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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die moderne tridnnitik potestss

Natur nützlich und nicht herrumb in den Gang der Rcgiernngsmaschine eingreifen,
während das größte Genie, das von Zeit zu Zeit einmal auf den Thron kommt,
doch auch in den vorgezeichneten Formen einen Wirkungskreis offen findet, in dem
es sich segensreich einen ehrenvollen Standpunkt in der Geschichte seines Volks er¬
werben kann. Die Fürsten sollen anregen und bewachen, nicht selbst machen!

Ist auch manches in diesen Ausführungen von der Zeit überholt, so
bleibt doch das meiste als allgemeingiltig bestehen. Wir sind ant kaiserlich
allerwegen, aber darum wollen wir den Kaiser nicht an der Spitze einer Partei
sehen, selbst nicht an der Spitze der sogenannten Ordnungsparteien, denn diese
Parteien vertreten nur zu oft eine Ordnung, die sich überlebt hat, und ver¬
hindern eine notwendige Reform der Ordnung, wenn sie ihren Privatvorteilen
nicht entspricht.

Fürst Bismarck hat im Jahre 1878 bald nach den Attentaten zu General
Grant über die Persönlichkeit Kaiser Wilhelms I. geäußert:

Er unterscheidet sich ganz und gar von den Männern, welche in so hoher
Lebensstellung geboren wurden, oder zum mindesten von vielen unter ihnen. Sie
wissen, daß die Personen von seinein Range, Fürsten von Geburt, geneigt sind, sich
für ganz verschieden von allen andern Menschen zu halten. Sie legen den Ge¬
fühlen und Wünschen andrer wenig Bedeutung bei. Ihre ganze Erziehung scheint
daraus gerichtet zu sein, in ihnen die menschliche Seite zu ersticken. Der Kaiser ist
im Gegenteil Mensch in allen Dingen. Er hat nie in seinem Leben irgend jemand
Unrecht gethan, niemandes Gefühl verletzt, nie Harte empfinden lassen. Er ist einer
jeuer Menschen, deren gütiges Naturell die Herzen gewinnt, immer beschäftigt und
besorgt um das Glück und das Wohlsein seiner Unterthanen und seiner Umgebung.

In gewissen Beziehungen hat der Kaiser Ähnlichkeit mit seinem Vorfahren
Friedrich Wilhelm, dem Vater Friedrichs des Großen. Die Übereinstimmung zwischen
ihnen ist die folgende: der alte König hatte dieselbe Schlichtheit des Charakters,
lebte einfach und zurückgezogen, führte ein wahres Familienleben; er besaß alle re¬
publikanischen Tugenden. So ist auch unser Kaiser; er ist in allen Dingen so re¬
publikanisch, daß selbst der eingefleischteste Republikaner ihn bewundern muß, wenn
sein Urteil unparteiisch wäre.

Auch über Friedrich Wilhelm III. haben wir ein gleiches Urteil. sieches,
Gesandter der französischen Republik in Berlin im Jahre 1798, berichtet seiner
Regierung: "Am hiesigen Hofe ist der König der erste Republikaner."

Die preußischen Könige haben zuerst dem Volke wieder die schweren staat¬
lichen Pflichten auferlegt, ohne die der Staat nicht leben kann, sie haben die
nationale Ehre und Selbständigkeit nach außen zur Geltung gebracht, aber sie
sind sich auch der andern unzertrennlich damit verknüpften Seite der tribunitia.
xotssws bewußt geblieben: der Schirmherr der untern Klassen gegen den
Egoismus der obern zu sein.

Mögen auch die deutschen Kaiser in gleicher Weise nach beiden Richtungen
ihres hohen Amtes walten! Die Reiche werden nur durch die Kräfte und
Mittel erhalten, die sie begründet und groß gemacht haben.




Die moderne tridnnitik potestss

Natur nützlich und nicht herrumb in den Gang der Rcgiernngsmaschine eingreifen,
während das größte Genie, das von Zeit zu Zeit einmal auf den Thron kommt,
doch auch in den vorgezeichneten Formen einen Wirkungskreis offen findet, in dem
es sich segensreich einen ehrenvollen Standpunkt in der Geschichte seines Volks er¬
werben kann. Die Fürsten sollen anregen und bewachen, nicht selbst machen!

Ist auch manches in diesen Ausführungen von der Zeit überholt, so
bleibt doch das meiste als allgemeingiltig bestehen. Wir sind ant kaiserlich
allerwegen, aber darum wollen wir den Kaiser nicht an der Spitze einer Partei
sehen, selbst nicht an der Spitze der sogenannten Ordnungsparteien, denn diese
Parteien vertreten nur zu oft eine Ordnung, die sich überlebt hat, und ver¬
hindern eine notwendige Reform der Ordnung, wenn sie ihren Privatvorteilen
nicht entspricht.

Fürst Bismarck hat im Jahre 1878 bald nach den Attentaten zu General
Grant über die Persönlichkeit Kaiser Wilhelms I. geäußert:

Er unterscheidet sich ganz und gar von den Männern, welche in so hoher
Lebensstellung geboren wurden, oder zum mindesten von vielen unter ihnen. Sie
wissen, daß die Personen von seinein Range, Fürsten von Geburt, geneigt sind, sich
für ganz verschieden von allen andern Menschen zu halten. Sie legen den Ge¬
fühlen und Wünschen andrer wenig Bedeutung bei. Ihre ganze Erziehung scheint
daraus gerichtet zu sein, in ihnen die menschliche Seite zu ersticken. Der Kaiser ist
im Gegenteil Mensch in allen Dingen. Er hat nie in seinem Leben irgend jemand
Unrecht gethan, niemandes Gefühl verletzt, nie Harte empfinden lassen. Er ist einer
jeuer Menschen, deren gütiges Naturell die Herzen gewinnt, immer beschäftigt und
besorgt um das Glück und das Wohlsein seiner Unterthanen und seiner Umgebung.

In gewissen Beziehungen hat der Kaiser Ähnlichkeit mit seinem Vorfahren
Friedrich Wilhelm, dem Vater Friedrichs des Großen. Die Übereinstimmung zwischen
ihnen ist die folgende: der alte König hatte dieselbe Schlichtheit des Charakters,
lebte einfach und zurückgezogen, führte ein wahres Familienleben; er besaß alle re¬
publikanischen Tugenden. So ist auch unser Kaiser; er ist in allen Dingen so re¬
publikanisch, daß selbst der eingefleischteste Republikaner ihn bewundern muß, wenn
sein Urteil unparteiisch wäre.

Auch über Friedrich Wilhelm III. haben wir ein gleiches Urteil. sieches,
Gesandter der französischen Republik in Berlin im Jahre 1798, berichtet seiner
Regierung: „Am hiesigen Hofe ist der König der erste Republikaner."

Die preußischen Könige haben zuerst dem Volke wieder die schweren staat¬
lichen Pflichten auferlegt, ohne die der Staat nicht leben kann, sie haben die
nationale Ehre und Selbständigkeit nach außen zur Geltung gebracht, aber sie
sind sich auch der andern unzertrennlich damit verknüpften Seite der tribunitia.
xotssws bewußt geblieben: der Schirmherr der untern Klassen gegen den
Egoismus der obern zu sein.

Mögen auch die deutschen Kaiser in gleicher Weise nach beiden Richtungen
ihres hohen Amtes walten! Die Reiche werden nur durch die Kräfte und
Mittel erhalten, die sie begründet und groß gemacht haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/527>, abgerufen am 21.05.2024.