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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

lichen Streitigkeiten Partei ergriffen, so geschah es mit kluger Berechnung des
Vorteils ihrer Stadt. Die Florentiner waren manchmal ketzerisch, manchmal
von orthodoxen Eifer erfüllt; aber mochte die religiöse Begeisterung, die sie
zeitweise ergriff, auch noch so ehrlich sein, der unfehlbare Instinkt des Gc-
meindeegvismns sorgte dafür, daß sie sich nie für die falsche Seite begeisterten.
In der großen Reformbewegung des elften und zwölften Jahrhunderts stand
das gemeine Volk, wie fast überall in Mittel- und Oberitalien, ans der Seite
der Reformatoren.^) Die zahlreichen Niederlassungen der die Reform be¬
treibenden Vallombrosaner waren ebenso viele Vorposten der Gemeinde von
Florenz und Stützen ihres Einflusses. Ihren Vorteil geltend zu machen, ließen
sie sich niemals durch religiöse Bedenken abhalten; mehr als einmal wurden
sie vom Papste mit dem Interdikt bestraft, sie ertrugen es mit größerer Ge¬
lassenheit, als es heutige sogenannte Freigeister ertragen würden, die ein Mord¬
geschrei erheben, wenn beim Begräbnis eines ihrer Gesinnungsgenossen das
Glockengeläute verweigert wird; ihnen war so etwas gleichgiltig. Einer ihrer
Bischöfe, Rainer, versetzte die Welt durch die Behauptung in Aufregung, der
Antichrist sei schon geboren. Papst Paschalis II. hielt in Florenz ein Konzil
ab, um diese schwierige Frage zu entscheiden, und es war vorauszusehen, daß
Rainer verurteilt werden und seine Ketzerei mit Absetzung büßen würde. Den
Florentinern lag nun zwar nichts am Weltuntergange, aber sie wollten ihren
Bischof, der bloß schrullenhaft und im übrigen ein guter Mensch gewesen zu sein
scheint, uicht verlieren. Das Volk wohnte den Konzilverhandlungen bei, unter¬
brach sie durch Tumult und zwang den Papst samt seinen Konzilvätern, un-
verrichteter Sache abzuziehen.

Wie es sich für Städte, die in großer Zahl auf einem kleinen Raum bei
einander liegen, von selbst versteht, sahen sich die Bürgerschaften Tusciens sehr
bald zum Export ihrer überschüssigen Gewerbeerzeugnisie gedrängt. Anfangs
hatte Visa die Vorhand. Willkommnen Anlaß zu großartigem Seeraub, zu
Plünderung und Eroberung von Inseln im Mittelmeere boten ihnen die Kreuz-
zttge; nicht weniger als tausend Pisaner Geschäftsleute lebten um 1160 in
Konstantinopel. Der Sieg der Florentiner über diese Nebenbuhler fällt in eine
viel spätere Zeit; dennoch war auch ihr Handel schon im Beginn des drei¬
zehnten Jahrhunderts so bedeutend, daß Innocenz III. sicher sein durfte, sie
an der empfindlichsten Stelle zu treffen, wenn er in seinen wiederholten Kon¬
flikten mit ihnen sein möglichstes that, ihren Handel zu schädigen; einmal drohte
er, er werde in alle Lande einen Aufruf senden, die Florentiner Kaufleute zu
fangen und ihnen ihre Waren wegzunehmen. Hundertdreißig Jahre früher
hatte sie Heinrich IV. für ihre Papstfrenndlichteit damit gestraft, daß er ihnen



Wie unabweiSbnr notwendig diese Kirchenreform in sozialer und politischer Beziehung
war, wird durch das von Davidsohn beigebrachte Material noch klarer.
Line Geschichte von Florenz

lichen Streitigkeiten Partei ergriffen, so geschah es mit kluger Berechnung des
Vorteils ihrer Stadt. Die Florentiner waren manchmal ketzerisch, manchmal
von orthodoxen Eifer erfüllt; aber mochte die religiöse Begeisterung, die sie
zeitweise ergriff, auch noch so ehrlich sein, der unfehlbare Instinkt des Gc-
meindeegvismns sorgte dafür, daß sie sich nie für die falsche Seite begeisterten.
In der großen Reformbewegung des elften und zwölften Jahrhunderts stand
das gemeine Volk, wie fast überall in Mittel- und Oberitalien, ans der Seite
der Reformatoren.^) Die zahlreichen Niederlassungen der die Reform be¬
treibenden Vallombrosaner waren ebenso viele Vorposten der Gemeinde von
Florenz und Stützen ihres Einflusses. Ihren Vorteil geltend zu machen, ließen
sie sich niemals durch religiöse Bedenken abhalten; mehr als einmal wurden
sie vom Papste mit dem Interdikt bestraft, sie ertrugen es mit größerer Ge¬
lassenheit, als es heutige sogenannte Freigeister ertragen würden, die ein Mord¬
geschrei erheben, wenn beim Begräbnis eines ihrer Gesinnungsgenossen das
Glockengeläute verweigert wird; ihnen war so etwas gleichgiltig. Einer ihrer
Bischöfe, Rainer, versetzte die Welt durch die Behauptung in Aufregung, der
Antichrist sei schon geboren. Papst Paschalis II. hielt in Florenz ein Konzil
ab, um diese schwierige Frage zu entscheiden, und es war vorauszusehen, daß
Rainer verurteilt werden und seine Ketzerei mit Absetzung büßen würde. Den
Florentinern lag nun zwar nichts am Weltuntergange, aber sie wollten ihren
Bischof, der bloß schrullenhaft und im übrigen ein guter Mensch gewesen zu sein
scheint, uicht verlieren. Das Volk wohnte den Konzilverhandlungen bei, unter¬
brach sie durch Tumult und zwang den Papst samt seinen Konzilvätern, un-
verrichteter Sache abzuziehen.

