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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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so wenig satt, wie man sich an den Landschaften selbst satt sieht. Bevor der
Verfasser seine eignen Eindrücke auszeichnet, unternimmt er einen Aufstieg zur
"sauta Petrajo" in Neapel, am Wege nach dem hochgelegnen Kastell Se. Elmo,
wo der zum Neapolitaner gewordne Dresdner Woldemar Kaden haust, der
genaueste deutsche Kenner und vielseitigste Schilderer Süditaliens. Die Vesuv-
bcsteiguug, die Wnndernng in den Totengassen von Pompeji, die Rasttage auf
Capri, die Fahrten auf der neuen Fclsenstraße am Meer von Salerno nach
Amalfi und Ravello, die dann folgen, sind von vielen Tausenden unternommen
worden, aber gerade unter ihnen wird der Verfasser die dankbarsten Leser
finden, sie lassen sich ja gern an goldne, sonnige Tage erinnern. Wie weit
die "Duchessa von Sorrent" eine Novelle oder eine historische Erinnerung ist,
vermögen mir nicht festzustellen, jedenfalls tritt dies Kapitel ein wenig aus
dem Rahmen der andern heraus. Selbst dem raschen Durchwaudrer der
paradiesischen Gefilde beider Sizilien entgeht übrigens die trostlose Armut
und alles Strebens spottende Lage der untern Volksklassen nicht, er muß sich
wohl oder übel zu volkswirtschaftlichen Betrachtungen bequemen, und die
Losung "Beseitigung der verderblichen Latifundienwirtschaft" klingt auch durch
Salomons leichte Schilderungen hindurch. Den Regierenden in Italien ist bei
dieser Lösung leider zu Mute, als ob ihnen einer ansönne, vor aller Besserung
den Stein der Weisen zu finden.

Ein gut Stück weiter als die Welschlandfahrer ist Paul Neuer gelangt,
der in dem (mit Titclzeichnung und Kopfleisten besonders "modern" aus¬
gestatteten) Buche Unter fremder Sonne (Berlin, Schuster und Loeffler,
1896) einen "Ausflug" nach Venezuela und den westindischen Inseln erzählt.
Die besondern persönlichen Stimmungen des Verfassers nehmen freilich fast
ebenso viel Raum ein, wie die eigentlichen Schilderungen. Auch finden sich
mehr Heimische Nachklänge in den Skizzen, als gut ist. Aber die ersten Tropen¬
eindrücke auf dem dänischen Eiland Sankt Thomas, auf Santo Domingo und
in der Hölle von Venezuela, dem heißen Hafenstädtcheu La Gnairci (wo der
Verfasser einen zweiundachtzigjnhrigen deutschen Arzt kennen lernt, der ein
halbes Jahrhundert dort seine Pflicht gethan hat), die Ostertage in Puerto
Cabello und vieles andre treten uns doch lebendig und farbig aus den kurzen
Niederschriften entgegen, und die Widersprüche zwischen trunknem Schwelgen
in der Üppigkeit und Pracht der Tropenwelt und einer unüberwindlichen
Sehnsucht nach der deutschen Heimat gehen durch das ganze kleine Buch hin¬
durch. Einzelne Naturschilderungen fuit von außerordentlicher Schönheit; die
Skizzen des Jnsellebens von Curayao, des Stadtlebens von Caracas, die Er¬
zählungen von den Tagen auf deutsche" Pflanzungen, von dem Ausflug nach
einer vergessenen schwäbischen Bauernkolonie (Kolonie TovÄ) auf der Küsteu-
kordillere und am dichtesten Gebirgsurwald, die flüchtigen Umrisse der wunder¬
lichen Erscheinungen in der "schwarzen Republik" (Haiti) sind lesenswert. Ob


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so wenig satt, wie man sich an den Landschaften selbst satt sieht. Bevor der
Verfasser seine eignen Eindrücke auszeichnet, unternimmt er einen Aufstieg zur
„sauta Petrajo" in Neapel, am Wege nach dem hochgelegnen Kastell Se. Elmo,
wo der zum Neapolitaner gewordne Dresdner Woldemar Kaden haust, der
genaueste deutsche Kenner und vielseitigste Schilderer Süditaliens. Die Vesuv-
bcsteiguug, die Wnndernng in den Totengassen von Pompeji, die Rasttage auf
Capri, die Fahrten auf der neuen Fclsenstraße am Meer von Salerno nach
Amalfi und Ravello, die dann folgen, sind von vielen Tausenden unternommen
worden, aber gerade unter ihnen wird der Verfasser die dankbarsten Leser
finden, sie lassen sich ja gern an goldne, sonnige Tage erinnern. Wie weit
die „Duchessa von Sorrent" eine Novelle oder eine historische Erinnerung ist,
vermögen mir nicht festzustellen, jedenfalls tritt dies Kapitel ein wenig aus
dem Rahmen der andern heraus. Selbst dem raschen Durchwaudrer der
paradiesischen Gefilde beider Sizilien entgeht übrigens die trostlose Armut
und alles Strebens spottende Lage der untern Volksklassen nicht, er muß sich
wohl oder übel zu volkswirtschaftlichen Betrachtungen bequemen, und die
Losung „Beseitigung der verderblichen Latifundienwirtschaft" klingt auch durch
Salomons leichte Schilderungen hindurch. Den Regierenden in Italien ist bei
dieser Lösung leider zu Mute, als ob ihnen einer ansönne, vor aller Besserung
den Stein der Weisen zu finden.

