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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Griechenland und die Großmächte

der Vorwurf nicht ersparen, daß sie das Möglichste gethan haben, um die
deutsche Diplomatie in der eingeschlagnen Richtung zu bestärken, dagegen
für das sittlich-nationale Problem, das hier vorliegt, nicht das geringste Ver¬
ständnis gezeigt haben.

In keinem der abendländischen Parlamente war die Debatte über die
orientalischen Verwicklungen so unbedeutend wie im deutschen Reichstage, wo
immer nur vom "Weltfrieden," von dem verletzten "Rechtszustande" und der¬
gleichen mehr, mit keinem Worte aber von dem Kern der ganzen Frage die Rede
war, und die deutsche Presse hat seit Wochen die Griechen mit einer wahren Flut
von beleidigenden Hohn und wegwerfender Geringschätzung überschüttet. Ein
ucrlommnes Volk auf einer verkommnen Insel heißen die Kreter, Griechen¬
land ist ein prahlerischer Gernegroß, ein frecher Ruhestörer, die griechische
Verwaltung ebenso schlecht oder noch schlechter als die türkische, und das alles
wird in einem Tone der Unfehlbarkeit vorgebracht, die nur noch von der Un¬
wissenheit der Herren Journalisten übertroffen wird. Warum und wozu?
Steht es uns Deutschen zu, die wir erst vor dreißig Jahren unter schweren
Kämpfen die Grundlagen unsrer Einheit gewonnen haben, die ähnlichen in
ihrem Kern durchaus berechtigten Bestrebungen eines zwar kleinen, aber
rührigen und energischen Kulturvolks zu bekämpfen, nur weil sie uns augen¬
blicklich nicht ganz bequem sind? Wir sehen dabei noch ganz davon ab, daß
die Kronprinzessin von Griechenland eine Schwester unsers Kaisers ist. Aber
bestehen nicht sogar seit Jahrzehnten die vielseitigsten materiellen und geistigen
Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland? Studiren nicht junge
Griechen mit Vorliebe bei uns, haben nicht unsre Wissenschaft und unsre Schulen
den Griechen als Vorbild gedient, arbeiten nicht beständig deutsche Gelehrte auf
griechischem Boden? Was würde Ernst Curtius sagen, wenn er noch lebte! Die
philhelleuische Begeisterung der zwanziger Jahre wird jetzt niemand von uns
verlangen, aber wozu dieser feindselige Hohn, der ein patriotisches Volk, wie die
Griechen ohne allen Zweifel sind, aufs tiefste empören muß? Leider hat die
Haltung unsrer Regierung dies ganz ohne Not herbeigeführte Verhältnis noch
wesentlich verschärft. Daß von Berlin aus die Anregung gegeben wurde, auf
Kreta wenigstens etwas zu thun, das war vielleicht in der Ordnung; aber daß
gerade unsre "Augusta" am 21. Februar bei Kanea den ersten Schuß auf die
kretischen Aufständischen abgab, das hätte vermieden werden können und müssen,
schou weil dadurch der Schein erweckt wurde, als ob Deutschland den griechischen
Bestrebungen ganz besonders feindselig gegenüberstünde. Jetzt heißt es im ganzen
griechischen Orient: Der erste Schuß auf Griechen ist von einem deutschen
Schiffe gefallen, und der ganze erbitterte Haß richtet sich in erster Linie gegen
uns. War das nötig? Sind wir so reich an Sympathien im Auslande, daß
uns das so ganz gleichgiltig sein könnte? War es ferner nötig, daß die deutsche
Diplomatie von Anfang an eine ganz besonders schroffe Haltung annahm, daß


Griechenland und die Großmächte

der Vorwurf nicht ersparen, daß sie das Möglichste gethan haben, um die
deutsche Diplomatie in der eingeschlagnen Richtung zu bestärken, dagegen
für das sittlich-nationale Problem, das hier vorliegt, nicht das geringste Ver¬
ständnis gezeigt haben.

