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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand in Hamburg

Reeber bei Stückgutladung in Tagelohn arbeiten. Das ist natürlich bei Be¬
rechnung des Jahresverdienstes der Arbeiter von maßgebender Bedeutung; auf
den Tagelohn allein läßt sich diese Berechnung ohne weiteres durchaus nicht
begründen. A, von Elm aber macht nun geltend, daß die große Mehrzahl
der Schauerleute nur aus 250 Arbeitstage im Jahre rechnen könnte, nur
wenige auf 320 Tage, aber daß ein Schauermann auch unter 250 Tagen
häufig 150 Akkordarbeitstage mit einem Arbeitsverdienst von acht Mark und
mehr hatte, daß er auch außerdem -- wie uns versichert wird -- sür die
Zeit, wo er nicht als Schauermann arbeitete, in Hamburg durchaus nicht
immer müßig zu gehen brauchte, sondern häufig lohnende Arbeit verschiedner
Art fand, davon sagt A. von Elm kein Wort. Man kann ja die Frage auf¬
werfen, ob nicht, wo immer sich in einem derartigen Arbeitszweige für eine Anzahl
von Arbeitern nur mit Unterbrechungen ein guter Arbeitsverdienst findet, sodaß
die Leute einen Teil des Jahres, des Monats oder der Woche zu andrer
Arbeit Zeit übrig behalten, die Arbeitgeber in den einzelnen Arbeitszweigen
trotzdem unter allen Umstünden die Pflicht haben, den Arbeiter für das ganze
Jahr mit auskömmlichen Tagelohn zu bezahlen. Aber wer kann diese Frage
ohne weiteres mit ja beantworten, wenn er auch nur einige Kenntnis von den
praktischen Anforderungen des Geschäftslebens hat? Jedenfalls ist A. von Elm
den Beweis, daß die Schauerleute in Hamburg Hungerlöhne haben, oder daß
sie auch nur durchschnittlich nicht mehr als 900 bis 1000 Mark im Jahre
verdienen, schuldig geblieben, ja er hat uns eine ersichtlich falsche Rechnung
als Beweis einreden wollen.

Aber, meint er, die Schauerleute wären ja auch mit den von den Arbeit¬
gebern cmgebotnen 4 Mark 50 Pfennigen als Tagelohn zufrieden gewesen,
wenn nur die Stauer "sich bereit erklärt hätten, bezüglich der übrigen Forde¬
rungen mit sich reden zu lassen." Was sind das aber -- wieder nach Herrn
A. von Elm selbst -- für Forderungen gewesen? Zunächst nennt er die "gesund¬
heitsschädlichen und besonders schweren" Arbeiten, den Staub der Getreide-
und Kohlenladungen, die Ausdünstungen des Schwefels und andrer giftigen
Waren. Das ist doch in der That nur eine Verlegenheitsausrede. Gerade
das sind die gutbezahlter Akkordarbeiten, und wenn man auch wünschen muß,
daß dabei womöglich alle Menschenarbeit durch Maschinen überflüssig gemacht
werden möchte, keinem Hamburger Schauermann wäre es jemals eingefallen,
das als Grund für den Aufstand anzugeben. Hat die Hamburger Gewerbe-
und Gesundheitspolizei nicht hinreichend ihres Amtes gewaltet, so ist darüber
im Verlaufe des Streiks doch niemals besonders geklagt worden. Und nun
kommt nach A. von Elm die sehr wichtige Forderung: "Alle Arbeit gilt von
Stadt zu Stadt." Was heißt das? Nicht die Arbeitszeit von sechs bis
sechs Uhr mit anderthalbstündiger Mittags- und halbstündiger Frühstückspause
wollten die Arbeiter geändert haben, sondern diese Arbeitszeit sollte gelten von


Der Aufstand in Hamburg

Reeber bei Stückgutladung in Tagelohn arbeiten. Das ist natürlich bei Be¬
rechnung des Jahresverdienstes der Arbeiter von maßgebender Bedeutung; auf
den Tagelohn allein läßt sich diese Berechnung ohne weiteres durchaus nicht
begründen. A, von Elm aber macht nun geltend, daß die große Mehrzahl
der Schauerleute nur aus 250 Arbeitstage im Jahre rechnen könnte, nur
wenige auf 320 Tage, aber daß ein Schauermann auch unter 250 Tagen
häufig 150 Akkordarbeitstage mit einem Arbeitsverdienst von acht Mark und
mehr hatte, daß er auch außerdem — wie uns versichert wird — sür die
Zeit, wo er nicht als Schauermann arbeitete, in Hamburg durchaus nicht
immer müßig zu gehen brauchte, sondern häufig lohnende Arbeit verschiedner
Art fand, davon sagt A. von Elm kein Wort. Man kann ja die Frage auf¬
werfen, ob nicht, wo immer sich in einem derartigen Arbeitszweige für eine Anzahl
von Arbeitern nur mit Unterbrechungen ein guter Arbeitsverdienst findet, sodaß
die Leute einen Teil des Jahres, des Monats oder der Woche zu andrer
Arbeit Zeit übrig behalten, die Arbeitgeber in den einzelnen Arbeitszweigen
trotzdem unter allen Umstünden die Pflicht haben, den Arbeiter für das ganze
Jahr mit auskömmlichen Tagelohn zu bezahlen. Aber wer kann diese Frage
ohne weiteres mit ja beantworten, wenn er auch nur einige Kenntnis von den
praktischen Anforderungen des Geschäftslebens hat? Jedenfalls ist A. von Elm
den Beweis, daß die Schauerleute in Hamburg Hungerlöhne haben, oder daß
sie auch nur durchschnittlich nicht mehr als 900 bis 1000 Mark im Jahre
verdienen, schuldig geblieben, ja er hat uns eine ersichtlich falsche Rechnung
als Beweis einreden wollen.