Wie es sich für Städte, die in großer Zahl auf einem kleinen Raum bei
einander liegen, von selbst versteht, sahen sich die Bürgerschaften Tusciens sehr
bald zum Export ihrer überschüssigen Gewerbeerzeugnisie gedrängt. Anfangs
hatte Visa die Vorhand. Willkommnen Anlaß zu großartigem Seeraub, zu
Plünderung und Eroberung von Inseln im Mittelmeere boten ihnen die Kreuz-
zttge; nicht weniger als tausend Pisaner Geschäftsleute lebten um 1160 in
Konstantinopel. Der Sieg der Florentiner über diese Nebenbuhler fällt in eine
viel spätere Zeit; dennoch war auch ihr Handel schon im Beginn des drei¬
zehnten Jahrhunderts so bedeutend, daß Innocenz III. sicher sein durfte, sie
an der empfindlichsten Stelle zu treffen, wenn er in seinen wiederholten Kon¬
flikten mit ihnen sein möglichstes that, ihren Handel zu schädigen; einmal drohte
er, er werde in alle Lande einen Aufruf senden, die Florentiner Kaufleute zu
fangen und ihnen ihre Waren wegzunehmen. Hundertdreißig Jahre früher
hatte sie Heinrich IV. für ihre Papstfrenndlichteit damit gestraft, daß er ihnen



Wie unabweiSbnr notwendig diese Kirchenreform in sozialer und politischer Beziehung
war, wird durch das von Davidsohn beigebrachte Material noch klarer.
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[0645] Line Geschichte von Florenz lichen Streitigkeiten Partei ergriffen, so geschah es mit kluger Berechnung des Vorteils ihrer Stadt. Die Florentiner waren manchmal ketzerisch, manchmal von orthodoxen Eifer erfüllt; aber mochte die religiöse Begeisterung, die sie zeitweise ergriff, auch noch so ehrlich sein, der unfehlbare Instinkt des Gc- meindeegvismns sorgte dafür, daß sie sich nie für die falsche Seite begeisterten. In der großen Reformbewegung des elften und zwölften Jahrhunderts stand das gemeine Volk, wie fast überall in Mittel- und Oberitalien, ans der Seite der Reformatoren.^) Die zahlreichen Niederlassungen der die Reform be¬ treibenden Vallombrosaner waren ebenso viele Vorposten der Gemeinde von Florenz und Stützen ihres Einflusses. Ihren Vorteil geltend zu machen, ließen sie sich niemals durch religiöse Bedenken abhalten; mehr als einmal wurden sie vom Papste mit dem Interdikt bestraft, sie ertrugen es mit größerer Ge¬ lassenheit, als es heutige sogenannte Freigeister ertragen würden, die ein Mord¬ geschrei erheben, wenn beim Begräbnis eines ihrer Gesinnungsgenossen das Glockengeläute verweigert wird; ihnen war so etwas gleichgiltig. Einer ihrer Bischöfe, Rainer, versetzte die Welt durch die Behauptung in Aufregung, der Antichrist sei schon geboren. Papst Paschalis II. hielt in Florenz ein Konzil ab, um diese schwierige Frage zu entscheiden, und es war vorauszusehen, daß Rainer verurteilt werden und seine Ketzerei mit Absetzung büßen würde. Den Florentinern lag nun zwar nichts am Weltuntergange, aber sie wollten ihren Bischof, der bloß schrullenhaft und im übrigen ein guter Mensch gewesen zu sein scheint, uicht verlieren. Das Volk wohnte den Konzilverhandlungen bei, unter¬ brach sie durch Tumult und zwang den Papst samt seinen Konzilvätern, un- verrichteter Sache abzuziehen. Wie es sich für Städte, die in großer Zahl auf einem kleinen Raum bei einander liegen, von selbst versteht, sahen sich die Bürgerschaften Tusciens sehr bald zum Export ihrer überschüssigen Gewerbeerzeugnisie gedrängt. Anfangs hatte Visa die Vorhand. Willkommnen Anlaß zu großartigem Seeraub, zu Plünderung und Eroberung von Inseln im Mittelmeere boten ihnen die Kreuz- zttge; nicht weniger als tausend Pisaner Geschäftsleute lebten um 1160 in Konstantinopel. Der Sieg der Florentiner über diese Nebenbuhler fällt in eine viel spätere Zeit; dennoch war auch ihr Handel schon im Beginn des drei¬ zehnten Jahrhunderts so bedeutend, daß Innocenz III. sicher sein durfte, sie an der empfindlichsten Stelle zu treffen, wenn er in seinen wiederholten Kon¬ flikten mit ihnen sein möglichstes that, ihren Handel zu schädigen; einmal drohte er, er werde in alle Lande einen Aufruf senden, die Florentiner Kaufleute zu fangen und ihnen ihre Waren wegzunehmen. Hundertdreißig Jahre früher hatte sie Heinrich IV. für ihre Papstfrenndlichteit damit gestraft, daß er ihnen Wie unabweiSbnr notwendig diese Kirchenreform in sozialer und politischer Beziehung war, wird durch das von Davidsohn beigebrachte Material noch klarer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/645>, abgerufen am 16.06.2024.