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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Katholizismus im Staatsdienst

erfordert, daß zu hohen und einflußreichen Stellungen nicht Beamte berufe,',
werden, die in ihrer politischen Gesinnung im Gegensatz zu den obersten Leitern
der Staatsregierung stehen; so wenig in solche Stellungen etwa freisinnige
Beamte berufen werden, ebensowenig können Anhänger des Zentrums auf diese
Stellungen Ansprüche erheben; das gilt von allen Ämtern, deren Inhaber nach
den Vorschriften der Disziplinargesetze beliebig ihres Amtes entsetzt werden
können, die also verpflichtet sind, die Politik der Regierung überall und ins¬
besondre bei Wahlen zu vertreten. Auch das erkennen verständige Klerikale
an; sie weisen aber darauf hin, daß man auch Katholiken, die nicht ultramontan
seien, i" den hohen und höchsten Ämtern nur ganz vereinzelt finde. Diese
nichtnltramontanen Katholiken werden nun von den Klerikalen in zwei Klassen
eingeteilt. Die eine Klasse ist die der "Tanfscheinkatholikcn" oder "Auch-
katholiken"; es sind das solche, die zufällig katholisch geboren und erzogen,
aber mit der Kirche zerfallen sind und ihren katholischen Glauben in keiner
Weise bethätigen, insbesondre bei Mischehen ihre Kinder protestantisch erziehen
lassen. Die andre Klasse ist die der "Staatskatholiken"; das sind die, die in
rein kirchlicher Beziehung ihre Zugehörigkeit zum Katholizismus mehr oder
minder bethätige", in so fern also den Anforderungen der Klerikalen genügen,
aber in politischer Beziehung, inbesondre wo es sich um das Grenzgebiet
zwischeu Staat und Kirche handelt, mehr den konservativen oder nationallibe¬
ralen Standpunkt einnehmen. Zu den "Taufscheinkatholiken" rechnen die Kleri¬
kalen den gegenwärtigen preußischen Justizminister Schönstedt, der in Mischehe
lebt und seine Kinder protestantisch erziehen läßt, zu den "Staatskatholiken"
den jetzigen Reichskanzler. Daß die Klerikalen die Beförderung von "Tanfschein-
kathvliken" nicht als eine Abschlagszahlung auf die von ihnen beanspruchte
"Parität" gelten lassen, ist selbstverständlich; als es neulich ein liberales Blatt
als eine Bevorzugung des Katholizismus bezeichnete, daß Katholiken, die
in äußerlich hervortretender Weise mit ihrer Kirche zerfallen seien, zu den
höchsten Stellungen befördert würden, während Protestanten in gleichem Falle
leine Beförderung zu erwarten hätten, wies die klerikale Presse diese Anschauung
mit gebührendem Hohn zurück. Mit größerer Befriedigung erwähnt die klerikale
Presse Fälle, wo "Staatskatholikeu" zu höhern Stellungen befördert werden.
Aber auch an diese Fälle wird stets die Betrachtung geknüpft, daß es sich mir
um vereinzelte Ausnahmen handle, und die Klage, daß die Katholiken auch
uicht annähernd in dem richtigen Verhältnis bei Verleihung hoher Ämter be¬
rücksichtigt würden. Man sieht hierin eine Zurücksetzung des katholischen, eine
Bevorzugung des protestantischen Bekenntnisses, die jedes sachlichen Grundes
entbehre.

Dennoch erklärt sich die auffällige Thatsache sehr wohl aus sachlichen
Gründen. Vor kurzem hielt der klerikale Professor Freiherr von Hertling in
der Versammlung der Görresgesellschaft in Konstanz einen Vortrag über die


Der Katholizismus im Staatsdienst

erfordert, daß zu hohen und einflußreichen Stellungen nicht Beamte berufe,',
werden, die in ihrer politischen Gesinnung im Gegensatz zu den obersten Leitern
der Staatsregierung stehen; so wenig in solche Stellungen etwa freisinnige
Beamte berufen werden, ebensowenig können Anhänger des Zentrums auf diese
Stellungen Ansprüche erheben; das gilt von allen Ämtern, deren Inhaber nach
den Vorschriften der Disziplinargesetze beliebig ihres Amtes entsetzt werden
können, die also verpflichtet sind, die Politik der Regierung überall und ins¬
besondre bei Wahlen zu vertreten. Auch das erkennen verständige Klerikale
an; sie weisen aber darauf hin, daß man auch Katholiken, die nicht ultramontan
seien, i» den hohen und höchsten Ämtern nur ganz vereinzelt finde. Diese
nichtnltramontanen Katholiken werden nun von den Klerikalen in zwei Klassen
eingeteilt. Die eine Klasse ist die der „Tanfscheinkatholikcn" oder „Auch-
katholiken"; es sind das solche, die zufällig katholisch geboren und erzogen,
aber mit der Kirche zerfallen sind und ihren katholischen Glauben in keiner
Weise bethätigen, insbesondre bei Mischehen ihre Kinder protestantisch erziehen
lassen. Die andre Klasse ist die der „Staatskatholiken"; das sind die, die in
rein kirchlicher Beziehung ihre Zugehörigkeit zum Katholizismus mehr oder
minder bethätige», in so fern also den Anforderungen der Klerikalen genügen,
aber in politischer Beziehung, inbesondre wo es sich um das Grenzgebiet
zwischeu Staat und Kirche handelt, mehr den konservativen oder nationallibe¬
ralen Standpunkt einnehmen. Zu den „Taufscheinkatholiken" rechnen die Kleri¬
kalen den gegenwärtigen preußischen Justizminister Schönstedt, der in Mischehe
lebt und seine Kinder protestantisch erziehen läßt, zu den „Staatskatholiken"
den jetzigen Reichskanzler. Daß die Klerikalen die Beförderung von „Tanfschein-
kathvliken" nicht als eine Abschlagszahlung auf die von ihnen beanspruchte
„Parität" gelten lassen, ist selbstverständlich; als es neulich ein liberales Blatt
als eine Bevorzugung des Katholizismus bezeichnete, daß Katholiken, die
in äußerlich hervortretender Weise mit ihrer Kirche zerfallen seien, zu den
höchsten Stellungen befördert würden, während Protestanten in gleichem Falle
leine Beförderung zu erwarten hätten, wies die klerikale Presse diese Anschauung
mit gebührendem Hohn zurück. Mit größerer Befriedigung erwähnt die klerikale
Presse Fälle, wo „Staatskatholikeu" zu höhern Stellungen befördert werden.
Aber auch an diese Fälle wird stets die Betrachtung geknüpft, daß es sich mir
um vereinzelte Ausnahmen handle, und die Klage, daß die Katholiken auch
uicht annähernd in dem richtigen Verhältnis bei Verleihung hoher Ämter be¬
rücksichtigt würden. Man sieht hierin eine Zurücksetzung des katholischen, eine
Bevorzugung des protestantischen Bekenntnisses, die jedes sachlichen Grundes
entbehre.

