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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Naturgeschichte der Maler

wie ein Spanisch-Fliegenpflaster. Aller noch mehr. Die Naturgeschichte teilt
uns, nachdem sie uns benannt hat, in so und so viel Nassen, giebt deren Unter¬
schiede an und entläßt uns alsbald, um sich den Affen zuzuwenden, die sie
viel mehr zu interessiren scheinen als wir, da sie sie weit ausführlicher be¬
spricht, Gehören denn unsre Fähigkeiten und Beschränktheiten, unsre Tem¬
peramente und Charaktere, selbst unsre Stunde und Gattungen nicht auch in
das Leben der Natur? Vom Vienenstciat, von der Republik der Ameisen, von
den Bauten der Biber ist auch in dem kürzesten Naturgeschichtsbuche zu lesen; es
ist ungerecht, die Merkwürdigkeiten des Menschengeschlechts einer unübersehbaren
Speziallitteratur zu überlassen. Diesem Übelstande abzuhelfen, sei hier der
Anfang gemacht. Ich gedenke einiges Material zusammenzustellen, um zu¬
nächst eine einzelne Gattung von Menschen, und zwar die, die der Krone der
Schöpfung am verwandtesten ist, der allgemeinen Naturgeschichte anzugliedern.
Das ist die Gattung der Künstler, speziell die der Maler, Zpscziss xiowrig..

Was ist ein Maler? Die Frage scheint dem Laien klein. "Natürlich ein
Mann mit großem, weichem Filzhut, flatterndem Halstuch, Sammetjacke, hellen
Hosen, abgetretenen Schuhen; mit langen Haaren, stattlichem Bart, märchen¬
haften Angen, edler Nase; er zieht nach Italien..." Laienantwort! Der
heute lebende "moderne" Maler zieht nicht nach Italien, er müßte denn
etwas altmodisch oder irgend ein Spezialist sein; Nase, Augen, Bart und Haare
schlagen wie auch die Kleidung, je nachdem, in die Art der Spießbürger, der
Nentenbürger, der Gigerl, der geschmackvollen Noblesse, der Vagabunden usw.
Also eine tiefere Erklärung, wenns beliebt. "Der Maler ist ein Hoher Priester
der Kunst, ein Erzeuger von Gutem, Wahren, Schönem, ein Hüter des feinen
Geschmacks, ein Erzieher der Menschheit, auch im Realismus ein Idealist."
Sehr wohl, mein Freund. Aber wollte der Himmel, er wäre das alles in
Wahrheit. Denn wenn du auch mit Recht an die so mannichfach bevorzugten
Künstler die höchsten Ansprüche stellst und dies in erhebenden Formeln aus¬
drückst, so verwechselst du doch mit Unrecht den Imperativ mit dem Präsens
und setzest fälschlich als Leistung voraus, was von dem Einzelnen nie und auch
von der Gesamtheit der Künstler nnr annähernd geleistet werden kann: Ideale
lassen sich so wenig erreichen, als das Glück sich wirklich erjagen läßt. Dennoch
steckt in jeder dieser Redensarten ein Funke Wahrheit, und solche Funken
glimmen in jedem Künstler; nnr zu oft müssen sie schmählich ersticken, aber
hie und da, dann und wann wächst einer von ihnen zu lichter Flamme an.

Mit einem starken Talent geboren zu sein, ist ein Verhängnis, ein Schicksal
von großem Stil. Die wenigsten Menschen sind jedoch kräftig genug, ein großes
Schicksal zu tragen; sie ruiniren es. Das giebt dann fragwürdige Existenzen,
die ihrer Außenseite nach vielleicht behaglich erscheinen, um im Innern nur
desto schäbiger zu sein. Wie ein Dämon beherrscht das starke Talent den,
dem es gegeben wurde; es verleiht seinem Leben von Anfang an eine eigne


Grenzboten I 1897 82
Zur Naturgeschichte der Maler

wie ein Spanisch-Fliegenpflaster. Aller noch mehr. Die Naturgeschichte teilt
uns, nachdem sie uns benannt hat, in so und so viel Nassen, giebt deren Unter¬
schiede an und entläßt uns alsbald, um sich den Affen zuzuwenden, die sie
viel mehr zu interessiren scheinen als wir, da sie sie weit ausführlicher be¬
spricht, Gehören denn unsre Fähigkeiten und Beschränktheiten, unsre Tem¬
peramente und Charaktere, selbst unsre Stunde und Gattungen nicht auch in
das Leben der Natur? Vom Vienenstciat, von der Republik der Ameisen, von
den Bauten der Biber ist auch in dem kürzesten Naturgeschichtsbuche zu lesen; es
ist ungerecht, die Merkwürdigkeiten des Menschengeschlechts einer unübersehbaren
Speziallitteratur zu überlassen. Diesem Übelstande abzuhelfen, sei hier der
Anfang gemacht. Ich gedenke einiges Material zusammenzustellen, um zu¬
nächst eine einzelne Gattung von Menschen, und zwar die, die der Krone der
Schöpfung am verwandtesten ist, der allgemeinen Naturgeschichte anzugliedern.
Das ist die Gattung der Künstler, speziell die der Maler, Zpscziss xiowrig..

