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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Reiter und seine Novellen

Ehegemahl zu folgen bereit ist. Man beachte auch den Schluß der Geschichte:
als sich beide zuletzt nach neuer, langer, innerer Entfremdung wiederfinden, hat
Keller nur die Worte: "Das Glück, das sie empfand, half ihr bald wieder zu
blühenden Wangen; denn sie war wie ein gesegnetes Fleckchen Erde, das als¬
bald wieder ergrünt, sobald nnr ein Sonnenblick und ein Tau darauf fällt."
Trockner kann man doch bei aller Zierlichkeit kaum verfahren.

So geht Keller in vielen Fällen an dem Innenleben der Hauptpersonen
still vorbei. Besonders auffällig ist das in den "Sieben Legenden," wo gerade
die psychologische Vertiefung das Wichtigste gewesen wäre, weil die naive Dar-
stellungsart der Legende das vernachlässigt. Bevorzugt find aber vielmehr
Stoffe, wo den Leuten durch Wunder etwas in den Schoß fällt, was sie sich
nicht erworben, was sie also auch nicht verdient haben. Dabei ist ein
spöttischer Zug hinein verwebt, der die Illusion der märchenhaft wirkenden
Geschichten stört. Man denke an die Worte: "Die Jungfrau Maria, welche
ja als (Ritter) Zendelwald neben ihr saß, las dies Gebet in ihrem Herzen
und war so erfreut über die fromme Dankbarkeit ihres Schützlings, daß sie
Bertraden zärtlich umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, der begreif¬
licherweise das holde Weib mit himmlischer Seligkeit erfüllte; denn wenn die
Himmlischen einmal Zuckerzeug backen, so gerät es zur Süße."

Am empfindlichsten zeigt sich der Maugel an Darstellung des Seelischen
in der Legende "Die Jungfrau und die Nonne," an den Hauptstntionen der
Entwicklung. Die schöne Beatrix entflieht voll Sehnsucht nach der Welt dem
Kloster und giebt sich alsbald einem heimkehrenden Kreuzfahrer hin, der sie
zu seiner Gemahlin macht. Nachdem sie ihm acht Söhne geboren hat, und
der älteste achtzehn Jahre alt ist, verläßt sie heimlich die Ritterburg und kehrt
unbemerkt auf ihren Posten im Kloster zurück, den unterdes die Jungfrau
Maria versehen hat. Nach zehn Jahren kommt auch ihr Gatte mit den Söhnen
zu einem Marienfeste ins Kloster. Sie "erkannte sie, schrie auf und eilte zu
ihnen, und indem sie sich zu erkennen gab, verkündigte sie ihr Geheimnis und
erzählte das große Wunder, das sie erfahren habe." Weder beim ersten Wieder¬
sehen mit ihrem Gatten, noch beim Verlassen und Wiederfinden ihrer Kinder
sind irgend welche innern Vorgänge geschildert.

Noch stärker tritt das da hervor, wo es sich etwa um religiöse Motive
handelt, wie in "Eugenia," die ein Mönch und Abt wurde. Von ihrer inneren
Erfassung des Christentums erfahren wir so gut wie nichts und sind höchlich
überrascht, daß sie zuletzt eine Märtyrerin wird.

Was endlich die Darstellungsart des Dichters betrifft, so ist sie ja in
dem Bisherigen schon mehrfach berührt. Wir freuen uns über viele gute
Bilder, über manchen zierlichen Ausdruck, über manchen feinen Witz. Aber
zuweilen erinnern sie doch lebhaft an die Schnörkel des Rokoko, so wenn er
sagt: "Zwei Abenteuer, welche, wie es bei Zwillingen zuweilen geht, nur


Gottfried Reiter und seine Novellen

Ehegemahl zu folgen bereit ist. Man beachte auch den Schluß der Geschichte:
als sich beide zuletzt nach neuer, langer, innerer Entfremdung wiederfinden, hat
Keller nur die Worte: „Das Glück, das sie empfand, half ihr bald wieder zu
blühenden Wangen; denn sie war wie ein gesegnetes Fleckchen Erde, das als¬
bald wieder ergrünt, sobald nnr ein Sonnenblick und ein Tau darauf fällt."
Trockner kann man doch bei aller Zierlichkeit kaum verfahren.

So geht Keller in vielen Fällen an dem Innenleben der Hauptpersonen
still vorbei. Besonders auffällig ist das in den „Sieben Legenden," wo gerade
die psychologische Vertiefung das Wichtigste gewesen wäre, weil die naive Dar-
stellungsart der Legende das vernachlässigt. Bevorzugt find aber vielmehr
Stoffe, wo den Leuten durch Wunder etwas in den Schoß fällt, was sie sich
nicht erworben, was sie also auch nicht verdient haben. Dabei ist ein
spöttischer Zug hinein verwebt, der die Illusion der märchenhaft wirkenden
Geschichten stört. Man denke an die Worte: „Die Jungfrau Maria, welche
ja als (Ritter) Zendelwald neben ihr saß, las dies Gebet in ihrem Herzen
und war so erfreut über die fromme Dankbarkeit ihres Schützlings, daß sie
Bertraden zärtlich umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, der begreif¬
licherweise das holde Weib mit himmlischer Seligkeit erfüllte; denn wenn die
Himmlischen einmal Zuckerzeug backen, so gerät es zur Süße."