Ein gut Stück weiter als die Welschlandfahrer ist Paul Neuer gelangt,
der in dem (mit Titclzeichnung und Kopfleisten besonders „modern" aus¬
gestatteten) Buche Unter fremder Sonne (Berlin, Schuster und Loeffler,
1896) einen „Ausflug" nach Venezuela und den westindischen Inseln erzählt.
Die besondern persönlichen Stimmungen des Verfassers nehmen freilich fast
ebenso viel Raum ein, wie die eigentlichen Schilderungen. Auch finden sich
mehr Heimische Nachklänge in den Skizzen, als gut ist. Aber die ersten Tropen¬
eindrücke auf dem dänischen Eiland Sankt Thomas, auf Santo Domingo und
in der Hölle von Venezuela, dem heißen Hafenstädtcheu La Gnairci (wo der
Verfasser einen zweiundachtzigjnhrigen deutschen Arzt kennen lernt, der ein
halbes Jahrhundert dort seine Pflicht gethan hat), die Ostertage in Puerto
Cabello und vieles andre treten uns doch lebendig und farbig aus den kurzen
Niederschriften entgegen, und die Widersprüche zwischen trunknem Schwelgen
in der Üppigkeit und Pracht der Tropenwelt und einer unüberwindlichen
Sehnsucht nach der deutschen Heimat gehen durch das ganze kleine Buch hin¬
durch. Einzelne Naturschilderungen fuit von außerordentlicher Schönheit; die
Skizzen des Jnsellebens von Curayao, des Stadtlebens von Caracas, die Er¬
zählungen von den Tagen auf deutsche» Pflanzungen, von dem Ausflug nach
einer vergessenen schwäbischen Bauernkolonie (Kolonie TovÄ) auf der Küsteu-
kordillere und am dichtesten Gebirgsurwald, die flüchtigen Umrisse der wunder¬
lichen Erscheinungen in der „schwarzen Republik" (Haiti) sind lesenswert. Ob


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[0655] Reiseschilderuiigen so wenig satt, wie man sich an den Landschaften selbst satt sieht. Bevor der Verfasser seine eignen Eindrücke auszeichnet, unternimmt er einen Aufstieg zur „sauta Petrajo" in Neapel, am Wege nach dem hochgelegnen Kastell Se. Elmo, wo der zum Neapolitaner gewordne Dresdner Woldemar Kaden haust, der genaueste deutsche Kenner und vielseitigste Schilderer Süditaliens. Die Vesuv- bcsteiguug, die Wnndernng in den Totengassen von Pompeji, die Rasttage auf Capri, die Fahrten auf der neuen Fclsenstraße am Meer von Salerno nach Amalfi und Ravello, die dann folgen, sind von vielen Tausenden unternommen worden, aber gerade unter ihnen wird der Verfasser die dankbarsten Leser finden, sie lassen sich ja gern an goldne, sonnige Tage erinnern. Wie weit die „Duchessa von Sorrent" eine Novelle oder eine historische Erinnerung ist, vermögen mir nicht festzustellen, jedenfalls tritt dies Kapitel ein wenig aus dem Rahmen der andern heraus. Selbst dem raschen Durchwaudrer der paradiesischen Gefilde beider Sizilien entgeht übrigens die trostlose Armut und alles Strebens spottende Lage der untern Volksklassen nicht, er muß sich wohl oder übel zu volkswirtschaftlichen Betrachtungen bequemen, und die Losung „Beseitigung der verderblichen Latifundienwirtschaft" klingt auch durch Salomons leichte Schilderungen hindurch. Den Regierenden in Italien ist bei dieser Lösung leider zu Mute, als ob ihnen einer ansönne, vor aller Besserung den Stein der Weisen zu finden. Ein gut Stück weiter als die Welschlandfahrer ist Paul Neuer gelangt, der in dem (mit Titclzeichnung und Kopfleisten besonders „modern" aus¬ gestatteten) Buche Unter fremder Sonne (Berlin, Schuster und Loeffler, 1896) einen „Ausflug" nach Venezuela und den westindischen Inseln erzählt. Die besondern persönlichen Stimmungen des Verfassers nehmen freilich fast ebenso viel Raum ein, wie die eigentlichen Schilderungen. Auch finden sich mehr Heimische Nachklänge in den Skizzen, als gut ist. Aber die ersten Tropen¬ eindrücke auf dem dänischen Eiland Sankt Thomas, auf Santo Domingo und in der Hölle von Venezuela, dem heißen Hafenstädtcheu La Gnairci (wo der Verfasser einen zweiundachtzigjnhrigen deutschen Arzt kennen lernt, der ein halbes Jahrhundert dort seine Pflicht gethan hat), die Ostertage in Puerto Cabello und vieles andre treten uns doch lebendig und farbig aus den kurzen Niederschriften entgegen, und die Widersprüche zwischen trunknem Schwelgen in der Üppigkeit und Pracht der Tropenwelt und einer unüberwindlichen Sehnsucht nach der deutschen Heimat gehen durch das ganze kleine Buch hin¬ durch. Einzelne Naturschilderungen fuit von außerordentlicher Schönheit; die Skizzen des Jnsellebens von Curayao, des Stadtlebens von Caracas, die Er¬ zählungen von den Tagen auf deutsche» Pflanzungen, von dem Ausflug nach einer vergessenen schwäbischen Bauernkolonie (Kolonie TovÄ) auf der Küsteu- kordillere und am dichtesten Gebirgsurwald, die flüchtigen Umrisse der wunder¬ lichen Erscheinungen in der „schwarzen Republik" (Haiti) sind lesenswert. Ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/655>, abgerufen am 22.05.2024.