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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Aaiser Wilhelm der Siegreiche

kaiserlichen Rechte hinaus, und so erwarb er ein Vertrauen, das auf deutscher
Treue fester beruhte, als auf irgend welchen Paragraphen des Staatsrechts.
Und wie wuchs er dem ganzen deutschen Volke ans Herz! Er hatte es mit
tiefem Kummer empfunden, daß er daheim jahrelang nichts weniger als
populär war, und es war in dieser Beziehung sein erster glücklicher Tag, als
er am 4. August 1866 von den böhmischen Schlachtfeldern nach seiner Haupt¬
stadt zurückfuhr, allerorten umbraust von stürmischem Jubel; mit dem Siege
im Felde hatte er auch die Herzen seines Volkes besiegt. Doch seine größte
Zeit kam erst seit 1870. Welch ein Eindruck, als er damals am 14. Juli
von Eins nach Berlin zurückkehrte und überall begrüßt wurde als der Vor¬
kämpfer und Held der Nation, als am 19. Juli der stürmische Beifall des
Reichstags seine Rede, die den Krieg gegen Frankreich verkündete, elfmal unter¬
brach, als er am 31. Juli nach dem Kriegsschauplatze abging, um den Ober¬
befehl über das ganze deutsche Heer zu übernehmen, das zum erstenmale geeint
vor dem Feinde stand, als er endlich am 16. Juni 1871 in der nunmehrigen
Reichshauptstadt einzog, seinen siegreichen Truppen voran, auf stolzem Rappen,
Lorbeerkränze um Helm und Degengefäß und Arm, und von dem brausenden
Jubel der Hunderttausende begrüßt, die alle Straßen und Fenster und Dächer
erfüllten! Und wo er seitdem hinkam in Nord und Süd, wenn er etwa
als oberster Kriegsherr einen Teil des deutschen Heeres musterte, da klangen
feierlich die Glocken von den Türmen beim Einzug, da wogte ein Fahncnwald
in den Straßen, da drängten sich freudig erregt die Tausende, um den greisen
Helden zu sehen, der siegreich selbst dem Alter trotzte, und sie waren glücklich,
wenn sie einen Blick seiner schönen blauen Augen erHaschen konnten.

Ja, er war ein Sieger überall, und er war es doch vor allem durch
seine Persönlichkeit. Denn das Volk will seine Ideale verkörpert schauen,
und Kaiser Wilhelm hat es verkörpert. Mit frohem, langentbehrten Stolze
sagte sich die Nation: ohne jeden Widerspruch der erste Mann des europäischen
Fürstenstandes, der ehrwürdigste Herrscher der Welt stand an ihrer Spitze.
Immer blieb er der König, im großen wie im kleinen. So fest das Ver¬
trauen war, das er seinen auserwählten Räten schenkte, so einzig das Ver¬
hältnis, das ihn mit seinem großen Kanzler verband, eigentlich vertraulich
war es doch niemals. Ein gütiger Hausherr und ein vollendeter Kavalier,
zog der greise Kaiser durch eine förmliche Höflichkeit, die streng darauf hielt,
jedem die gebührende Ehre zu geben und sie selbst zu empfangen, eine unsichtbare,
aber unüberschreitbare Schranke um sich. So frei er seine Minister in ihrem
Amtsbereich gewähren ließ, in seiner Hand liefen doch alle Fäden zusammen,
und die letzte Entscheidung gab er doch selbst, immer nach sorgfältigster Prüfung,
oft nach demütigem Gebet, denn er war ein herzlich frommer Mensch und von
einem unerschütterlichen Gefühl wie für seine monarchische Würde, so für seine
monarchische Pflicht durchdrungen. Daher war es ganz unmöglich, ihn zu irgend


Aaiser Wilhelm der Siegreiche

kaiserlichen Rechte hinaus, und so erwarb er ein Vertrauen, das auf deutscher
Treue fester beruhte, als auf irgend welchen Paragraphen des Staatsrechts.
Und wie wuchs er dem ganzen deutschen Volke ans Herz! Er hatte es mit
tiefem Kummer empfunden, daß er daheim jahrelang nichts weniger als
populär war, und es war in dieser Beziehung sein erster glücklicher Tag, als
er am 4. August 1866 von den böhmischen Schlachtfeldern nach seiner Haupt¬
stadt zurückfuhr, allerorten umbraust von stürmischem Jubel; mit dem Siege
im Felde hatte er auch die Herzen seines Volkes besiegt. Doch seine größte
Zeit kam erst seit 1870. Welch ein Eindruck, als er damals am 14. Juli
von Eins nach Berlin zurückkehrte und überall begrüßt wurde als der Vor¬
kämpfer und Held der Nation, als am 19. Juli der stürmische Beifall des
Reichstags seine Rede, die den Krieg gegen Frankreich verkündete, elfmal unter¬
brach, als er am 31. Juli nach dem Kriegsschauplatze abging, um den Ober¬
befehl über das ganze deutsche Heer zu übernehmen, das zum erstenmale geeint
vor dem Feinde stand, als er endlich am 16. Juni 1871 in der nunmehrigen
Reichshauptstadt einzog, seinen siegreichen Truppen voran, auf stolzem Rappen,
Lorbeerkränze um Helm und Degengefäß und Arm, und von dem brausenden
Jubel der Hunderttausende begrüßt, die alle Straßen und Fenster und Dächer
erfüllten! Und wo er seitdem hinkam in Nord und Süd, wenn er etwa
als oberster Kriegsherr einen Teil des deutschen Heeres musterte, da klangen
feierlich die Glocken von den Türmen beim Einzug, da wogte ein Fahncnwald
in den Straßen, da drängten sich freudig erregt die Tausende, um den greisen
Helden zu sehen, der siegreich selbst dem Alter trotzte, und sie waren glücklich,
wenn sie einen Blick seiner schönen blauen Augen erHaschen konnten.