Am empfindlichsten zeigt sich der Maugel an Darstellung des Seelischen
in der Legende „Die Jungfrau und die Nonne," an den Hauptstntionen der
Entwicklung. Die schöne Beatrix entflieht voll Sehnsucht nach der Welt dem
Kloster und giebt sich alsbald einem heimkehrenden Kreuzfahrer hin, der sie
zu seiner Gemahlin macht. Nachdem sie ihm acht Söhne geboren hat, und
der älteste achtzehn Jahre alt ist, verläßt sie heimlich die Ritterburg und kehrt
unbemerkt auf ihren Posten im Kloster zurück, den unterdes die Jungfrau
Maria versehen hat. Nach zehn Jahren kommt auch ihr Gatte mit den Söhnen
zu einem Marienfeste ins Kloster. Sie „erkannte sie, schrie auf und eilte zu
ihnen, und indem sie sich zu erkennen gab, verkündigte sie ihr Geheimnis und
erzählte das große Wunder, das sie erfahren habe." Weder beim ersten Wieder¬
sehen mit ihrem Gatten, noch beim Verlassen und Wiederfinden ihrer Kinder
sind irgend welche innern Vorgänge geschildert.

Noch stärker tritt das da hervor, wo es sich etwa um religiöse Motive
handelt, wie in „Eugenia," die ein Mönch und Abt wurde. Von ihrer inneren
Erfassung des Christentums erfahren wir so gut wie nichts und sind höchlich
überrascht, daß sie zuletzt eine Märtyrerin wird.

Was endlich die Darstellungsart des Dichters betrifft, so ist sie ja in
dem Bisherigen schon mehrfach berührt. Wir freuen uns über viele gute
Bilder, über manchen zierlichen Ausdruck, über manchen feinen Witz. Aber
zuweilen erinnern sie doch lebhaft an die Schnörkel des Rokoko, so wenn er
sagt: „Zwei Abenteuer, welche, wie es bei Zwillingen zuweilen geht, nur


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[0549] Gottfried Reiter und seine Novellen Ehegemahl zu folgen bereit ist. Man beachte auch den Schluß der Geschichte: als sich beide zuletzt nach neuer, langer, innerer Entfremdung wiederfinden, hat Keller nur die Worte: „Das Glück, das sie empfand, half ihr bald wieder zu blühenden Wangen; denn sie war wie ein gesegnetes Fleckchen Erde, das als¬ bald wieder ergrünt, sobald nnr ein Sonnenblick und ein Tau darauf fällt." Trockner kann man doch bei aller Zierlichkeit kaum verfahren. So geht Keller in vielen Fällen an dem Innenleben der Hauptpersonen still vorbei. Besonders auffällig ist das in den „Sieben Legenden," wo gerade die psychologische Vertiefung das Wichtigste gewesen wäre, weil die naive Dar- stellungsart der Legende das vernachlässigt. Bevorzugt find aber vielmehr Stoffe, wo den Leuten durch Wunder etwas in den Schoß fällt, was sie sich nicht erworben, was sie also auch nicht verdient haben. Dabei ist ein spöttischer Zug hinein verwebt, der die Illusion der märchenhaft wirkenden Geschichten stört. Man denke an die Worte: „Die Jungfrau Maria, welche ja als (Ritter) Zendelwald neben ihr saß, las dies Gebet in ihrem Herzen und war so erfreut über die fromme Dankbarkeit ihres Schützlings, daß sie Bertraden zärtlich umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, der begreif¬ licherweise das holde Weib mit himmlischer Seligkeit erfüllte; denn wenn die Himmlischen einmal Zuckerzeug backen, so gerät es zur Süße." Am empfindlichsten zeigt sich der Maugel an Darstellung des Seelischen in der Legende „Die Jungfrau und die Nonne," an den Hauptstntionen der Entwicklung. Die schöne Beatrix entflieht voll Sehnsucht nach der Welt dem Kloster und giebt sich alsbald einem heimkehrenden Kreuzfahrer hin, der sie zu seiner Gemahlin macht. Nachdem sie ihm acht Söhne geboren hat, und der älteste achtzehn Jahre alt ist, verläßt sie heimlich die Ritterburg und kehrt unbemerkt auf ihren Posten im Kloster zurück, den unterdes die Jungfrau Maria versehen hat. Nach zehn Jahren kommt auch ihr Gatte mit den Söhnen zu einem Marienfeste ins Kloster. Sie „erkannte sie, schrie auf und eilte zu ihnen, und indem sie sich zu erkennen gab, verkündigte sie ihr Geheimnis und erzählte das große Wunder, das sie erfahren habe." Weder beim ersten Wieder¬ sehen mit ihrem Gatten, noch beim Verlassen und Wiederfinden ihrer Kinder sind irgend welche innern Vorgänge geschildert. Noch stärker tritt das da hervor, wo es sich etwa um religiöse Motive handelt, wie in „Eugenia," die ein Mönch und Abt wurde. Von ihrer inneren Erfassung des Christentums erfahren wir so gut wie nichts und sind höchlich überrascht, daß sie zuletzt eine Märtyrerin wird. Was endlich die Darstellungsart des Dichters betrifft, so ist sie ja in dem Bisherigen schon mehrfach berührt. Wir freuen uns über viele gute Bilder, über manchen zierlichen Ausdruck, über manchen feinen Witz. Aber zuweilen erinnern sie doch lebhaft an die Schnörkel des Rokoko, so wenn er sagt: „Zwei Abenteuer, welche, wie es bei Zwillingen zuweilen geht, nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/549>, abgerufen am 22.05.2024.