Dennoch erklärt sich die auffällige Thatsache sehr wohl aus sachlichen
Gründen. Vor kurzem hielt der klerikale Professor Freiherr von Hertling in
der Versammlung der Görresgesellschaft in Konstanz einen Vortrag über die


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[0626] Der Katholizismus im Staatsdienst erfordert, daß zu hohen und einflußreichen Stellungen nicht Beamte berufe,', werden, die in ihrer politischen Gesinnung im Gegensatz zu den obersten Leitern der Staatsregierung stehen; so wenig in solche Stellungen etwa freisinnige Beamte berufen werden, ebensowenig können Anhänger des Zentrums auf diese Stellungen Ansprüche erheben; das gilt von allen Ämtern, deren Inhaber nach den Vorschriften der Disziplinargesetze beliebig ihres Amtes entsetzt werden können, die also verpflichtet sind, die Politik der Regierung überall und ins¬ besondre bei Wahlen zu vertreten. Auch das erkennen verständige Klerikale an; sie weisen aber darauf hin, daß man auch Katholiken, die nicht ultramontan seien, i» den hohen und höchsten Ämtern nur ganz vereinzelt finde. Diese nichtnltramontanen Katholiken werden nun von den Klerikalen in zwei Klassen eingeteilt. Die eine Klasse ist die der „Tanfscheinkatholikcn" oder „Auch- katholiken"; es sind das solche, die zufällig katholisch geboren und erzogen, aber mit der Kirche zerfallen sind und ihren katholischen Glauben in keiner Weise bethätigen, insbesondre bei Mischehen ihre Kinder protestantisch erziehen lassen. Die andre Klasse ist die der „Staatskatholiken"; das sind die, die in rein kirchlicher Beziehung ihre Zugehörigkeit zum Katholizismus mehr oder minder bethätige», in so fern also den Anforderungen der Klerikalen genügen, aber in politischer Beziehung, inbesondre wo es sich um das Grenzgebiet zwischeu Staat und Kirche handelt, mehr den konservativen oder nationallibe¬ ralen Standpunkt einnehmen. Zu den „Taufscheinkatholiken" rechnen die Kleri¬ kalen den gegenwärtigen preußischen Justizminister Schönstedt, der in Mischehe lebt und seine Kinder protestantisch erziehen läßt, zu den „Staatskatholiken" den jetzigen Reichskanzler. Daß die Klerikalen die Beförderung von „Tanfschein- kathvliken" nicht als eine Abschlagszahlung auf die von ihnen beanspruchte „Parität" gelten lassen, ist selbstverständlich; als es neulich ein liberales Blatt als eine Bevorzugung des Katholizismus bezeichnete, daß Katholiken, die in äußerlich hervortretender Weise mit ihrer Kirche zerfallen seien, zu den höchsten Stellungen befördert würden, während Protestanten in gleichem Falle leine Beförderung zu erwarten hätten, wies die klerikale Presse diese Anschauung mit gebührendem Hohn zurück. Mit größerer Befriedigung erwähnt die klerikale Presse Fälle, wo „Staatskatholikeu" zu höhern Stellungen befördert werden. Aber auch an diese Fälle wird stets die Betrachtung geknüpft, daß es sich mir um vereinzelte Ausnahmen handle, und die Klage, daß die Katholiken auch uicht annähernd in dem richtigen Verhältnis bei Verleihung hoher Ämter be¬ rücksichtigt würden. Man sieht hierin eine Zurücksetzung des katholischen, eine Bevorzugung des protestantischen Bekenntnisses, die jedes sachlichen Grundes entbehre. Dennoch erklärt sich die auffällige Thatsache sehr wohl aus sachlichen Gründen. Vor kurzem hielt der klerikale Professor Freiherr von Hertling in der Versammlung der Görresgesellschaft in Konstanz einen Vortrag über die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/626>, abgerufen am 21.05.2024.