Ja, er war ein Sieger überall, und er war es doch vor allem durch
seine Persönlichkeit. Denn das Volk will seine Ideale verkörpert schauen,
und Kaiser Wilhelm hat es verkörpert. Mit frohem, langentbehrten Stolze
sagte sich die Nation: ohne jeden Widerspruch der erste Mann des europäischen
Fürstenstandes, der ehrwürdigste Herrscher der Welt stand an ihrer Spitze.
Immer blieb er der König, im großen wie im kleinen. So fest das Ver¬
trauen war, das er seinen auserwählten Räten schenkte, so einzig das Ver¬
hältnis, das ihn mit seinem großen Kanzler verband, eigentlich vertraulich
war es doch niemals. Ein gütiger Hausherr und ein vollendeter Kavalier,
zog der greise Kaiser durch eine förmliche Höflichkeit, die streng darauf hielt,
jedem die gebührende Ehre zu geben und sie selbst zu empfangen, eine unsichtbare,
aber unüberschreitbare Schranke um sich. So frei er seine Minister in ihrem
Amtsbereich gewähren ließ, in seiner Hand liefen doch alle Fäden zusammen,
und die letzte Entscheidung gab er doch selbst, immer nach sorgfältigster Prüfung,
oft nach demütigem Gebet, denn er war ein herzlich frommer Mensch und von
einem unerschütterlichen Gefühl wie für seine monarchische Würde, so für seine
monarchische Pflicht durchdrungen. Daher war es ganz unmöglich, ihn zu irgend


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[0523] Aaiser Wilhelm der Siegreiche kaiserlichen Rechte hinaus, und so erwarb er ein Vertrauen, das auf deutscher Treue fester beruhte, als auf irgend welchen Paragraphen des Staatsrechts. Und wie wuchs er dem ganzen deutschen Volke ans Herz! Er hatte es mit tiefem Kummer empfunden, daß er daheim jahrelang nichts weniger als populär war, und es war in dieser Beziehung sein erster glücklicher Tag, als er am 4. August 1866 von den böhmischen Schlachtfeldern nach seiner Haupt¬ stadt zurückfuhr, allerorten umbraust von stürmischem Jubel; mit dem Siege im Felde hatte er auch die Herzen seines Volkes besiegt. Doch seine größte Zeit kam erst seit 1870. Welch ein Eindruck, als er damals am 14. Juli von Eins nach Berlin zurückkehrte und überall begrüßt wurde als der Vor¬ kämpfer und Held der Nation, als am 19. Juli der stürmische Beifall des Reichstags seine Rede, die den Krieg gegen Frankreich verkündete, elfmal unter¬ brach, als er am 31. Juli nach dem Kriegsschauplatze abging, um den Ober¬ befehl über das ganze deutsche Heer zu übernehmen, das zum erstenmale geeint vor dem Feinde stand, als er endlich am 16. Juni 1871 in der nunmehrigen Reichshauptstadt einzog, seinen siegreichen Truppen voran, auf stolzem Rappen, Lorbeerkränze um Helm und Degengefäß und Arm, und von dem brausenden Jubel der Hunderttausende begrüßt, die alle Straßen und Fenster und Dächer erfüllten! Und wo er seitdem hinkam in Nord und Süd, wenn er etwa als oberster Kriegsherr einen Teil des deutschen Heeres musterte, da klangen feierlich die Glocken von den Türmen beim Einzug, da wogte ein Fahncnwald in den Straßen, da drängten sich freudig erregt die Tausende, um den greisen Helden zu sehen, der siegreich selbst dem Alter trotzte, und sie waren glücklich, wenn sie einen Blick seiner schönen blauen Augen erHaschen konnten. Ja, er war ein Sieger überall, und er war es doch vor allem durch seine Persönlichkeit. Denn das Volk will seine Ideale verkörpert schauen, und Kaiser Wilhelm hat es verkörpert. Mit frohem, langentbehrten Stolze sagte sich die Nation: ohne jeden Widerspruch der erste Mann des europäischen Fürstenstandes, der ehrwürdigste Herrscher der Welt stand an ihrer Spitze. Immer blieb er der König, im großen wie im kleinen. So fest das Ver¬ trauen war, das er seinen auserwählten Räten schenkte, so einzig das Ver¬ hältnis, das ihn mit seinem großen Kanzler verband, eigentlich vertraulich war es doch niemals. Ein gütiger Hausherr und ein vollendeter Kavalier, zog der greise Kaiser durch eine förmliche Höflichkeit, die streng darauf hielt, jedem die gebührende Ehre zu geben und sie selbst zu empfangen, eine unsichtbare, aber unüberschreitbare Schranke um sich. So frei er seine Minister in ihrem Amtsbereich gewähren ließ, in seiner Hand liefen doch alle Fäden zusammen, und die letzte Entscheidung gab er doch selbst, immer nach sorgfältigster Prüfung, oft nach demütigem Gebet, denn er war ein herzlich frommer Mensch und von einem unerschütterlichen Gefühl wie für seine monarchische Würde, so für seine monarchische Pflicht durchdrungen. Daher war es ganz unmöglich, ihn zu irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/523>, abgerufen am 21.05.2024.