Was ist ein Maler? Die Frage scheint dem Laien klein. „Natürlich ein
Mann mit großem, weichem Filzhut, flatterndem Halstuch, Sammetjacke, hellen
Hosen, abgetretenen Schuhen; mit langen Haaren, stattlichem Bart, märchen¬
haften Angen, edler Nase; er zieht nach Italien..." Laienantwort! Der
heute lebende „moderne" Maler zieht nicht nach Italien, er müßte denn
etwas altmodisch oder irgend ein Spezialist sein; Nase, Augen, Bart und Haare
schlagen wie auch die Kleidung, je nachdem, in die Art der Spießbürger, der
Nentenbürger, der Gigerl, der geschmackvollen Noblesse, der Vagabunden usw.
Also eine tiefere Erklärung, wenns beliebt. „Der Maler ist ein Hoher Priester
der Kunst, ein Erzeuger von Gutem, Wahren, Schönem, ein Hüter des feinen
Geschmacks, ein Erzieher der Menschheit, auch im Realismus ein Idealist."
Sehr wohl, mein Freund. Aber wollte der Himmel, er wäre das alles in
Wahrheit. Denn wenn du auch mit Recht an die so mannichfach bevorzugten
Künstler die höchsten Ansprüche stellst und dies in erhebenden Formeln aus¬
drückst, so verwechselst du doch mit Unrecht den Imperativ mit dem Präsens
und setzest fälschlich als Leistung voraus, was von dem Einzelnen nie und auch
von der Gesamtheit der Künstler nnr annähernd geleistet werden kann: Ideale
lassen sich so wenig erreichen, als das Glück sich wirklich erjagen läßt. Dennoch
steckt in jeder dieser Redensarten ein Funke Wahrheit, und solche Funken
glimmen in jedem Künstler; nnr zu oft müssen sie schmählich ersticken, aber
hie und da, dann und wann wächst einer von ihnen zu lichter Flamme an.

Mit einem starken Talent geboren zu sein, ist ein Verhängnis, ein Schicksal
von großem Stil. Die wenigsten Menschen sind jedoch kräftig genug, ein großes
Schicksal zu tragen; sie ruiniren es. Das giebt dann fragwürdige Existenzen,
die ihrer Außenseite nach vielleicht behaglich erscheinen, um im Innern nur
desto schäbiger zu sein. Wie ein Dämon beherrscht das starke Talent den,
dem es gegeben wurde; es verleiht seinem Leben von Anfang an eine eigne


Grenzboten I 1897 82
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[0657] Zur Naturgeschichte der Maler wie ein Spanisch-Fliegenpflaster. Aller noch mehr. Die Naturgeschichte teilt uns, nachdem sie uns benannt hat, in so und so viel Nassen, giebt deren Unter¬ schiede an und entläßt uns alsbald, um sich den Affen zuzuwenden, die sie viel mehr zu interessiren scheinen als wir, da sie sie weit ausführlicher be¬ spricht, Gehören denn unsre Fähigkeiten und Beschränktheiten, unsre Tem¬ peramente und Charaktere, selbst unsre Stunde und Gattungen nicht auch in das Leben der Natur? Vom Vienenstciat, von der Republik der Ameisen, von den Bauten der Biber ist auch in dem kürzesten Naturgeschichtsbuche zu lesen; es ist ungerecht, die Merkwürdigkeiten des Menschengeschlechts einer unübersehbaren Speziallitteratur zu überlassen. Diesem Übelstande abzuhelfen, sei hier der Anfang gemacht. Ich gedenke einiges Material zusammenzustellen, um zu¬ nächst eine einzelne Gattung von Menschen, und zwar die, die der Krone der Schöpfung am verwandtesten ist, der allgemeinen Naturgeschichte anzugliedern. Das ist die Gattung der Künstler, speziell die der Maler, Zpscziss xiowrig.. Was ist ein Maler? Die Frage scheint dem Laien klein. „Natürlich ein Mann mit großem, weichem Filzhut, flatterndem Halstuch, Sammetjacke, hellen Hosen, abgetretenen Schuhen; mit langen Haaren, stattlichem Bart, märchen¬ haften Angen, edler Nase; er zieht nach Italien..." Laienantwort! Der heute lebende „moderne" Maler zieht nicht nach Italien, er müßte denn etwas altmodisch oder irgend ein Spezialist sein; Nase, Augen, Bart und Haare schlagen wie auch die Kleidung, je nachdem, in die Art der Spießbürger, der Nentenbürger, der Gigerl, der geschmackvollen Noblesse, der Vagabunden usw. Also eine tiefere Erklärung, wenns beliebt. „Der Maler ist ein Hoher Priester der Kunst, ein Erzeuger von Gutem, Wahren, Schönem, ein Hüter des feinen Geschmacks, ein Erzieher der Menschheit, auch im Realismus ein Idealist." Sehr wohl, mein Freund. Aber wollte der Himmel, er wäre das alles in Wahrheit. Denn wenn du auch mit Recht an die so mannichfach bevorzugten Künstler die höchsten Ansprüche stellst und dies in erhebenden Formeln aus¬ drückst, so verwechselst du doch mit Unrecht den Imperativ mit dem Präsens und setzest fälschlich als Leistung voraus, was von dem Einzelnen nie und auch von der Gesamtheit der Künstler nnr annähernd geleistet werden kann: Ideale lassen sich so wenig erreichen, als das Glück sich wirklich erjagen läßt. Dennoch steckt in jeder dieser Redensarten ein Funke Wahrheit, und solche Funken glimmen in jedem Künstler; nnr zu oft müssen sie schmählich ersticken, aber hie und da, dann und wann wächst einer von ihnen zu lichter Flamme an. Mit einem starken Talent geboren zu sein, ist ein Verhängnis, ein Schicksal von großem Stil. Die wenigsten Menschen sind jedoch kräftig genug, ein großes Schicksal zu tragen; sie ruiniren es. Das giebt dann fragwürdige Existenzen, die ihrer Außenseite nach vielleicht behaglich erscheinen, um im Innern nur desto schäbiger zu sein. Wie ein Dämon beherrscht das starke Talent den, dem es gegeben wurde; es verleiht seinem Leben von Anfang an eine eigne Grenzboten I 1897 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/657>, abgerufen am 21.05.2024.