gehandhabt würde; andrerseits spricht die mit dem Gesetze gemachte Erfahrung vollständig dagegen, da gerade die finanzielle Wirkung sehr bedeutend gewesen ist. Im großen und ganzen wird man aber auch sage» dürfen, daß von allen, die den Dingen näher getreten und zur Mitarbeit berufen gewesen sind, das Beanstandnngsverfahren als solches als berechtigt und unentbehrlich anerkannt wird, und daß die Unzufriedenheit nur dadurch entstanden ist, daß vielfach der Grundsatz Ninnrui. von ourat pra-Stör nußer Acht gelassen worden ist und ein tieferes, belästigendes Eindringen in die persönlichen Verhältnisse stattgefunden hat, das zur Zeit der frühern Klassen- und Einkommensteuer verpönt war, und das auch von dem neuen, doch uuter lebhafter Zustimmung der weitesten Kreise zustande gekommnen Gesetz nicht vorausgesetzt worden war. Es kommt aber weiter hinzu, daß die Erklärungen vieler Zensiten Jahr für Jahr beanstandet worden sind, ohne daß sich der Beweis unrichtiger Deklaration hätte führen lasten, ohne daß ferner ein wesentlicher Umschwung in den allgemeinen oder persönlichen Verhältnissen eingetreten war. Und doch glaubt billigerweise das Publikum erwarten zu können, daß den Verwaltungsbehörden, in deren Kette die Steuerveranlagungsbehördeu nur ein Glied bilden, die Verhältnisse so bekannt sind, daß sie zutreffend beurteilen können, ob sich die Lage einzelner Erwerbszweige, sei es des Handels und der Industrie, sei es der Landwirt¬ schaft, in einer Weise zum Vesfern gewandt haben, daß der Ertrag eines einzigen Jahres den dreijährigen Durchschnitt wesentlich erhöht haben könnte, oder ob nicht umgekehrt eher eine Wendung zum Schlechter« vorliege, die von Einfluß auf diesen Durchschnitt sein könnte. Daß es befremdet und verstimmt, wenn etwa von einunddemselben Gewerbetreibenden bei gleicher Lage des Marktes drei Jahre hintereinander die Vorlegung seiner Handelsbücher gefordert wird, ohne daß sich seine Steuererklärung als unrichtig erwiesen hätte, und nun das¬ selbe zum vierten male geschieht, darüber kann mau sich nicht wundern, zumal in einer Zeit fast allgemeiner Unzufriedenheit, wo man dem Beamtentum ohnehin mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Verhältnisse und ungenügendes Ein- Grenzbotcn I 1897 6V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/481>, abgerufen am 14.06.2024.