In keinem der abendländischen Parlamente war die Debatte über die
orientalischen Verwicklungen so unbedeutend wie im deutschen Reichstage, wo
immer nur vom „Weltfrieden," von dem verletzten „Rechtszustande" und der¬
gleichen mehr, mit keinem Worte aber von dem Kern der ganzen Frage die Rede
war, und die deutsche Presse hat seit Wochen die Griechen mit einer wahren Flut
von beleidigenden Hohn und wegwerfender Geringschätzung überschüttet. Ein
ucrlommnes Volk auf einer verkommnen Insel heißen die Kreter, Griechen¬
land ist ein prahlerischer Gernegroß, ein frecher Ruhestörer, die griechische
Verwaltung ebenso schlecht oder noch schlechter als die türkische, und das alles
wird in einem Tone der Unfehlbarkeit vorgebracht, die nur noch von der Un¬
wissenheit der Herren Journalisten übertroffen wird. Warum und wozu?
Steht es uns Deutschen zu, die wir erst vor dreißig Jahren unter schweren
Kämpfen die Grundlagen unsrer Einheit gewonnen haben, die ähnlichen in
ihrem Kern durchaus berechtigten Bestrebungen eines zwar kleinen, aber
rührigen und energischen Kulturvolks zu bekämpfen, nur weil sie uns augen¬
blicklich nicht ganz bequem sind? Wir sehen dabei noch ganz davon ab, daß
die Kronprinzessin von Griechenland eine Schwester unsers Kaisers ist. Aber
bestehen nicht sogar seit Jahrzehnten die vielseitigsten materiellen und geistigen
Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland? Studiren nicht junge
Griechen mit Vorliebe bei uns, haben nicht unsre Wissenschaft und unsre Schulen
den Griechen als Vorbild gedient, arbeiten nicht beständig deutsche Gelehrte auf
griechischem Boden? Was würde Ernst Curtius sagen, wenn er noch lebte! Die
philhelleuische Begeisterung der zwanziger Jahre wird jetzt niemand von uns
verlangen, aber wozu dieser feindselige Hohn, der ein patriotisches Volk, wie die
Griechen ohne allen Zweifel sind, aufs tiefste empören muß? Leider hat die
Haltung unsrer Regierung dies ganz ohne Not herbeigeführte Verhältnis noch
wesentlich verschärft. Daß von Berlin aus die Anregung gegeben wurde, auf
Kreta wenigstens etwas zu thun, das war vielleicht in der Ordnung; aber daß
gerade unsre „Augusta" am 21. Februar bei Kanea den ersten Schuß auf die
kretischen Aufständischen abgab, das hätte vermieden werden können und müssen,
schou weil dadurch der Schein erweckt wurde, als ob Deutschland den griechischen
Bestrebungen ganz besonders feindselig gegenüberstünde. Jetzt heißt es im ganzen
griechischen Orient: Der erste Schuß auf Griechen ist von einem deutschen
Schiffe gefallen, und der ganze erbitterte Haß richtet sich in erster Linie gegen
uns. War das nötig? Sind wir so reich an Sympathien im Auslande, daß
uns das so ganz gleichgiltig sein könnte? War es ferner nötig, daß die deutsche
Diplomatie von Anfang an eine ganz besonders schroffe Haltung annahm, daß


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[0551] Griechenland und die Großmächte der Vorwurf nicht ersparen, daß sie das Möglichste gethan haben, um die deutsche Diplomatie in der eingeschlagnen Richtung zu bestärken, dagegen für das sittlich-nationale Problem, das hier vorliegt, nicht das geringste Ver¬ ständnis gezeigt haben. In keinem der abendländischen Parlamente war die Debatte über die orientalischen Verwicklungen so unbedeutend wie im deutschen Reichstage, wo immer nur vom „Weltfrieden," von dem verletzten „Rechtszustande" und der¬ gleichen mehr, mit keinem Worte aber von dem Kern der ganzen Frage die Rede war, und die deutsche Presse hat seit Wochen die Griechen mit einer wahren Flut von beleidigenden Hohn und wegwerfender Geringschätzung überschüttet. Ein ucrlommnes Volk auf einer verkommnen Insel heißen die Kreter, Griechen¬ land ist ein prahlerischer Gernegroß, ein frecher Ruhestörer, die griechische Verwaltung ebenso schlecht oder noch schlechter als die türkische, und das alles wird in einem Tone der Unfehlbarkeit vorgebracht, die nur noch von der Un¬ wissenheit der Herren Journalisten übertroffen wird. Warum und wozu? Steht es uns Deutschen zu, die wir erst vor dreißig Jahren unter schweren Kämpfen die Grundlagen unsrer Einheit gewonnen haben, die ähnlichen in ihrem Kern durchaus berechtigten Bestrebungen eines zwar kleinen, aber rührigen und energischen Kulturvolks zu bekämpfen, nur weil sie uns augen¬ blicklich nicht ganz bequem sind? Wir sehen dabei noch ganz davon ab, daß die Kronprinzessin von Griechenland eine Schwester unsers Kaisers ist. Aber bestehen nicht sogar seit Jahrzehnten die vielseitigsten materiellen und geistigen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland? Studiren nicht junge Griechen mit Vorliebe bei uns, haben nicht unsre Wissenschaft und unsre Schulen den Griechen als Vorbild gedient, arbeiten nicht beständig deutsche Gelehrte auf griechischem Boden? Was würde Ernst Curtius sagen, wenn er noch lebte! Die philhelleuische Begeisterung der zwanziger Jahre wird jetzt niemand von uns verlangen, aber wozu dieser feindselige Hohn, der ein patriotisches Volk, wie die Griechen ohne allen Zweifel sind, aufs tiefste empören muß? Leider hat die Haltung unsrer Regierung dies ganz ohne Not herbeigeführte Verhältnis noch wesentlich verschärft. Daß von Berlin aus die Anregung gegeben wurde, auf Kreta wenigstens etwas zu thun, das war vielleicht in der Ordnung; aber daß gerade unsre „Augusta" am 21. Februar bei Kanea den ersten Schuß auf die kretischen Aufständischen abgab, das hätte vermieden werden können und müssen, schou weil dadurch der Schein erweckt wurde, als ob Deutschland den griechischen Bestrebungen ganz besonders feindselig gegenüberstünde. Jetzt heißt es im ganzen griechischen Orient: Der erste Schuß auf Griechen ist von einem deutschen Schiffe gefallen, und der ganze erbitterte Haß richtet sich in erster Linie gegen uns. War das nötig? Sind wir so reich an Sympathien im Auslande, daß uns das so ganz gleichgiltig sein könnte? War es ferner nötig, daß die deutsche Diplomatie von Anfang an eine ganz besonders schroffe Haltung annahm, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/551>, abgerufen am 22.05.2024.