Aber, meint er, die Schauerleute wären ja auch mit den von den Arbeit¬
gebern cmgebotnen 4 Mark 50 Pfennigen als Tagelohn zufrieden gewesen,
wenn nur die Stauer „sich bereit erklärt hätten, bezüglich der übrigen Forde¬
rungen mit sich reden zu lassen." Was sind das aber — wieder nach Herrn
A. von Elm selbst — für Forderungen gewesen? Zunächst nennt er die „gesund¬
heitsschädlichen und besonders schweren" Arbeiten, den Staub der Getreide-
und Kohlenladungen, die Ausdünstungen des Schwefels und andrer giftigen
Waren. Das ist doch in der That nur eine Verlegenheitsausrede. Gerade
das sind die gutbezahlter Akkordarbeiten, und wenn man auch wünschen muß,
daß dabei womöglich alle Menschenarbeit durch Maschinen überflüssig gemacht
werden möchte, keinem Hamburger Schauermann wäre es jemals eingefallen,
das als Grund für den Aufstand anzugeben. Hat die Hamburger Gewerbe-
und Gesundheitspolizei nicht hinreichend ihres Amtes gewaltet, so ist darüber
im Verlaufe des Streiks doch niemals besonders geklagt worden. Und nun
kommt nach A. von Elm die sehr wichtige Forderung: „Alle Arbeit gilt von
Stadt zu Stadt." Was heißt das? Nicht die Arbeitszeit von sechs bis
sechs Uhr mit anderthalbstündiger Mittags- und halbstündiger Frühstückspause
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[0051] Der Aufstand in Hamburg Reeber bei Stückgutladung in Tagelohn arbeiten. Das ist natürlich bei Be¬ rechnung des Jahresverdienstes der Arbeiter von maßgebender Bedeutung; auf den Tagelohn allein läßt sich diese Berechnung ohne weiteres durchaus nicht begründen. A, von Elm aber macht nun geltend, daß die große Mehrzahl der Schauerleute nur aus 250 Arbeitstage im Jahre rechnen könnte, nur wenige auf 320 Tage, aber daß ein Schauermann auch unter 250 Tagen häufig 150 Akkordarbeitstage mit einem Arbeitsverdienst von acht Mark und mehr hatte, daß er auch außerdem — wie uns versichert wird — sür die Zeit, wo er nicht als Schauermann arbeitete, in Hamburg durchaus nicht immer müßig zu gehen brauchte, sondern häufig lohnende Arbeit verschiedner Art fand, davon sagt A. von Elm kein Wort. Man kann ja die Frage auf¬ werfen, ob nicht, wo immer sich in einem derartigen Arbeitszweige für eine Anzahl von Arbeitern nur mit Unterbrechungen ein guter Arbeitsverdienst findet, sodaß die Leute einen Teil des Jahres, des Monats oder der Woche zu andrer Arbeit Zeit übrig behalten, die Arbeitgeber in den einzelnen Arbeitszweigen trotzdem unter allen Umstünden die Pflicht haben, den Arbeiter für das ganze Jahr mit auskömmlichen Tagelohn zu bezahlen. Aber wer kann diese Frage ohne weiteres mit ja beantworten, wenn er auch nur einige Kenntnis von den praktischen Anforderungen des Geschäftslebens hat? Jedenfalls ist A. von Elm den Beweis, daß die Schauerleute in Hamburg Hungerlöhne haben, oder daß sie auch nur durchschnittlich nicht mehr als 900 bis 1000 Mark im Jahre verdienen, schuldig geblieben, ja er hat uns eine ersichtlich falsche Rechnung als Beweis einreden wollen. Aber, meint er, die Schauerleute wären ja auch mit den von den Arbeit¬ gebern cmgebotnen 4 Mark 50 Pfennigen als Tagelohn zufrieden gewesen, wenn nur die Stauer „sich bereit erklärt hätten, bezüglich der übrigen Forde¬ rungen mit sich reden zu lassen." Was sind das aber — wieder nach Herrn A. von Elm selbst — für Forderungen gewesen? Zunächst nennt er die „gesund¬ heitsschädlichen und besonders schweren" Arbeiten, den Staub der Getreide- und Kohlenladungen, die Ausdünstungen des Schwefels und andrer giftigen Waren. Das ist doch in der That nur eine Verlegenheitsausrede. Gerade das sind die gutbezahlter Akkordarbeiten, und wenn man auch wünschen muß, daß dabei womöglich alle Menschenarbeit durch Maschinen überflüssig gemacht werden möchte, keinem Hamburger Schauermann wäre es jemals eingefallen, das als Grund für den Aufstand anzugeben. Hat die Hamburger Gewerbe- und Gesundheitspolizei nicht hinreichend ihres Amtes gewaltet, so ist darüber im Verlaufe des Streiks doch niemals besonders geklagt worden. Und nun kommt nach A. von Elm die sehr wichtige Forderung: „Alle Arbeit gilt von Stadt zu Stadt." Was heißt das? Nicht die Arbeitszeit von sechs bis sechs Uhr mit anderthalbstündiger Mittags- und halbstündiger Frühstückspause wollten die Arbeiter geändert haben, sondern diese Arbeitszeit sollte gelten von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/51>, abgerufen am 22.05.2024.